Am 07. August 2018 erklärte Elon Musk, CEO der Tesla Inc., per Tweet, dass sich das Unternehmen bei einem Aktienwert von $ 420 US-Dollar von der Börse zurückziehen wird („Am considering taking Tesla private at $420. Funding secured.“). Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Das Transaktionsvolumen sowie der Aktienkurs von Tesla schossen kurzzeitig in die Höhe und fielen schon bald wieder rasant ab. Die Entwicklung war so verheerend, dass die Technologie-Börse Nasdaq den Handel mit Aktien der Tesla Inc. am Nachmittag nach dem Tweet aussetzte. Auf den Druck der Öffentlichkeit zog Elon Musk seine Aussage wenige Tage später wieder zurück.

Der Rückzug von der Börse ist eine unternehmerische Entscheidung, die weitreichende Auswirkungen u. a. für die Anleger der Gesellschaft haben kann. Der folgende Beitrag hat den Umgang mit dem sogenannten Delisting in Deutschland zum Thema. Im Fokus steht dabei die höchstrichterliche Rechtsprechung der letzten Jahre und inwieweit der Anlegerschutz davon beeinflusst wurde.

Zuständigkeiten der Hauptversammlung

In Deutschland üben Aktionäre einer Gesellschaft ihr Recht über die Hauptversammlung aus. Deren Zuständigkeiten sind gemäß § 119 Abs. 1 AktG klar definiert. Außerdem normiert § 119 Abs. 2 AktG, dass die Hauptversammlung über Fragen der Geschäftsführung nur entscheiden kann, wenn der Vorstand dies verlangt. Über die genannten geschriebenen Zuständigkeiten hinaus, hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit auch ungeschriebene Zuständigkeiten entwickelt. So entschied der BGH bereits 1982 im „Holzmüller“-Urteil, dass der Vorstand die Verpflichtung hat, einen Hauptversammlungsbeschluss dann einzuholen, wenn er eine Maßnahme plant, die schwerwiegend in die Aktionärsinteressen eingreift. Der Beitrag zum „Holzmüller“-Urteil ist hier zu finden.

Begriffsbestimmung und Abgrenzung

Reguläres Delisting vs. Kaltes Delisting

Unter dem regulären bzw. echten Delisting wird der Rückzug einer börsennotierten Aktiengesellschaft vom regulierten Markt verstanden. Dies geschieht mittels Zulassungswiderruf der Zulassungsstelle durch einen Verwaltungsakt auf Antrag der Gesellschaft gemäß § 39 Abs. 2 S. 1 BörsG.
Vom regulären ist das kalte bzw. unechte Delisting zu unterscheiden. Der Börsenrückzug erfolgt in diesem Fall nicht durch Antrag des Emittenten, sondern aufgrund der Umsetzung von gesellschaftsrechtlicher Strukturmaßnahmen. Ein kaltes Delisting tritt etwa bei der Verschmelzung der börsennotierten Gesellschaft auf einen anderen, nicht börsennotierten, Rechtsträger gemäß § 2 ff. UmwG ein. Ebenso resultiert aus einem Formwechsel nach §§ 190 ff. UmwG oder eine Vermögensübertragung nach § 174 UmwG das kalte Delisting.
Wird von mehreren Börsennotierungen nur ein Teil aufgehoben, spricht man vom Teilrückzug bzw. partiellem Delisting.

Delisting ist kein Downlisting

Das Delisting ist nicht mit dem Downlisting zu verwechseln. Beide erfahren u. a. beim Anlegerschutz eine ähnliche Behandlung. Das Downlisting aber beschreibt den Wechsel einer börsennotierten Aktiengesellschaft vom regulierten in einen nicht regulierten Markt, dem sogenannten Freiverkehr. Dessen privatrechtliche Ausgestaltung hat zur Folge, dass das Schutzniveau für Anleger, im Gegensatz zum regulierten Markt, vom jeweiligen Börsenbetreiber abhängt.

Delisting – damals bis heute

Bis zum Jahr 2002 herrschte allgemein Rechtsunsicherheit bezüglich des Umgangs mit Aktionärsrechten, wenn sich die Aktiengesellschaft von der Börse zurückzog. Der § 39 Abs. 2 BörsG aF forderte lediglich, dass „der Widerruf nicht dem Schutz der Anleger widersprechen darf“. Wie der Anlegerschutz auszulegen war, wurde allerdings nicht hinreichend definiert.

Die „Macrotron“-Entscheidung des BGH

Im Jahr 2002 räumte der BGH in seinem „Macrotron“-Urteil erstmals auch für das Delisting ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten ein und entwickelte gleichzeitig Grundsätze für das Delisting. Er ging davon aus, dass eine Entscheidung der Hauptversammlung herbeizuführen sei und dem Aktionär eine Entschädigung zusteht, da der Börsenrückzug mit finanziellen Nachteilen für diesen verbunden ist. Diese Entschädigung sollte fortan durch ein Pflichtangebot von der Gesellschaft selbst oder dem Großaktionär vorgenommen werden und war mittels Spruchverfahren überprüfbar. Der BGH begründete seine Ansicht nicht mit § 119 Abs. 2 AktG, wie im „Holzmüller“-Urteil, sondern legt dar, dass die Aktionärsstellung dem grundgesetzlichen Eigentumsschutz gemäß Art. 14 Abs. 1 GG unterliege. Der Rückzug aus dem amtlichen Handel oder vom geregelten Markt würde dem Aktionär den Markt nehmen, „der ihn die Lage versetzt, den Wert seiner Aktien jeder Zeit durch Veräußerung zu realisieren“.

BVerfG entzieht „Macrotron“ die Grundlagen

10 Jahre später entzog das BVerfG mit seiner Entscheidung zum Delisting dem „Macrotron“-Urteil jedoch den verfassungsrechtlichen Boden. Nach Einschätzung der obersten Verfassungshüter berührt der Widerruf der Börsenzulassung den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts des Aktionärs gemäß Art. 14  Abs. 1 GG eben nicht.
Verfassungsrechtlich gesichert ist zwar die rechtliche Verkehrsfähigkeit, also die Handelbarkeit der Aktie insgesamt. Einzelne wertbildende Faktoren, die die tatsächliche Verkehrsfähigkeit steigern, liegen hingegen grundsätzlich außerhalb des Schutzzwecks. Dazu zählen etwa der bloße Vermögenswert des Aktieneigentums oder die Handelbarkeit am regulierten Kapitalmarkt. Beides erhöht demnach lediglich die Veräußerungschancen.
Das soll zumindest dann gelten, wenn durch den Börsenrückzug kein signifikanter Kursverfall eintritt.
Verfassungsrechtlich unbedenklich wäre hingegen ein „[…]von den Fachgerichten im Wege einer Gesamtanalogie zu den Vorschriften über andere gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen verlangtes, gerichtlich überprüfbares Angebot der Gesellschaft[…]“.
Vor allem unter Berücksichtigung des letzten Gesichtspunkts war in Literatur und Praxis angenommen worden, dass der BGH die „Macrotron“-Rechtsprechung fortsetzt. Weitere Informationen zur Entscheidung des BVerfG sind hier zu finden.

Die „Frosta“-Entscheidung des BGH

Die Ausführungen des BVerfG nahm der BGH in seiner „Frosta“-Entscheidung vom 08.10.2013 jedoch zum Anlass, seine „Macrotron“-Trias aufzugeben. Die Mitwirkungspflicht der Hauptversammlung, den Abfindungsanspruch von Minderheitsaktionären und die Überprüfung des Abfindungsangebots mittels Spruchverfahren lehnten die Richter ab. Damit wurde die Entscheidung über den Verbleib am Kapitalmarkt wieder zurück in die Hände des Vorstands gegeben.
Die Begründung: Die in Frage kommenden Analogiemöglichkeiten, die als rechtliche Grundlage für eine Rechtsprechungsfortführung hätten dienen können, sind nicht anwendbar.
Die Richter des II. Zivilsenats führen diesbezüglich aus, dass weder aus dem Umwandlungs- noch dem Aktiengesetz Normen für eine entsprechende Anwendung heranzuziehen seien.
So stellt u. a. § 29 Abs. 1 S. 1 UmwG kein sich auf das Delisting erstreckenden Rechtsgrundsatz dar. Eine Gesamtanalogie zu gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen nach §§ 305, 320b, 327b AktG, §§ 29, 207 UmwG, ist abzulehnen, da die Binnenstruktur der Gesellschaft durch den Zulassungswiderruf keine Veränderung erfährt. Somit liegt keine vergleichbare Strukturmaßnahme vor.
Abschließend beurteilen die Richter den sich aus § 39 Abs. 2 S. 2 BörsG aF ergebenden Anlegerschutz als ausreichend. Weitere Informationen zur „Frosta“-Entscheidung sind hier zu finden.

Neufassung des § 39 BörsG

In Folge der „Frosta“-Entscheidung des BGH kam es zu einer regelrechten Rückzugswelle von den deutschen Wertpapierbörsen. Von 18 Down- oder Delistinganträgen in Deutschland 2012 und 2013 gesamt, kam es zu rund 50 in 2014 und knapp 40 in 2015. Weitere Zahlen und Informationen zu den Down- und Delistings der vergangenen Jahre sind hier zu finden.
Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie und der damit einhergehenden Neuregelung des § 39 BörsG entwickelte der Gesetzgeber einen Anlegerschutz vor dem Börsenrückzug. Damit entschied man sich für eine kapitalmarktrechtliche Lösung.
Nach § 39 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BörsG ist der Widerrufsantrag mit dem Ziel des vollständigen Börsenrückzugs nunmehr zulässig, wenn dem Antrag ein Erwerbsangebot aller Aktien nach den Vorschriften des WpÜG beigefügt ist. Absatz 3 der Norm legt ergänzend fest, dass dieses Angebot nicht bedungen und nur auf eine Barabfindung lauten darf. Die Höhe muss dabei dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs der Wertpapiere während der letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlagen entsprechen muss.
Der Rechtsschutz ist auf verwaltungsrechtlichem Wege zu verwirklichen. Der Emittent kann mittels Vorstand den Widerrufsanspruch per Leistungsklage durchsetzen. Der (Minderheits-)Aktionär kann ebenfalls vor dem zuständigen Verwaltungsgericht gegen eine rechtswidrige Widerrufsentscheidung vorgehen und das Abfindungsangebot und dessen Höhe zivilgerichtlich prüfen lassen.

Fazit

In Folge der „Frosta“-Entscheidung wurde deutlich, dass ein voraussetzungsloses Delisting Unternehmen zum Börsenrückzug ermutigt. Zudem hat der Fall Elon Musk eindrucksvoll gezeigt, dass die Ankündigung eines Börsenrückzugs weitreichende Auswirkungen auf den Wert der betroffenen Aktien haben kann und der Anleger ohne angemessenen Schutz unter Umständen erhebliche Verluste erleidet. Unter diesen beiden Gesichtspunkten ist es erfreulich, dass der Gesetzgeber dem Ruf nach einem gesetzlichen Aktionärsschutz beim Börsenrückzug nachgekommen ist.
Die kapitalmarktrechtliche Lösung in Form des § 39 BörsG nF sichert dem Anleger durch die beschriebenen Rechtsschutzmöglichkeiten einen angemessenen Abfindungsanspruch.