Der BGH ging in seinem Revisionsurteil vom 09.10.2018 (II ZR 78/17) auf zwei bisher höchstrichterlich ungeklärte Fragen des Aktienrechts ein. Thematisiert werden die Zulassung verspätet angemeldeter Aktionäre zur Hauptversammlung sowie die aktienrechtlichen Folgen einer Abweichung des Wahlvorschlags des Aufsichtsrats von den Empfehlungen des „Deutschen Corporate Governance Kodex” (nachfolgend: DCGK).          

Sachverhalt

Am 13.08.2014 stand die Neuwahl zweier Mitglieder des Aufsichtsrats einer börsennotierten AG per Einzelabstimmung bevor. Zur Wahl wurden K und ein weiterer Kandidat vom AR vorgeschlagen. Die Beklagte (börsennotierte AG) informierte in der Einladung bereits über die bereits vier bestehenden AR-Mitgliedschaften des K. In drei dieser Ämter war er Aufsichtsratsvorsitzender. Weiterhin hatte er die Position des Verwaltungsratsvorsitzenden einer börsennotierten Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts inne.

Um an der Hauptversammlung zur Wahl der Aufsichtsratsmitglieder teilzunehmen, war die Anmeldung sowie der Nachweis über den Anteilsbesitz jeweils in Textform mindestens 6 Tage vor der HV erforderlich. K und weitere Aktionäre reichten die zuvor genannten Dokumente erst nach Verstreichen der Frist ein. Trotz der Fristversäumnis wurden diese Aktionäre von der Beklagten zur HV zugelassen.

Während der Hauptversammlung wurde F von einem Aktionär zur Wahl vorgeschlagen. Es wurde nacheinander einzeln über die zu besetzenden Aufsichtsratsposten abgestimmt. Der erste Wahlgang zwischen K und F ergab eine Mehrheit für K. Für das zweite AR-mandat trat F nicht mehr zur Wahl an.

Gegen den Wahlbeschluss wurde Anfechtungs- und Nichtigkeitsfeststellungsklage erhoben.   

Gleichbehandlungsgebot gem. § 53a AktG

In der Frage, ob die Zulassung der Aktionäre, die sich verspätet angemeldet haben, gegen das Gleichbehandlungsgebot in § 53a AktG verstößt, vertreten das Berufungsgericht und der BGH unterschiedliche Meinungen.

Das Berufungsgericht argumentiert, dass der Wortlaut der Einladung nicht darauf schließen lässt, dass eine nachträgliche Anmeldung ohne Erfolg wäre.  

Dieser Ausführung folgt der BGH nicht. Im Zuge der revisionsrechtlichen Nachprüfung stellt der BGH einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot gem. § 53a AktG fest. Wenn die Einladung zur Neuwahl der Aufsichtsratsmitglieder ausdrücklich auf eine Frist zur Anmeldung und Legitimierung hinweist, ist von einer zwingenden Anforderung auszugehen. Bei Nichteinhaltung der Frist hätte dies eine Nichtzulassung zur Hauptversammlung zur Folge haben müssen, um den Gleichheitsgrundsatz zu wahren.

Diese Meinung wird weitergehend gestützt, indem keine Hinweise bezüglich eines Vorbehalts seitens der börsennotierten AG zur nachträglichen Zulassung eines Teilnehmers zu erkennen sind. Ein Aktionär konnte somit davon ausgehen, dass eine nachträgliche Anmeldung ohne Aussicht auf Erfolg war.

Indem Aktionäre davon absahen, sich nachträglich anzumelden, jedoch andere nach Fristverstreichen zugelassen worden sind, wurde diese unrechtmäßig benachteiligt.

Damit ist der Wahlbeschluss gemäß § 251 I 1 AktG aufgrund Verstoßes gegen das in § 53a AktG normierten Gleichbehandlungsgebots anfechtbar.

Inwieweit die Stimmen der nachträglich zugelassenen Aktionäre das Abstimmungsergebnis beeinflusst haben, hat der BGH nicht festgestellt. Dabei wird auf eine mögliche Neutralisierung durch Stimmen anderer nachträglich zugelassener Aktionäre abgestellt.

Empfehlung des Nr. 5.4.5. DCGK

Die Empfehlung von Nr. 5.4.5. DCGK (2014) begrenzt die Anzahl der AR-Mandate eines Vorstands auf drei Mandate. Strittig dabei bleibt, ob sich die Anwendung nur auf Vorstände deutscher börsennotierter Aktiengesellschaften begrenzt oder auch eine vergleichbare Leitungstätigkeit in einem ausländischen Unternehmen erfasst ist. Unabhängig davon, ob K von der Empfehlung erfasst ist, verdeutlicht der BGH, dass eine Abweichung des Wahlvorschlags von den DCGK-Empfehlungen keinesfalls zu einer Unwirksamkeit der Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds führe. Die Empfehlungen oder Anregungen des DCGK sind weder ein Gesetz noch Bestandteil der Satzung. Folglich kann ein Abweichen davon keinen Anfechtungsgrund wegen Verstoß gegen Gesetz oder Satzung herbeiführen.

Eine Auffassung in der Rechtsprechung und Schrifttum vertritt jedoch eine mögliche Beschlussnichtigkeit des Wahlvorschlags aufgrund des Verstoßes gegen die gesetzliche Pflicht zur unterjährigen Aktualisierung des Kodex gemäß § 161 I 1 AktG. Ist die Entsprechenserklärung nach § 161 I 1 AktG in einem nicht unwesentlichen Punkt unrichtig oder wird diese wegen einer Abweichung von den DCGK-Empfehlungen in einem solchen Punkt nicht sofort aktualisiert (BGH, Urteil vom 16.02.2009 – II ZR 185/07), kann dies zu einem Gesetzesverstoß und somit zur Anfechtbarkeit führen. 

Die Gegenmeinung, der sich der BGH anschießt, betrachtet die etwaige Aktualisierungspflicht der Entsprechenserklärung und die Beschlussfassung des AR über den Wahlvorschlag sowie die anschließende Wahl als zwei rechtlich getrennte Vorgänge. Mögliche Auswirkungen einer unrichtigen Entsprechenserklärung gem. § 161 AktG ließ der BGH offen.   

Weiterhin bestehen keine Anhaltspunkte, warum die Unrichtigkeit der Entsprechenserklärung, die erst mit Annahme der Wahl des betroffenen Kandidaten eintreten kann, die Wirksamkeit der Bekanntmachung des Wahlvorschlags beeinträchtigen sollte. Schließlich dient die Entsprechenserklärung lediglich der Transparenz für den Kapitalmarkt.

Ein Anfechtungsgrund kann auch nicht aus § 251 I 3 i.V.m. § 243 IV 1 AktG folgen. Eine mögliche Abweichung von Empfehlungen des DCGK begründet keine gesetzliche Informationspflicht aus § 161 AktG, die bei Verstoß zu einem relevanten Informationsmangel i.S.d. § 243 IV AktG führen könnte. Die Entsprechenserklärung ist hingegen in die Erklärung der Unternehmensführung, die der HV vorliegt, aufzunehmen, jedoch ist dort auch nur eine stichtagsbezogene Erklärung vermerkt. Weiterhin finden sich in den aktienrechtlichen Vorschriften keine Informationspflichten über die Vereinbarkeit der Geschäfte der Gesellschaft mit dem Kodex.  
Konkret kann hier keine hauptversammlungsbezogene Informationsfunktion festgestellt werden, wodurch sich die klagenden Aktionäre nicht auf einen relevanten Informationsmangel berufen können.

Eine anderweitige Auslegung des § 243 I AktG, die bei Nichtbefolgung der Empfehlungen des DCGK einen Gesetzesverstoß feststellt, würde mit dem rechtlich unverbindlichen Charakter des DCKG in Widerspruch stehen. Über das Anfechtungsrecht bis zur Änderung der Entsprechenserklärung würde dem DCGK sonst Gesetzeskraft zugeschrieben werden.  

Das Wahlverfahren ist nicht zu beanstanden. Der Versammlungsleiter darf für die sachgerechte Erledigung seiner Aufgaben unter anderem die Reihenfolge der Abstimmungen sowie die Zusammenfassung mehrerer Wahlvorschläge zu einem einzigen Abstimmungsvorgang bestimmen. Auch hier bindet die Empfehlung in Nr. 5.4.3. S.1 DCGK den Versammlungsleiter nicht an eine dort befürwortete Einzelwahl.

Fazit  

Zwecks dieser Entscheidung möchte der BGH das Gleichbehandlungsgebot der Aktionäre unterstreichen und verdeutlichen, dass Empfehlungen des DCGK bezogen auf Aufsichtsratsmitgliederwahlen nicht zwingend eingehalten werden müssen.

Festzuhalten bleibt, dass das Gleichbehandlungsgebot verletzt ist, wenn Aktionäre nach Verstreichen der Frist zugelassen werden, obwohl die Einladung ausdrücklich Fristen zur Anmeldung und Legitimierung benennt.

Zudem beeinflusst eine Nichtbefolgung der Empfehlungen des DCGK nicht die Wirksamkeit der Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds. Es kann weder die Unwirksamkeit des Wahlvorschlags des Aufsichtsrats noch seiner Bekanntmachung begründet werden. Des Weiteren erkennt der BGH keinen für die Wahlentscheidung relevanten Verstoß gegen Informationspflichten. Durch die Nichtbeachtung von Empfehlungen des DCGK trifft die Aktiengesellschaft lediglich eine unterjährige Aktualisierungspflicht der Entsprechenserklärung aus § 161 AktG.