Gemäß § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) steht jedem Arbeitnehmer nach einer Dauer des Arbeitsverhältnisses von vier Wochen Entgeltfortzahlung zu, wenn er krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist und dies nicht selbst zu verschulden hat. Des Weiteren muss sich dieser Arbeitnehmer gem. § 5 EFZG beim jeweiligen Arbeitgeber unverzüglich krankmelden und erhält folglich einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zu einer Dauer von sechs Wochen. Doch gilt dies auch bei einer Krankmeldung nach einer Alkoholvergiftung mit 4,9 Promille? Das BAG hat hier einen Einzelfall im Urteil vom 18.03.2015, Az. 10 AZR 99/14 (BAG, Urteil vom 18.03.2015, 10 AZR 99/14) wie folgt entschieden.
Sachverhalt
Vorliegend wurde Herr L. mit einer Alkoholvergiftung in ein Krankenhaus eingeliefert und war daraufhin zehn Monate arbeitsunfähig. Herr L. war alkoholabhängig und unterzog sich bereits zwei stationären Entzugstherapien. Seine gesetzliche Krankenkasse, hier die Klägerin, leistete ihm für den Zeitraum von einem Monat Krankengeld in Höhe von 1.303,36 Euro. In dieser Höhe möchte die Klägerin Ansprüche auf Entgeltfortzahlung aus übergegangenem Recht (§ 115 SGB X) gegenüber der Beklagten geltend machen. Die Beklagte war hier die Arbeitgeberin des Herrn L.
Fraglich ist nun, ob ein Entgeltfortzahlungsanspruch vorlag bzw. ob Herrn L. bei solch einer Alkoholvergiftung ein Verschulden traf oder nicht? Das BAG entschied im vorliegenden Fall, dass nicht von einem Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes ausgegangen werden konnte. Mit der Begründung, dass Alkoholabhängigkeit eine Krankheit im medizinischen Sinne ist und „(…)die Entstehung der Alkoholsucht vielmehr multikausal ist, wobei sich die unterschiedlichen Ursachen wechselseitig bedingen. Dies gilt im Grundsatz auch bei einem Rückfall nach einer durchgeführten Therapie.“ Nach durchgeführten Rehabilitationsmaßnahmen ist jedoch das Verschulden nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Der Arbeitgeber kann das fehlende Verschulden bestreiten und daraufhin hat das jeweilige Arbeitsgericht ein medizinisches Sachverständigungsgutachten einzuholen. Wenn dieses allerdings nicht eindeutig festzustellen ist, wird zu Lasten des Arbeitgebers entschieden. Im vorliegenden Fall hatte das sozialmedizinische Gutachten ein Verschulden des Herrn L. unter Hinweis auf die langjährige und chronische Alkoholabhängigkeit und dem daraus folgenden „Suchtdruck“ ausgeschlossen.
Herr L hatte somit Anspruch auf Entgeltfortzahlung und die Klägerin konnte ihre Ansprüche gegenüber der Beklagten geltend machen.
Kündigung
Im Einzelfall der Alkoholabhängigkeit gelten die Grundsätze für die krankheitsbedingte Kündigung, d.h. es kommt die personenbedingte Kündigung und keine verhaltensbedingte Kündigung zur Anwendung.
Voraussetzung der personenbedingten Kündigung ist eine negative Prognose der Arbeitsfähigkeit festzustellen. Des Weiteren muss eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen vorliegen und es darf kein milderes Mittel in Frage kommen. Außerdem muss eine Interessenabwägung stattgefunden haben.
Im vorliegenden Fall konnte mit Hilfe der personenbedingten Kündigung gekündigt werden.
Jedoch ist klarzustellen, dass bei Therapiefähigkeit und Therapiewilligkeit des Arbeitnehmers in der Regel ohne vorherige Therapie keine negative Prognose getroffen werden kann.
Fazit
In Anbetracht der Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit hinsichtlich Alkoholabhängigkeit ist der Einzelfall entscheidend.
Unstrittig ist, dass Alkoholabhängigkeit eine Krankheit im medizinischen Sinne ist und, dass bei Therapiewilligkeit meist kein Verschulden des Arbeitnehmers vorliegt und dieser Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat.
Demnach hat das BAG die Alkoholabhängigkeit konsequent von dem einmaligen Komatrinken abgegrenzt. Hier ist entscheidend, dass die Alkoholabhängigkeit eine Krankheit ist und ein einmaliges Komatrinken nicht – sondern ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers gegenüber des Arbeitgebers. Vertragswidrig verhält sich ein Arbeitnehmer, wenn er grundlos und schuldhaft gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verstößt. Im Hinblick auf das sogenannte Trinkgelage wäre eine verhaltensbedingte Kündigung (mit vorheriger Abmahnung) möglich.
Die Alkoholkrankheit ist und bleibt weiterhin ein aktueller Fall in der Unternehmenspraxis mit hoher Brisanz. Insbesondere die Abgrenzung des BAG zum einmaligen „Komatrinken“ ist sehr wichtig und stellt einen konsequenten Schritt für die Alkoholabhängigkeit als anerkannte Krankheit dar.
Allerdings geht es konkret in der Entscheidung des BAG darum, ob die Krankenkasse das bereits geleistete Krankengeld nach der fristlosen Kündigung zurück erhält, da die Arbeitgeberin und der Arbeitnehmer sich durch das Kündigungsschutzverfahren auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.12.2011 geeinigt hatten. Aufgrund der zeitlichen Verschiebung des Beendigungszeitraumes vom 28.11.2011 auf den 30.12.2011 hat die Krankenkasse das Krankengeld gezahlt, obwohl die Arbeitgeberin hätte dies gem. § 3 EFZG zahlen müssen. Die 6-Wochen-Entgeltfortzahlung entfiel somit nicht für die Arbeitgeberin und muss diese nun an die Krankenkasse erstatten. Die Alkoholabhängigkeit als Krankheit an sich, wurde bereits oft thematisiert. In der Entscheidung insbesondere geht es weiterhin um die Definition eines Alkoholabhängigen und der damit zur Krankheit gehörenden einmalige, exzessive Alkoholmissbrauch, der mit einer Alkoholvergiftung einher geht. Die Entscheidung des BAG ist gerechtfertigt.
Fraglich ist darüber hinaus die Angabe von 4 Wochen im oberen Teil Ihres Blog-Eintrags, welches Sie mit § 3 EFZG belegt haben. Im gleichnamigen Paragraphen findet sich nur die Angabe der 6 Wochen als Entgeltfortzahlung seitens des Arbeitgebers.
In der Praxis sollte der Arbeitgeber beim ersten Auftreten des Verdachts einer Alkoholkrankheit frühzeitig aktiv werden und eine Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen prüfen. Es kommt auf die zugrunde liegende Krankheit – der Alkoholabhängigkeit – an. Der Arbeitgeber sollte schnell einschreiten und therapeutische Maßnahmen fordern, solange damit zu rechnen ist, dass der Arbeitnehmer noch therapiefähig und in der Lage ist, seine Fähigkeit im Hinblick auf den Alkoholkonsum zu steuern. Das BAG geht davon aus, dass bei langjährigem Alkoholkonsum der Arbeitgeber den Missbrauch wohl nicht zu verschulden hat und ein Therapieerfolg nicht zu erwarten ist. Demnach ist eine Entgeltfortzahlung zu leisten. Gegebenenfalls kann bei einem Rückfall von einer Fortsetzungserkrankung und nicht einer neuen Ersterkrankung ausgegangen werden.