Lehrende in juristischen Bachelorstudiengängen diskutieren, ob der juristische Gutachtenstil zur Anwendung kommen soll. Dagegen spricht, dass er – zu Recht! – als umständlich und hölzern wahrgenommen wird. Hier soll dargelegt werden, weshalb Gutachtenstil in der Lehre in juristischen Bachelorstudiengängen, insbesondere in den ersten Semestern, dennoch unbedingt gelehrt und geübt werden sollte.

Ziel des Studiums: Methodenwissen erlangen

Wirtschaftsjuristen sollen im Unternehmen Rechtsfragen lösen und Regelungsvorschläge machen. Sie sollen sich in unbekannte Materien einarbeiten können. Dafür brauchen sie Methodenwissen, müssen die Auslegung von Gesetzen und Willenserklärungen beherrschen und juristisch argumentieren können. Das lernt man, indem man exemplarische Fälle löst. Dasselbe Methodenwissen wie für das Lösen von Rechtsfällen benötigen Absolventinnen und Absolventen auch für rechtsgestaltende Tätigkeiten. Auch diese bauen auf der Fähigkeit auf, juristische Fragen zu beantworten, also Fälle zu lösen. Schließlich ist, bevor eine vertragliche Regelung entworfen werden kann, zu klären, wie die Rechtslage wäre, wenn eine entsprechende Regelung nicht existierte. Zudem muss der Rechtsgestalter prüfen, ob eine intendierte Regelung zulässig oder möglicherweise wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot unwirksam ist. Man kann daher mit Fug und Recht sagen, dass die Fähigkeit zur Rechtsanwendung zwingend der Fähigkeit zur Rechtsgestaltung vorausgehen muss.

Der juristische Syllogismus

Wie erlangen die Studierenden dieses Wissen? Wie entsteht die Fähigkeit, sich in neue Rechtsgebiete oder Rechtsfragen einzuarbeiten?

Zentraler Baustein der juristischen Argumentation und damit Gegenstand der juristischen Methodenlehre ist der sog. juristische Syllogismus. Eine Rechtsfolge tritt ein, wenn ein bestimmter Sachverhalt alle für diese Rechtsfolge maßgeblichen Tatbestandsmerkmale erfüllt. Ob die Rechtsfolge eintritt, kann daher nur in einem dreischrittigen, fragenden Verfahren ermittelt werden, das folgende Fragen beantwortet:

  • Welche Rechtsnorm enthält überhaupt die für den konkreten Fall maßgebliche Rechtsfolge?
  • Welche Tatbestandsmerkmale müssen erfüllt sein, damit die Rechtsfolge eintritt?
  • Mit welchen Sachverhaltsstücken lassen sich die Tatbestandsmerkmale ausfüllen?

Erst nach Durchlaufen aller drei Frageebenen steht das Ergebnis der juristischen Prüfung fest.

Der juristische Syllogismus ist nicht nur für die Falllösung von Bedeutung. Jede gute Argumentation folgt seinen Regeln, denn sie setzt voraus, dass man benennen kann, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit ein bestimmtes Ergebnis eintritt. Kritisiert werden kann das Argument dann auf verschiedenen Ebenen: Welches Voraussetzungen, Ziele oder Prämissen werden zugrunde gelegt? Ist die Prämisse überhaupt richtig gewählt? Folgt aus der Prämisse dasjenige, was im Argument aus ihr geschlossen wird oder sind Zusatzvoraussetzungen zu erfüllen? Erfüllt der diskutierte Sachverhalt die Kriterien? Verständnis für diese Zusammenhänge schafft ein Rechtsunterricht, der die juristische Denkweise in den Vordergrund stellt und thematisiert.

Dafür braucht man den Gutachtenstil!

Einen Text im Gutachtenstil zu schreiben bedeutet nichts anderes als einen juristischen Syllogismus sprachlich nachzuzeichnen. Man teilt dem Leser mit, welche Rechtsnorm auf einen Sachverhalt angewendet werden soll und welche Rechtsfolge aufgrund dieser Norm möglicherweise eintritt. Sodann nennt man die Tatbestandsmerkmale und beschreibt ihren Anwendungsbereich. Sodann wird der gegebene Sachverhalt darauf hin untersucht, ob die Tatbestandsmerkmale sämtlich vom Sachverhalt gedeckt sind. Erst danach lässt sich ein Ergebnis festhalten. Daraus ergibt sich, dass ein Gutachten in fragend-abwägendem Stil verfasst wird, aus dem hervorgeht, dass das Ergebnis erst feststeht, wenn alle Tatbestandsmerkmale überprüft sind. Ergebnisse werden erst nach vollständiger Abwägung und Herleitung präsentiert.

Aber: Die Texte sind hässlich!

Texte, die den juristischen Syllogismus ausbuchstabieren sind in der Regel klar strukturiert und logisch aufgebaut. Schön sind sie nicht. Ein im Gutachtenstil geschriebener Text wirkt manchmal schwerfällig, formelhaft und umständlich, vielleicht auch schwer lesbar oder gestelzt. Der Eindruck des schwer verwertbaren Texts wird noch erhöht, wenn Juristen in den häufigen Fehler verfallen, im Nominalstil Girlanden von Genitiven zu bilden oder mit Passivkonstruktionen den Akteur und Verantwortlichen für ein bestimmtes Ergebnis zu verschleiern. Die genannten sprachlichen Fehler sind aber kein Merkmal des Gutachtenstils. Lediglich die fragend-abwägende Haltung kennzeichnet sie, damit ein gewisses Übermaß von Formulierungen wie „dazu müsste…“, „fraglich ist…“, „es ist zu prüfen, ob…“. Der geübte Verfasser von Gutachten kann auch auf diese Stereotype sehr weitgehend verzichten.

Dem Entstehen der Lösung zusehen

Wesentlich ist aber die positive Bedeutung des Gutachtens. Es verdeutlicht einen gedanklichen Prozess und macht diesen nachvollziehbar und damit kritisierbar. Er ist daher für eine anspruchsvolle juristische Argumentation unverzichtbar. Für die praktische Anwendung ist das Gutachten zudem ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zu einem gut verständlichen, klar strukturierten Text. Erst wenn alle Tatbestandsmerkmale gutachterlich betrachtet sind, lässt sich etwa eine Schwerpunktbildung vornehmen. In der juristischen Ausbildung ist der Gutachtenstil unverzichtbar, denn er ist ein Ausdruck des juristischen Denkens, das ohne den juristischen Syllogismus nicht auskommt. Schreitet man in der Ausbildung fort, gelingt es, das Gutachten als Basis zu verwenden, das den Empfänger nicht mehr erreicht. Die Ergebnisse des Gutachtens werden dann in eine andere Textform, etwa ein Beratungsschreiben oder ein Urteil, aber auch Gestaltungserklärungen wie Kündigungen oder Vertragsangebote gegossen. Diese setzten aber zwingend gutachterliche Überlegungen voraus, die dann später in eine andere Sprachform gebracht werden. Wie einem Urteil eine Relation (ein erweitertes Gutachten, verfasst im Gutachtenstil) vorausgeht, geht auch jedem Beratungsschreiben eine entsprechende Begutachtung, sei sie ausdrücklich niedergelegt oder nicht, voraus.

Gutachtenstil ist eine Vorübung, nicht das Ziel

An Juristen und erst recht an Wirtschaftsjuristen wird zu Recht die Anforderung gestellt, gefundene Ergebnisse in ansprechender Sprache knapp, stringent und auch für juristische Laien verständlich darzustellen.

Gleichzeitig verlangt man von ihnen, dass das gefundene Ergebnis belastbar ist. Das Schreiben verständlicher und praxistauglicher Rechtstexte setzt also voraus, dass zuvor eine korrekte gutachterliche Stellungnahme entstanden ist. Fortgeschrittene Juristen schreiben diese nicht mehr in allen Fällen nieder, Studierende zu Beginn ihrer Ausbildung müssen aber zunächst das Finden des richtigen Ergebnisses lernen, bevor sie üben können, dieses in verständliche und knappe Worte zu fassen. Gerade für den Beginn des Studiums ist daher das Üben des Gutachtenschreibens meines Erachtens von ganz zentraler Bedeutung.