Der Inhalt von Arbeitszeugnissen ist ein immer wiederkehrender Streitpunkt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Erteilt der Arbeitgeber ein wahrheitsgemäßes Zeugnis, steht das häufig im Kontrast mit dem Wunsch des Arbeitnehmers nach einer wohlwollenden Beurteilung. Wird der Arbeitnehmer im Arbeitszeugnis mit der Note „befriedigend“ bewertet, muss er im Zeugnisstreit bessere Leistungen darlegen und beweisen. Dies gilt auch dann, wenn in der zugehörigen Branche überwiegend die Endnote „gut“ oder „sehr gut“ vergeben wird. So entschied das Bundesarbeitsgericht erneut am 28. November 2014 (BAG Urt. v. 18.11.14 – 9 AZR 584/13) und bestätigte seine bisherige Rechtsprechung.


Sachverhalt

In einer Berliner Zahnarztpraxis war eine 25-jährige Bürofachkraft seit dem 1. Juli 2010 als Angestellte tätig. Zu ihren Aufgaben gehörte u.a. die Ausstellung von Dienst– und Urlaubsplänen, die Betreuung der Patienten sowie die Terminvergabe. Die Bürofachkraft kündigte zum 30. Juni 2011 und forderte Ende September 2011 die Ausstellung eines qualifizierten Zeugnisses. Die ehemalige Mitarbeiterin der Zahnarztpraxis war mit der Gesamtbewertung des erteilten Arbeitszeugnisses unzufrieden und klagte gegen den Inhalt des erteilten Zeugnisses. Sie war der Auffassung, ihr stünde die Beurteilung „stets zur vollen Zufriedenheit“ zu, da ihre Arbeit einwandfrei gewesen war.
Die Zahnarztpraxis hatte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, die Leistungen waren „zur vollen Zufriedenheit“, da die Klägerin keine herausragenden Leistungen erbracht hatte.
Eine außergerichtliche Einigung gelang nicht. Daher klagte die Bürofachkraft im März 2013 vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. Das Arbeitsgericht Berlin und das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gaben ihr Recht. Beide Gerichte haben entschieden, dass der Mitarbeiterin gem. § 109 Absatz 1 Satz 3 GewO ein Zeugnis mit der Endnote „gut“ zusteht. Die Zahnarztpraxis hätte darlegen müssen, dass die Beurteilung nicht zutreffend sei.
Das Bundesarbeitsgericht sah keinen Anlass zur Verschiebung der Beweis- und Darlegungslast auf den Arbeitgeber. Es gilt nach wie vor die vom Bundesarbeitsgericht (BAG Urt. v. 14.10.2003 – 9 AZR 12/03) ermittelte Zufriedenheitsskala in der Gesamtbeurteilung. Die Gesamtbeurteilung „zur vollen Zufriedenheit“ bescheinigt eine durchschnittliche Leistung auf der Zufriedenheitsskala.
Auch die am häufigsten vergebene Note in einer Branche hatte keinen Einfluss auf die Entscheidung. Die vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Studien der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen- Nürnberg und der Personalmanagement Services GmbH führen nicht zu einer neuen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Die Studien ergaben, dass ca. 90 % der untersuchten Zeugnisse die Schlussnote „gut“ oder „sehr gut“ aufweisen. Von insgesamt 802 anonymisierten Zeugnissen waren lediglich 13 Arbeitnehmer aus dem Bereich Gesundheit und Pflege, sodass Rückschlüsse in dieser Branche nicht möglich sind. Daher entschied das Bundesarbeitsgericht zugunsten der Zahnarztpraxis und bestätigte seine bisherige Rechtsprechung.


Leitsatz des Gerichts

Fordert der Arbeitnehmer eine bessere Leistungsbeurteilung im Arbeitszeugnis als „befriedigend“, muss er im Streitfall vor Gericht entsprechende Leistungen darlegen und beweisen.


Zeugnisrecht

Jeder Arbeitnehmer hat nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses den Wunsch, eine gute oder sogar sehr gute Leistungsbeurteilung im Arbeitszeugnis zu erhalten. Es gibt gem. § 109 GewO zwei Formen von schriftlich erteilten Arbeitszeugnissen, auf die jeder Arbeitnehmer ein Recht hat. Das ist zum einen das einfache Zeugnis, welches lediglich die Art und Dauer des Dienstverhältnisses beinhaltet und zum anderen das qualifizierte Zeugnis, welches neben Art und Dauer des Dienstverhältnisses auch Ausführungen über Führung und Leistung enthält. Bei der Leistungsbeurteilung im qualifizierten Zeugnis gelten daher zwei Grundsätze: Der Wahrheitsgrundsatz und der Wohlwollendgrundsatz. Erteilt der Arbeitgeber solch ein Zeugnis, muss dies in erster Linie der Wahrheit entsprechen.
Zu diesem praxisrelevanten Thema hat das Bundesarbeitsgericht bereits am 23.06.1960 (BAG Urt. v. 23.06.1960 – 5 AZR 560/58) entschieden. Aus dieser Entscheidung ergibt sich eine zweiseitige Zielsetzung des Zeugnisses. Das Arbeitszeugnis soll dem Arbeitnehmer als Unterlage für neue Bewerbungen dienen. Hingegen soll es auch die Belange des zukünftigen Arbeitgebers schützen. Eine Überbewertung des Arbeitnehmers ist daher gesetzeswidrig.


Die Zeugnissprache und der Geheimcode

In der Praxis gibt es normalerweise keine offensichtlichen, negativen Formulierungen in der Zeugnissprache. Es wurde durch Literatur, Praxis und die anerkannte und entwickelte Zufriedenheitsskala des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urt. v. 14.10.2003 – 9 AZR 12/03) eine Art Formulierungsstil entwickelt. Die unterschiedlichen Formulierungen in der Zufriedenheitsskala gleichen einem Notenspiegel wie in dem vorliegenden Fall der Bürofachfrau.
Zusätzlich existiert ein weitverbreiteter unternehmensinterner „Schlüssel“ der Zeugnissprache, der sogenannte „Geheimcode“. Hierbei handelt es sich um wohlklingende Aussagen, denen negative Äußerungen zugemessen werden oder es wird durch bewusstes Auslassen kritischer Punkte im Arbeitszeugnis der Leser auf Leistungsmängel hingewiesen.


Ist das Arbeitszeugnis eine veraltete Tradition?

Die aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts und die oben genannten Studien verdeutlichen den Unterschied zwischen Rechtsprechung und Praxis.
Die Studien zeigen auf, dass Zeugnisse heutzutage wenig Aussagekraft haben. Es ist sehr fragwürdig, ob neun von zehn Arbeitnehmern tatsächlich gute oder sehr gute Leistungen erbringen. Hier kann man davon ausgehen, dass die Studien durch „Gefälligkeitszeugnisse“ beeinflusst wurden. Auch die Arbeitszeugnisse, deren Gesamtbeurteilung mit Hilfe der Zufriedenheitsskala vergeben wurden, können verschlüsselte Botschaften enthalten, denen eine negative Aussage zugemessen wird.
In der Regel sind die qualifizierten Arbeitszeugnisse in der sogenannten „Geheimsprache“ verfasst. Diese Geheimsprache wird sich durch das Bestehen von wohlwollenden, qualifizierten Arbeitszeugnissen immer mehr erweitern. Dies kann zu einem Risiko für die Arbeitgeber werden, die nicht mit der Geheimsprache vertraut sind. Um das Arbeitszeugnis wieder glaubhafter zu machen, bedarf es daher einer Überarbeitung. Eine Option wäre die Abschaffung des qualifizierten Arbeitszeugnisses, sodass es lediglich nur noch einfache Arbeitszeugnisse gibt. Eine weitere Option wäre eine schlichte Tätigkeitsbeschreibung mit Referenzschreiben, angepasst an den internationalen Maßstab.
Trotz der Kritik, bleibt das Arbeitszeugnis in Deutschland für das Bewerbungsverfahren zurzeit noch unentbehrlich. Bewirbt man sich mit einem guten Zeugnis, hat man deutlich bessere Chancen, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Damit man am Ende auch die Arbeitsstelle bekommt, benötigt man allerdings mehr als nur ein gutes Zeugnis. Viel wichtiger noch sind die Berufserfahrung, die Qualifikationen und das persönliche Gespräch. Andere Länder wie die USA zeigen uns, dass es auch ohne Arbeitszeugnisse geht.

 

 

Maßgebliche Quelle: „Das Arbeitszeugnis in Theorie und Praxis“ Günter Huber/ Waltraud Müller, 15. Auflage 2014