Grundsätzlich gelten Beleidigungen von Vorgesetzten oder Kollegen als Verstoß gegen die gegenseitige Pflicht zur Rücksichtnahme aus dem Arbeitsverhältnis und stellen des Weiteren Störungen des Betriebsfriedens dar. Die Frage, ob sie jedoch eine fristlose oder ordentliche Kündigung rechtfertigen können, ist pauschal nicht zu beantworten, da stets alle Umstände des Einzelfalls gründlich abzuwägen sind.
Dies wird deutlich an Hand eines Urteils vom Landarbeitsgericht Köln vom 07.05.2014 [LAG Köln, 07.05.2014 – 11 Sa 905/13, s. Urteil des Landarbeitsgerichts Köln ]. Das Gericht erklärte hier die Kündigung eines technischen Angestellten, der seinen Vorgesetzen in einem Wiedereingliederungsgespräch nach längerer Arbeitsunfähigkeit mehrfach als „Kollegenschwein“ bezeichnete, für unwirksam und unverhältnismäßig. Das Arbeitsgericht Aachen hatte bereits am 10.10.2013 der Kündigungsschutzklage (§4 KSchG) des gekündigten Arbeitnehmers stattgegeben [ArbG Aachen, 10.10.2013 – 6 Ca 772/13] und die Beklagte, ein Unternehmen mit ca. 1500 Arbeitnehmern, zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens verurteilt. Das Unternehmen ging daraufhin in Berufung und griff die Interessenabwägung des Gerichts an mit der Begründung, dass der Arbeitnehmer „hätte wissen müssen, dass die Hinnahme einer solch schweren Beleidigung durch den Arbeitgeber ausgeschlossen sei“. Die Berufung blieb erfolglos.
Grundsätzlich muss vor einer Kündigung seitens des Arbeitgebers gemäß §102 BetrVG erst einmal eine Betriebsratsanhörung erfolgen. Dies war im vorliegenden Sachverhalt geschehen, der Betriebsrat meldete jedoch Bedenken gegen die außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers an und widersprach der ordentlichen Kündigung. Dennoch kündigte die Beklagte den Kläger am 15.02.2013 fristlos, hilfsweise fristgerecht.
Zur Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung bedarf es nach §626 BGB erst einmal eines wichtigen Grundes. Der wichtige Grund war in diesem Fall die Beleidigung des Teamleiters. Grundsätzlich muss eine Kündigung damit sie wirksam ist, nach §1 KSchG sozial gerechtfertigt sein. Hierfür kennt das Gesetz gemäß Absatz 2 drei mögliche Arten von gerechtfertigten Kündigungsgründen: die personenbedingten, die verhaltensbedingten und die betriebsbedingten Kündigungsgründe.
Doch Vorsicht: das Kündigungsschutzgesetz findet nur Anwendung, wenn sowohl der persönliche als auch der betriebliche Anwendungsbereich des Gesetzes erfüllt sind. Gemäß §1 Absatz 1 gilt das Gesetz nämlich nur für Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis bereits mehr als 6 Monate andauert. Ferner muss gemäß §23 Absatz 1 S.3 die Betriebsgröße mehr als 10 Arbeitnehmer, oder mehr als 5 sogenannte „Alt-Arbeitnehmer“, welche vor 2004 eingestellt wurden, umfassen. Da im vorliegenden Fall der Arbeitnehmer bereits seit 2007 im Unternehmen tätig war, welches ungefähr 1500 Mitarbeiter hat, findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung auf den Fall.
Damit die Kündigung wirksam ist, müsste sie folglich nach §1 KSchG sozial gerechtfertigt sein. Da es sich bei einer Beleidigung um steuerbares Verhalten handelt, kommt nur eine verhaltensbedingte Kündigung (§1 Abs.2 Alt.2 KSchG) in Frage.
Bei der verhaltensbedingten Kündigung muss zunächst eine Vertragsverletzung vorliegen. Möglich sind hier Leistungsstörungen, wie z.B. Schlechtleistung, Störungen des Betriebsfriedens, wie z.B. Beleidigungen, sowie Störungen im Vertrauensbereich, die sich meist als unerlaubte Handlungen darstellen, oder auch die Verletzung von Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis, wie beispielsweise die gegenseitige Pflicht zur Rücksichtnahme. Das Berufungsgericht befand letzteres im vorliegenden Fall für zutreffend.
Des Weiteren ist das Ultima-Ratio-Prinzip anzuwenden. Dieses stützt sich vor allem auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: es muss zunächst geprüft werden, ob ein milderes Mittel als die Kündigung in Frage kommt, wie beispielsweise eine Abmahnung, oder ob diese im Einzelfall entbehrlich ist, weil das Vertrauen zukünftig gestört ist. Das Landarbeitsgericht Köln erklärte in seiner Urteilsbegründung, dass im Kündigungsrecht kein Sanktions-, sondern ein Prognoseprinzip gilt. Es sollen nicht vergangene Vertragsverletzungen bestraft, sondern zukünftige verhindert werden. Eine Abmahnung wäre somit eine angemessenere Reaktion der Beklagten gewesen, da es sich bei einer Beleidung um steuerbares Verhalten handelt, welches meist durch die Androhung von Folgen positiv zu beeinflussen ist. Der Ausspruch der Abmahnung kann nicht als entbehrlich gesehen werden, da nicht anzunehmen ist, dass der Kläger seinen Arbeitsplatz bewusst aufs Spiel gesetzt hat.
Zu guter Letzt ist vor Ausspruch der verhaltensbedingten Kündigung eine Interessenabwägung, tendenziell eher zu Gunsten des Arbeitnehmers, durchzuführen. Im vorliegenden Fall hat das Gericht festgestellt, dass das Fortbestandsinteresse des Klägers gegenüber dem Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt, da es sich bei der Beleidigung um einen einmaligen Vorfall in einer angespannten Gesprächssituation handelte und das Verhalten des Klägers keine nennenswerten Folgen auf die Atmosphäre im Betrieb hatte. Da bisher keine Störungen vorlagen, gibt es keine Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr und zudem sind die vermutlich eher schlechten Chancen des Klägers am Arbeitsmarkt auf Grund seines Alters und seines Gesundheitszustands zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, sodass die Argumente für ihn überwiegen.
In einem anderen Fall jedoch erklärte das Landarbeitsgericht Hessen (Urteil vom 01.09.2006) die außerordentliche Kündigung eines Sachbearbeiters trotz langer Betriebszugehörigkeit und schlechtem Gesundheitszustand für wirksam, der zu seinem Vorgesetzten sagte: „Sie lügen, wie Sie das immer tun“. Das Gericht begründete die Entscheidung damit, dass hier die Aussage des Arbeitnehmers überlegt erfolgte und nicht im Rahmen einer emotional geprägten Auseinandersetzung, außerdem war es vor längerer Zeit schon einmal zu einer Abmahnung wegen einer anderen Beleidigung gekommen, sodass eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft hier wohl nicht unbedingt zu erwarten ist.
Vor dem Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung sollte der Arbeitgeber also im Regelfall zunächst eine Abmahnung erteilen und prüfen, ob nicht eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung für die Probleme im Arbeitsverhältnis gefunden werden kann, um eine Kündigung nach Möglichkeit zu vermeiden.