Der  „Dieselabgas-Skandal“um Volkswagen ist ein Dauerbrenner in den Medien. Viele durch VW geschädigte Verbraucher wünschen sich eine Möglichkeit kollektiven Rechtsschutzes nach dem Vorbild der in den USA praktizierten Sammelklagen‘ herbei. Der Gesetzgeber hat mit seinem „Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage“ reagiert. Ab dem 1. November diesen Jahres können Verbraucherschutzverbände für geschädigte Verbraucher die sog. Musterfeststellungsklage erheben. Sie ist geregelt  in den §§ 606-614 ZPO. Die Verbraucherzentrale Bundesverband hat diese Möglichkeit sogleich genutzt und stellte ihre 240-seitige Klageschrift gegen VW am 1. November 2018 um 02:00 Uhr dem Oberlandesgericht Braunschweig zu.

Der nachfolgende Beitrag befasst sich mit den Zielen des Gesetzgebers sowie den Wurzeln der Musterfeststellungklage und beantwortet die Frage: “Wie kommt der Verbraucher mit Hilfe der Musterfeststellungsklage zu seinem Schadensersatz?”

Mit der Musterfeststellungsklage verfolgte Ziele des Gesetzgebers

Es kommt immer wieder dazu, dass Unternehmen durch unrechtmäßige Verhaltensweisen eine Vielzahl an Verbrauchern schädigen. Häufig fällt dabei der beim Verbraucher entstandene Schaden gering aus, wohingegen der Kostenaufwand, um den Schaden gegenüber dem Unternehmen geltend zu machen, unverhältnismäßig hoch erscheint. In diesen Fällen verfolgen Verbraucher ihren Schadensersatzanspruch rechtlich zumeist gar nicht. Ziel des Gesetzgebers ist es, mit der MFK dieser Problematik Rechnung zu tragen. Daneben soll diese neue Klageart die Gerichte entlasten und divergierenden Entscheidungen entgegenwirken. Dadurch könnte sich schneller eine Linie in der Rechtsprechung herausbilden, an der sich die Praxis orientieren kann.

Gestaltungselemente aus UKlaG und KapMuG

Die neue Musterfeststellungsklage enthält Gestaltungselemente aus zwei bereits bestehenden kollektiven Rechtsschutzmöglichkeiten. Nach dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) sind lediglich sog. qualifizierte Einrichtungen klagebefugt, was ebenso für die Musterfeststellungsklage gilt. Aus dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG ) resultieren die  Komponenten, dass bei einer bestimmten Anzahl von Geschädigten für zentrale den Anspruch oder das Rechtsverhältnis betreffende Rechtsfragen ein Musterverfahren geführt wird. Hier führt ein Kläger für alle gleichartig Geschädigten das Verfahren. Die Antwort auf diese Rechtsfragen wird in einem abschließenden Musterentscheid festgestellt, der alle am Verfahren beteiligten bindet.  Während des Musterverfahrens können sich gleichartig Geschädigte in ein sog. Klageregister eintragen lassen, um ebenso von der Bindungswirkung des ergangenen Musterentscheids zu profitieren.

Der Weg des Verbrauchers zum Schadensersatz

Die Musterfeststellungsklage ist in ihrem Anwendungsbereich auf Rechtsverhältnisse und Ansprüche zwischen Verbraucher und Unternehmer beschränkt, wobei bei Ansprüchen lediglich der Schadensersatz dem Grunde nach, aber nicht hinsichtlich seiner Höhe Gegenstand der Musterfeststellungsklage ist. In ihrem Zuge fügte der Gesetzgeber eine neue Definition des Verbraucherbegriffs in die ZPO ein. Demnach ist ein Verbraucher jede natürliche Person, die bei dem Erwerb des Anspruches oder der Begründung eines Rechtsverhältnisses nicht überwiegend im Rahmen ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Bekanntlich gibt es bereits in § 13 BGB eine Legaldefinition des Verbrauchers. Diese ist allerdings auf Rechtsgeschäfte beschränkt. Die Musterfeststellungsklage soll aber auch auf nicht-rechtsgeschäftliche Ansprüche, insbesondere deliktische und bereicherungsrechtliche Ansprüche sowie zur Tatsachenfeststellung angewendet werden. Daher die erweiterte Definition. Der Begriff des Unternehmers wurde nicht neu aufgesetzt und lässt sich weiterhin aus § 14 BGB entnehmen.

Die Musterfeststellungsklage dient gemäß § 606 I 1 ZPO  in erster Linie dazu, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen (sog. Feststellungsziele) in einem Musterurteil festzustellen. Im Falle von VW ist eines der Feststellungsziele, dass der Volkswagen-Konzern durch Einsatz von Manipulationssoftware Verbraucher vorsätzlich geschädigt hat. Der Verbraucher muss jedoch – um den begehrten Schadensersatz zu erhalten – im Anschluss entweder an das Musterurteil individuell seinen Schadensersatz gesondert einklagen oder das Musterfeststellungsverfahren endet mit einem Vergleich. Auf beide Varianten wird an anderer Stelle in diesem Beitrag näher eingegangen.

Der Verfahrensablauf

Der Verbraucher klagt bei der Musterfeststellungsklage nicht selbst gegen das Unternehmen. Vielmehr klagen ausschließlich sogenannte qualifizierte Einrichtungen, welche satzungsgemäß Aufgaben im Verbraucherinteresse wahrnehmen. Diese Einrichtungen müssen eine Reihe von Kriterien erfüllen. So müssen sie über eine Mindestmitgliederzahl (10 Verbände oder 350 natürliche Personen) verfügen und mindestens vier Jahre beim Bundesamt für Justiz gelistet oder in einem Verzeichnis der EU Kommission eingetragen sein. Weiterhin dürfen sie nicht gewinnorientiert arbeiten und sich bis auf einen ganz geringen Anteil von unter 5 % nicht aus Unternehmenszuwendungen finanzieren. Ziel des Ganzen ist es, dem Schreckgespenst der Klägerindustrie entgegenzuwirken und kommerzielle Akteure sowie unseriöse Verbände auszuschließen. Aktuell erfüllen 78 deutsche Verbände die genannten Voraussetzungen. Die qualifizierte Einrichtung darf die Musterfeststellungsklage erst erheben, wenn sie mindestens 10 gleichartig geschädigte Verbraucher vorweisen kann.

Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) führt das Klageregister, in welchem die Klage 14 Tage nach Erhebung veröffentlicht wird. In diesem elektronischen Register können die vom Sachverhalt betroffenen Verbraucher ihre Ansprüche kostenfrei – und ohne Inanspruchnahme eines Anwaltes – ohne vorherige inhaltliche Prüfung anmelden.  Diese Anmeldung entfaltet verjährungshemmende Wirkung und kann bis zu Beginn des ersten Verhandlungstages erfolgen. Sie kann bis zum Ende des ersten Verhandlungstages noch zurückgenommen werden. Das Verfahren beginnt, wenn sich zwei Monate nach der öffentlichen Bekanntmachung mindestens 50 Verbraucher registriert haben. Da der Instanzenzug für die Musterfeststellungsklage verkürzt wurde, sind die Oberlandesgerichte am Sitz des inländischen Unternehmens  als Eingangsinstanz für die Verhandlung und Entscheidung zuständig. (Das Musterurteil ist revisionsfähig und wird in zweiter und letzter Instanz vor dem Bundesgerichtshof verhandelt.)

Sobald die Musterfeststellungsklage rechtshängig geworden ist, kann keine weitere den gleichen Lebenssachverhalt betreffende Klage dieser Art erhoben werden. Es besteht eine entsprechende Sperrwirkung. Für Individualklagen hingegen gilt dies nicht, sodass diese parallel  fortgesetzt werden können. Das Verfahren kann auf zwei Wegen, durch Urteil oder Vergleich, beendet werden.

Das Musterfeststellungsurteil wirkt zunächst nur inter partes zwischen dem Verband und dem Unternehmen. Im § 613 I ZPO ist allerdings normiert, dass das Urteil auch Bindungswirkung für den angemeldeten Anspruchsinhaber und dem für die Individualklage zuständigen Gericht entfaltet. Das Musterurteil wird im Klageregister veröffentlicht. Die dient dazu, die angemeldeten Personen darauf aufmerksam zu machen, dass es nun an der Zeit für den nächsten Schritt ist und falls gewünscht Individualklage erhoben werden muss.

Die Prozessparteien können auch einen gerichtlich genehmigten Vergleich schließen, bei welchem das Gericht vorab prüft, ob die Kompensation angemessen ist. Anders als beim Urteil, kann der Verbraucher aus dem Vergleich austreten. Der genehmigte Vergleich wird dem Verbraucher zugestellt und ab diesem Zeitpunkt hat er einen Monat Zeit um ggf. auszutreten. Der Vergleich kommt endgültig nur zustande, wenn weniger als 30 % der angemeldeten Verbraucher von der Option zum Austritt Gebrauch gemacht haben.

Kritische Aspekte der Musterfeststellungsklage

Die Musterfeststellungsklage ist, wie bereits im Wortlaut enthalten, lediglich eine Feststellungsklage. Der Verbraucher muss, im Anschluss an das Musterfeststellungsverfahren seinen Leistungsanspruch individuell durchsetzen. Ein aus der Perspektive des Verbrauchers insgesamt sehr langwieriger Weg. Folglich würde es sich für den Geschädigten anbieten, nach Erlass des Musterfeststellungsurteils einen außergerichtlichen Vergleich mit dem Unternehmen anzustreben. Die beklagten Unternehmen sind dazu allerdings nicht verpflichtet. Somit haben die Unternehmen die Möglichkeit eine Abwägungsentscheidung zu treffen und sich entweder auf den außergerichtlichen Vergleich mit dem Verbraucher einzulassen oder das Risiko eines Individualklageverfahrens einzugehen. Darüber hinaus wird die Begrenzung des Anwendungsbereiches der Musterfestellungsklage kritisiert, da diese Klagemöglichkeit ausschließlich dem Verbraucher vorbehalten ist und gerade nicht für Gewerbetreibende sowie kleine und mittlere Unternehmen. Diese müssen Individualklage erheben, können diese allerdings auf Antrag aussetzen, um die Entscheidung aus dem Musterfestellungsverfahren abzuwarten und sich auf das daraus ergangene Urteil im Rahmen ihres Individualklageverfahrens zu berufen.

Fazit

Der Dieselabgas-Skandal hat deutlich gezeigt, wie wesentlich die Einführung einer angemessenen Möglichkeit zur kollektiven Klage in Deutschland war. Die vor Einführung der Musterfeststellungsklage existierenden Instrumente wären nicht ausreichend bzw. ungeeignet gewesen, um Massenschäden dieser Art geltend zu machen. Ebenso würden Individualklagen die erstinstanzlichen Zivilgerichte extrem belasten. Aber auch die Hürde für den Verbraucher, seinen im Verhältnis zum extrem hohen Kostenaufwand geringen Schaden geltend zu machen, ist nun signifikant geringer. Das Musterfeststellungsverfahren soll nun zentrale Rechtsfragen gebündelt an einem Ort klären. Das schont nicht nur die Ressourcen der Gerichte, sondern schafft für alle Beteiligten Rechtssicherheit und Rechtsschutz und steht darüber hinaus im Einklang mit dem Prinzip der Prozessökonomie. Da die mehrfache Klärung der gleichen Sachverhalte an unterschiedlichen Gerichten das Risiko in sich birgt, dass unterschiedliche Urteile ergehen könnten.

Mit Einführung der Musterfeststellungsklage gibt es nunmehr ein angemessenes Instrument an dem sich der geschädigte Verbraucher, wenn auch an vereinzelte Bedingungen geknüpft, bedienen kann um seine Interessen einfacher durchzusetzen. Gleichzeitig werden rechtswidrig handelnde Unternehmen entsprechend zur Verantwortung gezogen und ihre Machtposition gegenüber der Gruppe der Verbraucher erheblich geschwächt.