Bei den international tätigen Gesellschaften kommt es oft in Frage, welches Recht auf ihre innere und äußere Organisation Anwendung findet. Nach welchem Recht richten sich Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft, was passiert wenn die Gesellschaft in ein anderes Land umzieht – diese Fragen bilden den Gegenstand des Gesellschaftskollisionsrechts. Im folgenden Blogbeitrag wird versucht diese Problematik zu beleuchten.

Den zentralen Begriff des Gesellschaftskollisionsrechts bildet das Gesellschaftsstatut, das auf eine Gesellschaft anzuwendende Recht bestimmt. Der Weg, auf dem das Gesellschaftsstatut ermittelt werden kann, kann unterschiedlich sein. In der Welt werden vor allem zwei Theorien vertreten: die Sitztheorie und die Gründungstheorie.

Sitztheorie

Die Sitztheorie unterwirft eine Gesellschaft zwingend dem Recht des Staates, in dem sie ihren jeweiligen tatsächlichen Verwaltungssitz hat. Dies ist in der Regel dort der Fall, wo die Leitungsorgane der Gesellschaft tätig sind.

Durch Sitztheorie wird verhindert, dass eine Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einem Staat hat, während sie zugleich dem Recht eines anderen Staates untersteht, das nach der Meinung des Gründers besonders vorteihaft ist.

Wesentlicher Nachteil der Sitztheorie besteht darin, dass eine Gesellschaft, die in ein Land, wo die Sitztheorie gilt, umzieht, wird gezwungen, ihre Rechtsform zu ändern, sobald sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz verlegt. Die Gesellschaft muss sich also neu gründen. Allein schon durch diesen Umstand wird die Mobilität der Gesellschaft behindert. Die Niederlassungsfreiheit, die nach Art. 49 und 54 AEUV zu gewährleisten ist, wird somit durch die Sitztheorie beschränkt.

Gründungstheorie

Die Gründungstheorie knüpft an die Rechtsordnung an, nach der eine Gesellschaft gegründet wurde. Abgesehen von den Fällen, dass die Rechtsordnung durch die Parteien gewählt wurde, ist dies in der Regel das Recht des Staates, in dem die Gesellschaft auch faktisch gegründet wird. Im Gegensatz zur Sitztheorie, die eine Schutztheorie ist, stellt die Gründungstheorie die Freizügigkeit der Gesellschaften und ihrer Gründer als primäres Ziel in den Vordergrund.

Gegen die Gründungstheorie spricht aber, dass sie es ermöglicht, Gesellschaften nach dem Recht eines Staates zu gründen, zu dem diese Gesellschaft – abgesehen von der Gründung selbst – überhaupt keine Verbindungen hat.

Entscheidungen

Da jede Theorie ihre Vor- und Nachteile hat, ist es schwer zu beurteilen, welche besser ist. Verschiedene Länder wenden unterschiedliche Theorien an, so hat sich Großbritannien für die Gründungstheorie entschieden, während Frankreich und Deutschland die Sitztheorie vertreten. Die einheitliche europäische Regelung des Gesellschaftskollisionsrechts ist bisher nicht entstanden. Das hat dazu geführt, dass die in mehreren EU-Ländern tätigen Unternehmen auf viele Schwierigkeiten stoßen. Deswegen setzte sich der EuGH mit der Harmonisierung des europäischen Gesellschaftskollisionsrechts auseinander.

Centros-Entscheidung

Die Centros private limited company (Ltd.) war eine Gesellschaft nach englischem Recht, die in England von einem dänischen Ehepaar gegründet wurde, um die strengen dänischen Schutzvorschriften für Kapitalgesellschaften zu umgehen.

Das dänische Ehepaar wollte nun seine Geschäftstätigkeit in Dänemark aufnehmen und beantragte die dafür erforderliche Eintragung einer Zweigniederlassung bei der dänischen Zentralverwaltung. Diese lehnte die Eintragung mit folgender Begründung: Die Centros Ltd. umgehe mit ihrer Gründung in England die nationale Gesellschaftsrechtsordnung.

Jedoch hat der EuGH entschieden, dass ein Mitgliedstaat gegen die im AEUV statuierte Niederlassungsfreiheit verstößt, wenn er die Eintragung einer Kapitalgesellschaft mit dieser Begründung ablehnt. Deswegen kann ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates, die Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat gründen, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm die größte Freiheit einräumen.

Überseering-Entscheidung

Die Überseering BV, die nach dem Recht der Niederlande gegründet wurde, und wo sie auch ihren Satzungssitz hatte, verlegte ihren Verwaltungssitz nach Deutschland. In einer Rechtsstreit wurde die Überseering BV vom BGH wegen des Auseinanderfallens von Satzungssitz und Verwaltungssitz als nicht rechts- und parteifähig erklärt.

In diesem Fall sah es der EuGH als gemeinschaftsrechtswidrig an, wenn eine Gesellschaft, die nach dem Recht ihren Gründungslandes korrekt gegründet worden war und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, in einem anderen  Mitgliedstaat, in dem sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hat, nicht rechts- und parteifähig sein soll.

Demgemäß hat das Überseering-Urteil die Centros-Entscheidung auch für Deutschland bejaht. Aus diesen zwei Entscheidungen ergibt sich, dass eine Firma in einem Mitgliedstaat gegründet werden kann und dabei ausschließlich in einem anderem Mitgliedstaat tätig werden, ohne die Rechts- und Parteifähigkeit zu verlieren.

Sevic-Entscheidung

Die luxemburgische Security Vision Concept SA sollte welche auf die deutsche Sevic Systems AG verschmolzen werden. Das Amtsgericht verweigerte jedoch die Eintragung der Verschmelzung in das deutsche Handelsregister, weil § 1 UmwG grenzüberschreitende Verschmelzungen deutscher Gesellschaften untersagte. Der EuGH hat entschieden, dass mangelnde Eintragungsfähigkeit der Hineinverschmelzung einer ausländischen in eine deutsche Gesellschaft gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt.

Cartesio-Entscheidung

Obwohl man aus oben dargestellten Fällen schlussfolgern kann, dass vom EuGH die Gründungstheorie stark bevorzugt wird, ist das nicht immer der Fall. Sondern gibt es auch Entscheidungen, die Anwendung der Sitztheorie vorsehen.

Die ungarische Gesellschaft Cartesio beantragte beim ungarischen Handelsregistergericht die Verlegung ihres Sitzes nach Italien zu bestätigen. Dies wurde abgelehnt. Eine in Ungarn gegründete Gesellschaft könne nach ungarischem Recht ihren Sitz nicht unter Beibehaltung des ungarischen Personalstatuts ins Ausland verlegen. Das hielt die Gesellschaft Cartesio als Beschränkung ihrer Niederlassungsfreiheit.

Der EuGH hat entschieden, dass bei Sitzverlegungen unter Wahrung der bisherigen Eigenschaft als Gesellschaft des Wegzugsstaates der Wegzugsstaat die Verwaltungssitzverlegung beschränken darf oder sogar gänzlich verbieten, ohne dass die Niederlassungsfreiheit entgegensteht.

Demgemäß, unterliegen Gesellschaften bei einer grenzüberschreitenden Verlegung ihres Verwaltungssitzes weiterhin der Rechtsordnung ihres Errichtungsstaates.

Bedeutung der EuGH-Rechtsprechung

Aus diesen Fällen kann man schlussfolgern, dass mangels eines einheitlichen europäischen Gesellschaftskollisionsrechts der EuGH zwischen Anwendung der Sitz- und Gründungstheorie entscheiden musste. Die dargestellten Fälle zeigen, dass bei Gesellschaften aus den Mitgliedstaaten die Gründungstheorie nunmehr EU-weit Anwendung findet.

Und was die Drittstaaten angeht?

Im Hinblick auf Drittstaaten (Nicht-EU/EWR-Staaten) kann die Sitztheorie aber weiterhin zur Anwendung kommen, sofern nichts anderes durch bilaterale Abkommen vereinbart.

Das wird durch die Trabrennbahn-Entscheidung bestätigt, wo die schweizerische Gesellschaft mit dem Verwaltungssitz in Deutschland mangels Neugründung nicht parteifähig erklärt wurde. In diesem Fall hat der Bundesgerichtshof bestätigt, dass die Gründungstheorie im Verhältnis zur Schweiz nicht angewendet werden muss. Da die Schweiz kein Staat der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraums ist, wurde daher in Bezug auf ihre Gesellschaft die Sitztheorie angewandt.

Einheitliche Regelung – gescheitert

Wie oben schon erwähnt, wurde die Aufgabe der Harmonisierung des europäischen Gesellschaftskollisionsrechts vom EuGH übernommen. Jedoch hat auch der Gesetzgeber seit langem versucht die einheitliche Regelung in diesem Bereich zu schaffen, was ihm aber nicht gelungen ist. So ist “Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen” 1968, das grundsätzliche Anwendung der Sitztheorie vorsah, gescheitert.

Auch in Deutschland gab es Versuche, die Gesetzgebung mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang zu bringen. Dafür wurde 2008 ein Referentenentwurf zu einem Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften erarbeitet. Der enthielt aber mehrere Lücken und deswegen wurde seine Annahme auf unbestimmte Zeit verschoben.

Bilaterale Staatsverträge

Obwohl es kein europaweit geltendes Übereinkommen gibt, bestehen zwischen einigen Mitgliedstaaten sowie Drittstaaten bilaterale Staatsverträge. Wie im Falle des Vertrags zwischen den USA und Deutschland (Deutsch- Amerikanischer Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag vom 29.10.1954), können sie ein effektives Mittel der Kollisionsregelung darstellen. Zwar dieser Vertrag als erfolgreich bezeichnet werden kann, sind aber im Allgemein die bilateralen Staatsverträge im Bereich Gesellschaftskollisionsrecht nicht besonders verbreitet.

Wie ist die Lage in Deutschland?

Das Internationale Gesellschaftsrecht entbehrt einer gesetzlichen Regelung zur Bestimmung des Personalstatuts von Gesellschaften. Die herrschende Literatur und höchstgerichtliche Rechtsprechung folgten bis vor kurzem der Sitztheorie. Aber nach den EuGH Entscheidungen, die wir ihnen oben dargestellt haben, ist die Sitztheorie nicht mit der in Art. 49 und 54 AEUV garantierten Niederlassungsfreiheit vereinbar. Dennoch wird in Deutschland an der Sitztheorie weitgehend festgehalten. Dies jedenfalls insoweit, als nicht zur EG gehörende Staaten betroffen sind. Der BGH hat sich aber für diejenigen Auslandsgesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des EWR gegründet worden sind, der Gründungstheorie angeschlossen. Dasselbe gilt für die Gesellschaften aus den Ländern, mit welchen Deutschland einschlägige Staatsverträge abgeschlossen hat.

Gibt`s Alternative?

Da die gesetzliche Regelung fehlt, und die EuGH-Entscheidungen nicht alle Aspekten des Gesellschaftskollisionsrechts decken, besteht bis heute das Kollisionsproblem. Um dies zu vermeiden, ist es empfehlenswert, für Unternehmen, die in verschiedenen EU-Ländern tätig sind, für sich eine besondere autonome Rechtsform zu wählen, die international ausgerichtet ist, nämlich Europäische Gesellschaft (Societas Europaea, kurz SE). Nationales Recht findet hier nur dann Anwendung, wo die SE-Verordnung keine Regelung vorsieht. Demgemäß entfällt mit der Verwendung dieser Rechtsform die Notwendigkeit, das für die Gesellschaften  anzuwendende Recht zu bestimmen.

Im Überblick

Bis heute gibt es keine einheitliche Regelung des Gesellschaftskollisionsrechts in der EU. In der Literatur sind zwei herrschende Eingehen zur Bestimmung des Personalstatutes entstanden: Sitz- und Gründungstheorie. Die beiden sind in den europäischen Ländern vertreten. Solche unterschiedlichen Regelungen führen zu Auseinandersetzungen und legen Hindernisse in den Weg von europaweit tätigen Unternehmen. All dies widerspricht den europäischen Grundsätzen der Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit. Deswegen setzte sich der EuGH mit der Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts auseinander. Seine Rechtsprechung führt zur Anwendung der Gründungstheorie in Bezug auf die Gesellschaften aus den EU-Staaten. Im Hinblick auf Drittstaaten kann aber weiterhin die Sitztheorie zur Anwendung kommen, sofern nichts anderes durch bilaterale Abkommen vereinbart.