In dem Urteil vom 27. 10. 2008 mit dem Aktenzeichen II ZR 158/06 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine in der Schweiz gegründete Aktiengesellschaft mit Verwaltungssitz in Deutschland als rechtsfähige Personengesellschaft zu behandeln ist. Dies ändert die persönliche Haftung der Gesellschafter grundlegend.

Sachverhalt

Bei der Klägerin handelt es sich um eine AG schweizerischen Rechts mit Verwaltungssitz in Deutschland. Von der Beklagten wird die Herausgabe eines Grundstücks, aufgrund einer Mietvertragskündigung sowie Mietzahlung und Erstattung von Anwaltskosten verlangt. Die Parteien streiten über die Rechts- und Parteifähigkeit der klagenden AG sowie über die Fragen, ob zwischen ihnen ein Mietvertrag bestanden hat und ob er gegebenenfalls wirksam gekündigt worden ist.

Sitztheorie/Gründungstheorie

Der Gesellschaftsstatut einer juristischen Person richtet sich nach den Bestimmungen des Staates, nach dessen Recht die juristische Person gegründet wurde. Der Gesellschaftsstatut bestimmt, unter welchen Voraussetzungen eine juristische Person entsteht, lebt und vergeht. Die Gründungstheorie stellt allein auf den Satzungssitz der Gesellschaft ab. So ist ein Aufrechterhalten des Gesellschaftsstatut auch in anderen Ländern möglich. Der Satzungssitz ist der Betriebsmittelpunkt. Bei mehreren Niederlassungen ist es die Hauptniederlassung. Dahingegen unterliegen nach der Sitztheorie die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse einer juristischen Person dem Recht desjenigen Staates, in dem die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hat. Der Verwaltungssitz ist der Ort, wo die Geschäftsleitung ihre Tätigkeit ausübt und die gesamten Geschäfte verwaltet.

Haftung

Eine AG ist eine Kapitalgesellschaft. Für Gesellschaftsschulden haftet grundsätzlich nur die Gesellschaft selbst mit dem Gesellschaftsvermögen.
In einer Personengesellschaft haftet für Gesellschaftsschulden zumindest ein Gesellschafter persönlich mit seinem Privatvermögen.

Die Entscheidung des BGH

Für Auslandsgesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, des EWR oder in einem aufgrund eines Staatsvertrags in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit gleichgestellten Staat gegründet worden sind, schließt sich der BGH der Gründungstheorie an. Dies geschieht auf der Grundlage der EuGH Entscheidungen „Centros”, „Überseering” und „Inspire Art”.

Somit ist die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft nach dem Recht des Gründungsstaates zu bewerten. Dem gegenüber wird die Rechtsfähigkeit von Gesellschaften aus „Drittstaaten“, welche weder der Europäischen Union angehört noch aufgrund von Verträgen hinsichtlich der Niederlassung gleichgestellt sind, nach der Sitztheorie beurteilt. Dabei ist das Recht des Sitzstaates für die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft maßgeblich. Demnach ist eine in der Schweiz gegründete Gesellschaft nach dem Recht des Ortes zu bewerten, an dem sie ihren Verwaltungssitz hat. Eine in der Schweiz gegründete AG müsste, um in Deutschland rechtsfähig zu sein, sich in das Handelsregister eintragen. Dies würde jedoch eine Neugründung voraussetzten.

Die schweizerische AG mit Verwaltungssitz in Deutschland ist demnach nicht als AG in Deutschland rechtsfähig. Sie ist als rechtsfähige Personengesellschaft zu behandeln. Die schweizerische AG stellt in Deutschland eine GbR bzw. eine OHG dar, welche keine Eintragung in das deutsche Register bedürfen.

Eine schweizerische AG, welche in Deutschland als Personengesellschaft zu betrachten ist, würde die persönliche Haftung der Gesellschafter nach sich ziehen. Die Klägerin, also die schweizerische AG, hätte auch als Personengesellschaft die Miete verlangen können. Würde jetzt jedoch eine schweizerische AG, welche in Deutschland tätig geworden ist, verurteilt werden, würden die Gesellschafter der schweizerischen AG persönlich haften.

Fazit

Der BGH hat infolge der EuGH Rechtsprechung die Gründungstheorie für EU oder EWR Mitgliedsstaaten akzeptiert. Diese Gesellschaften werden demnach ihre Rechtsfähigkeit nach ihrem Gründungsstaat beurteilen.
Jedoch handelt es sich bei der Schweiz nicht um ein Mitglied der EU, EWR und es besteht auch keine staatsvertragliche Grundlage für eine Anwendung der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit auf die Schweiz.

Für eine schweizerische AG mit Sitz in Deutschland vertritt der BGH die Sitztheorie. Die AG ist ohne Handelsregister Eintrag in Deutschland nicht als AG rechtsfähig, sondern als rechtsfähige Personengesellschaft zu betrachten. Daraus ergibt sich, dass die Haftung sich nicht auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt, sondern die Gesellschafter persönlich haften.