Die Entscheidung des BGH vom 19.02.2013 – II ZR 56/12 hat für ein Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl für nichtig erklärt wurde, eine einscheidende Bedeutung. Der Sachverhalt ist denkbar einfach, doch seine Auswirkungen sind weitreichend und führen zu einem Umdenken in weiten Teilen der Literatur und Rechtsprechung. Die Kernaussage der BGH Entscheidung ist, dass ein Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl nichtig ist oder für nichtig erklärt wird, für die Stimmabgabe und Beschlussfassung wie ein Nichtmitglied zu behandeln ist (Tz. 20). Diese Auswirkungen war bis dato in der Literatur höchst umstritten (vgl. Tz. 18) und sind nunmehr durch das BGH Urteil endgültig entschieden worden.
Fallstudie
Anfechtungsklagen sind trotz gesetzlicher Regelungen ein beliebtes Mittel der Aktionäre Hauptversammlungsbeschlüsse zu blockieren bzw. zu verhindern. Aktionären einer Aktiengesellschaft stehen grundsätzlich Anfechtungsklagen gegenüber Hauptversammlungsbeschlüsse nach §243 I AktG durch Verletzung des Gesetzes oder der Satzung zu. Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder ist nach §250 I AktG außer im Falle des §241 Nr. 1, 2 und 5 AktG nichtig, wenn die Zusammensetzten des Aufsichtsrates gegen §§96 II, 97 II S.1 oder 98 IV AktG verstößt. Die Anspruchsgrundlage gegenüber einem Wahlbeschluss von neu- oder wiedergewählten Aufsichtsratsmitgliedern ergibt sich aus §251 AktG.
Sollte es einem Anfechtungskläger gelingen alle Instanzen zu bestreiten, kann dies einen jahrelangen Schwebezustand zur Folge haben. Doch sind die Aufsichtsratsmitglieder während diesem Schwebezustand verpflichtet über gesetzliche Angelegenheiten Entscheidungen zu treffen, wie zB die Verwendung des Bilanzgewinnes oder die Bestellung des Vorstandes. Dies wird regelmäßig durch eine Beschlussmitwirkung erfüllt.
Und genau hier greift die neue Entscheidung des BGH ein. Sollte die Anfechtungsklage des Aktionärs Erfolg haben und die Wahl für nichtig erklärt werde, wirkt sich dieses vermutlich auf die Wirksamkeit der Beschlüsse aus, die unter der Stimmabgabe des betroffenen Aufsichtsratsmitgliedes verabschiedet wurden. Die Frage ist nur in welchem Maß dies passiert?
Zusammenfassung der BGH Urteils
Die prozessuale Konstruktion der Entscheidung ist gänzlich kompliziert. Nach der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder erhob der Kläger (Aktionär) eine Anfechtungsklage gegen die Beschlüsse zur Wahl der Aufsichtsratsmitglieder. Aus der Entscheidung des BGH geht hervor, dass der Aktionär seine Anfechtungsklage damit begründete, dass der Aufsichtsrat keinen Wahlvorschlag für die Neuwahl des ausscheidenden Mitgliedes A gemacht habe, der auf Vorschlag der Bundesregierung gewählt werden sollte. Nach erhobener Anfechtungsklage seitens des Aktionärs legten alle wieder- bzw. neugewählten Aufsichtsratsmitglieder ihr Amt nieder mit dem Hintergrund, dass das Rechtsschutzinteresse des Klägers dadurch entfallen würde. Zu Recht? Diese prozessuale Fragestellung möchte ich nicht weiter thematisieren, sondern auf den ersten Leitsatz der Entscheidung verweisen, wonach dem Aktionär weiterhin ein Rechtsschutzinteresse zusteht.
Vielmehr möchte ich mein Augenmerk auf die Auswirkungen der Entscheidung richten. Um auf meine Frage aus dem oberen Abschnitt zurück zu kommen: Wie wirkt sich die erfolgreiche Anfechtungsklage auf die Wirksamkeit der Beschlüsse aus, die unter der Stimmabgabe des betroffenen Aufsichtsratsmitgliedes verabschiedet wurden?
Die Auswirkungen der Nichtigkeit einer Aufsichtsratswahl auf die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats war bis dato in der Literatur und Rechtsprechung sehr umstritten. Dies hat der BGH nun grundlegend entschieden. Ist das Mitwirkung der ausscheidenden Aufsichtsratsmitglieder für das Zustandekommen eines Aufsichtsratsbeschlusses, die Ablehnung eines Beschlussantrags oder die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats ursächlich, so führt dieses zur Nichtigkeit des Beschlusses.
Die Ursächlichkeit ist insbesondere dann gegeben, wenn die erforderliche Mehrheit durch die Stimmabgabe des Mitgliedes, dessen Wahl nichtig oder für nichtig erklärt wird, zustande gekommen ist. Das Aufsichtsratsmitglied ist von Anfang an -ex tunc- als Nichtmitglied zu behandeln (vg. Tz. 20).
Dieses war in der Literatur sehr strittig. Die h.L. vertrat die Meinung, dass auf Grund der „Lehre vom faktischen Organ“ Aufsichtsratsmitglieder wie wirksam bestellte Mitglieder bei Ihrer Stimmabgabe zu behandeln sind. Dies hat der BGH endgültig abgelehnt, da eine andere Auffassung mit § 250 Abs. 1 AktG nicht vereinbar sei.
Rechtsfolgen für die Praxis
Der BGH möchte in seiner Entscheidung aber nicht generell an der Lehre vom fehlerhaften Organ abweichen. Vielmehr möchte der BGH in Fällen in denen das Vertrauens auf eine ordnungsgemäße Wahl des Aufsichtsratsmitglieds besteht, an der Lehre vom fehlerhaften Organ weiterhin festhalten. Haftung, Vergütung und Sorgfaltspflichten des fehlerhaft bestellten Aufsichtsratsmitglied sollen bis zur wirksamen Anfechtungsklage weiterhin bestehen.
Durch das Urteil bekommt der Drei-Personen-Aufsichtsrat eine große Relevanz zugesprochen. Sollte bei nur einem Mitglied die Wahl angefochten sein und gilt bei erfolgreicher Klage als Nichtmitglied, so ist der Aufsichtsrat nach §108 II 3 AktG beschlussunfähig. Bei größeren Aufsichtsräten ist §108 II 2 AktG von großer Bedeutung. In diesem Fall ist die gesetzliche Mindestquote oder eine höhere satzungsmäßige Quote für die Beschlussfähigkeit ausschlaggebend.
Ist die Beschlussfähigkeit nach §108 II AktG gegeben, ist die Ursächlichkeit der Stimmabgabe des Nichtmitgliedes zu prüfen. Ist ein Beschluss einstimmig entschieden worden, bleibt dieser rechtskräftig, da die Stimmabgabe des Nichtmitglieds ohne Bedeutung ist. Anders wenn durch die Stimmabgabe des Nichtmitglieds der Beschluss ursächlich zustande gekommen ist. In diesem Fall ist der Beschluss nicht gefasst worden.
Beschlüsse wie zB die Bestellung eines Vorstandsmitgliedes oder den Vertragsschluss mit einem Vorstandsmitglied wären unwirksam. Die Feststellung des Jahresabschlusses wäre gemäß §256 II AktG nichtig.
Kritisch muss man dem BGH entgegenhalten, dass er das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl wirksam angefochten worden ist, einfach als Nichtmitglied qualifiziert. Die Stimme des Nichtmitgliedes wird demzufolge vom Abstimmungsergebnis schlicht subtrahiert. Was ist aber, wenn in der Aufsichtsratssitzung durch Äußerungen des Nichtmitgliedes andere Aufsichtsräte beeinflusst worden sind?
Durch dieses Urteil sind viele Fragen aufgeworfen worden, die nun in der Literatur und in weiteren Rechtsprechungen geklärt werden müssen. Es bleibt also spannend, wie sich das Gebiet der Anfechtungsklagen durch Aktionären entwickelt.