Der Europäische Gerichtshof hat Ende Oktober den jahrelangen Streit um das VW-Gesetz beendet. Die Entscheidung ist, wie auch ganz besonders ihr Vorläufer aus dem Jahr 2007, lesenswert. Die nunmehr noch in der Satzung der VW AG befindlichen Regelung, wonach für Änderungen der Satzung eine Sperrminorität von 20 % (statt den im AktG vorgesehenen 25 %, vgl. § 179 II AktG) ausreichend ist, haben vor der Kapitalverkehrsfreiheit Bestand.

Das erste VW-Urteil

Das erste VW-Urteil hatte klargestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland mit dem sog. VW-Gesetz von 1960 gegen die in Art. 56 EUV (jetzt Art. 63 AEUV) geregelte Grundfreiheit des freien Kapitalverkehrs verstößt. In dem Gesetz war geregelt, dass kein Aktionär, unabhängig von seinem Stimmrecht, mehr als 20 % der Stimmen ausüben kann (§ 2 VW-Gesetz). Dieses sog. Höchststimmrecht galt für jeden Aktionär. Zudem waren die Bundesrepublik Deutschland und das Land Niedersachsen berechtigt, jeweils zwei Aufsichtsratssitze zu besetzen. Nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes bedürfen Beschlüsse der Hauptversammlung, für die nach dem Aktiengesetz eine Mehrheit erforderlich ist, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlußfassung vertretenen Grundkapitals umfaßt, einer Mehrheit von mehr als vier Fünftel des bei der Beschlußfassung vertretenen Grundkapitals der Gesellschaft. Diese Vorschrift gilt weiterhin, die anderen Regeln wurden 2009 als Reaktion auf das erste VW-Urteil aufgehoben.

Der Bund und das Land Niedersachsen hielten bei Erlass des Gesetzes je 20 % der Anteile an VW, der Bund veräußerte später seine Anteile, während das Land Niedersachsen die seinen behielt. In der Folge übte der Bund sein Recht, Aufsichtsratssitze zu besetzen, nicht mehr aus.

Er EuGH sah in der Gesamtheit der Regelungen „Beschränkungen“ i.S.v. Art. 56 Abs. 1 EG, weil sie geeignet seien, den Erwerb von Aktien zu verhindern oder zu beschränken oder aber Investoren anderer Mitgliedstaaten davon abzuhalten, in das Kapital dieser Unternehmen zu investiere. Schließlich sei es nicht ohne weiteres möglich, nach Erwerb einer Beteiligung im Unternehmen Einfluss zu nehmen.

Höchststimmrechte sind nach dem deutschen Aktienrecht (§ 134 AktG) für die börsennotierte Gesellschaft nicht zulässig. Eine Satzungsregelung mit entsprechendem Inhalt hätte VW daher nicht aufnehmen können. Daraus leitete der EuGH ab, dass das VW-Gesetz als staatliche Maßnahme, die in die Kapitalverkehrsfreiheit eingreift, zu werten ist. Dasselbe gilt für die Besetzung von insgesamt vier Aufsichtsratsposten durch den Bund und das Land Niedersachsen.

 Die zweite Entscheidung

Das VW-Gesetz ist als Reaktion auf das Urteil geändert worden. Das Recht zur Entsendungvon Aufsichtsräten wurde ebenso aus dem VW-Gesetz gestrichen wie die Höchststimmrechte. Beibehalten wurde aber § 4 Abs. 3 des Gesetzes, wonach die Sperrminorität auf 20 % abgesenkt wurde. Dagegen wandte sich die Kommission mit demArgument, auch diese Regelung allein verstoße gegen die Kapitalverkehrsfreiheit.

Der EuGH hat sich dieser Argumentation nicht angeschlossen. Die Argumentation ist rein formal: Der Gerichtshof habe bei § 4 Abs. 3 VW-Gesetz keine selbstständige Vertragsverletzung festgestellt, sondern nur in Verbindung mit § 2 Abs. 1 VW-Gesetz eine solche Verletzung gesehen. Dadurch, das § 2 Abs. 1 des Gesetzes gestrichen worden sei, sei die Verbindung gelöst worden. Ob die Regelung auch allein einen Verstoß darstelle, habe das erste Urteil nicht bestimmt.

Verfahrensfragen

Von Bedeutung ist das von der Kommission gewählte Verfahren: Sie hat kein gesondertes Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, sondern eine Art von Zwangsvollstreckungsverfahren, indem sie wegen der Nichteinhaltung eines Urteils beantragt hat, die Bundesrepublik zu einem Zwangsgeld zu verurteilen. Das ist in Art. 260 Abs. 2 AEUV vorgesehen und führt dazu, dass nur geprüft wird, ob das Urteil zutreffend umgesetzt ist und nicht, ob eine Vertragsverletzung vorliegt. Dazu hätte ein Vertragsverletzungsverfahren nach § 258 AEUV eingeleitet werden müssen.