Urteilsbesprechung: BGH, Urt. v. 16. 2. 2009 – II ZR 120/07Qivive

Mit der Qivive-Entscheidung entschied der Bundesgerichtshof am 16. Februar 2009 über die Anwendbarkeit der Grundsätze der verdeckten Sacheinlage auf Dienstleistungen einer GmbH-Gesellschafterin und das „Hin- und Herzahlen“ von Einlagemitteln – jeweils unter Berücksichtigung der durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) eingeführten Neufassungen von § 19 Abs. 4 und Abs. 5 GmbHG. Des Weiteren beinhaltet das Urteil Überlegungen zur Umqualifizierung von Dienstleistungsverpflichtungen eines Gesellschafters zu Eigenkapitalersatz nach alter Fassung der §§ 30 ff. GmbHG.

Sachverhalt

Die Qivive GmbH war eine 1991 gegründete Gesellschaft, welche ein elektronisches Reservierungs- und Vertriebssystem für Eintrittskarten zum Geschäftsgegenstand hatte. Alleinige Gesellschafterin war ab 1997 die A-GmbH (eine Tochtergesellschaft der Lufthansa), dies änderte sich im Jahr 2000 als die beklagte Gesellschaft – ein bekanntes Medienunternehmen – und die D-AG sich an der Qivive GmbH beteiligten und diese gemeinsam zu einem Internetmarktplatz für Reisen und Veranstaltungen erweitern wollten.

Die D-AG und die A-GmbH leisteten ihre Einlagen als Sacheinlagen in Form von Rechtsübertragungen an benötigter Software. Die Beklagte hingegen leistete eine Bareinlage in Höhe von 5 Mio. Euro. Darüber hinaus wurde zwischen der Beklagten und der Qivive GmbH ein schuldrechtlicher Media-Vertrag über die entgeltliche Erbringung von Leistungen bzgl. Werbung sowie Internetauftritt im Wert von bis zu 82,5 Mio. DM geschlossen, wobei das zu leistende Entgelt auf maximal 10 Mio. DM gedeckelt wurde. Kurze Zeit später leistete die Beklagte nach einer Kapitalerhöhung weitere 5 Mio. Euro Bareinlage.

Aus dem schuldrechtlichen Media-Vertrag nahm die Qivive GmbH Leistungen in Anspruch die sie mit insgesamt knapp 3,5 Mio. Euro zu marktüblichen Preisen vergütete, weitere Leistungen einer Agentur, an welcher die Beklagte beteiligt war, wurden ebenfalls marktüblich mit knapp 800.000 Euro vergütet.

Im April 2002 stellte die Qivive GmbH einen Insolvenzantrag, infolgedessen erhob die Insolvenzverwalterin Klage gegen die Gesellschafterin.

Ziel der Klage war es, die Beklagte zur erneuten Zahlung der Bareinlage in Höhe von 5 Mio. Euro zu verpflichten, da sie nach Ansicht der Klägerin durch den zeitgleichen Abschluss des schuldrechtlichen Werbe- und IT-Vertrag eine verdeckte Sacheinlage geleistet habe und somit die Bareinlageverpflichtung nicht erfüllt hätte.

Entscheidung

Nachdem die Klage der Insolvenzverwalterin in den vorigen Instanzen erfolglos geblieben war, wurde die Entscheidung des Berufungsgerichts durch den BGH aufgehoben und an dieses zurückverwiesen. Dabei entschied der BGH über die nachfolgenden Punkte.

Anwendbarkeit der Regeln über die verdeckte Sacheinlage (§ 19 Abs. 4 GmbHG)

Eine verdeckte Sacheinlage bezeichnet die Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen zur Sacheinlage. Der einlagepflichtige Gesellschafter (Inferent) leistet eine Bareinlage. Da der Gesellschafter in der Folgezeit das eingebrachte Geld gegen einen Sachwert wieder ausgezahlt bekommt, erhält die Gesellschaft bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise jedoch eine Sacheinlage. Eine solche verdeckte Sacheinlage hat zur Folge, dass der Gesellschafter durch die Leistung der Bareinlage seine Einlagepflicht nicht erfüllt, diese also weiterhin schuldet. Dies bedeutete bis zur Neuregelung des § 19 GmbHG durch das MoMiG im November 2008 zudem eine Unwirksamkeit der Verträge über die Sacheinlage sowie des dinglichen Verfügungsgeschäfts.

Mit § 19 Abs. 4 Satz 2 GmbHG n.F. (2008) wird das Wirksam bleiben der Verträge und Verfügungsgeschäfte ausdrücklich festgelegt und damit der entgegenstehenden bisherigen Rechtsprechung zu § 19 GmbHG a.F. entgegengesetzt. Hinzu kommt in § 19 Abs. 4 Satz 3 GmbHG, dass auf die fortbestehende Geldeinlagepflicht des Gesellschafters der Wert des Vermögensgegenstandes im Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister oder im Zeitpunkt seiner Überlassung an die Gesellschaft, falls diese später erfolgt, angerechnet wird.

Der BGH führt hierbei an, dass eine verdeckte Sacheinlage nur bei einer sacheinlagefähigen Leistung gegeben sein könne. Eine Dienstleistung wie sie hier in Form des Media-Vertrags vereinbart wurde, sei hingegen bei, nach herrschender Meinung im GmbH-Recht entsprechender Geltung des § 27 Abs. 2 AktG, nicht sacheinlagefähig.

Dies sah der BGH – anders als von der Klägerin vorgetragen – als Ausschlussgrund für eine verdeckte Sacheinlage, da unter den angegebenen Umständen keine rechtmäßige Sacheinlage unter Beachtung der zusätzlichen Vorschriften möglich gewesen sei. Der Beklagten würde damit vorgeworfen, Vorschriften zu umgehen, deren Einhaltung durch fehlende Anwendbarkeit jedoch nie möglich gewesen wären. Allein daraus könne jedoch kein Verbot einer entgeltlichen Dienstleistung des einlagepflichtigen Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft gefolgert werden. Denn dieses würde wiederum auch die entgeltliche Geschäftsführertätigkeit eines solchen Gesellschafters verbieten, was weder im Interesse der Gesellschaft noch im Interesse der Gläubiger läge.

Somit verneinte der BGH hier die Anwendbarkeit der Regelungen über die verdeckte Sacheinlage.

Hin- und Herzahlen (§ 19 Abs. 5 GmbHG)

Ein weiterer hier betrachteter Umgehungstatbestand ist der des „Hin- und Herzahlens“ nach § 19 Abs. 5 GmbHG. Der BGH definiert diesen im vorliegenden Urteil als gegeben, wenn „[…] es an einer Bareinlageleistung zur freien Verfügung des Geschäftsführers (§ 8 Abs. 2 GmbHG) fehlt, weil der Einlagebetrag absprachegemäß umgehend wieder an den Einleger, sei es als Darlehen […] oder auch aufgrund einer Treuhandabrede […] zurückfließen soll.“ Die Einlage wird in diesem Beispiel zwar tatsächlich eingezahlt, die Gesellschaft kann jedoch nicht frei darüber verfügen, da es entsprechend weiterer Absprachen wieder zurück an den Gesellschafter fließen soll.

Gemäß § 19 Abs. 5 Satz 1 GmbHG befreit eine solche Einlageleistung den Gesellschafter nur dann von seiner Einlageverpflichtung, wenn sie durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gedeckt ist, der jederzeit fällig ist oder durch fristlose Kündigung durch die Gesellschaft fällig werden kann. Zudem erfordert eine solche Leistung sowie deren Vereinbarung gemäß § 19 Abs. 5 Satz 2 GmbHG eine Anmeldung beim Handelsregister.

Der Senat spezifizierte dies dahin gehend, dass Einlagemittel auch in solchen Fällen zu Zwecken der GmbH und damit zur freien Verwendung dieser verwendet werden können, in denen mit ihr Dienstleistungen eines Gesellschafters bezahlt würden, welche auch anderweitig hätten erworben werden müssen.

Auch ein solches Hin- und Herzahlen sei aber mit dem vorliegenden Media-Vertrag nicht gegeben, denn es sei zwar in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Einlageleistung eine Vereinbarung über entgeltliche Leistungen durch die Gesellschafterin vereinbart worden, diese Einlage habe dem Geschäftsführer aber trotzdem endgültig zur freien Verfügung gestanden (gemäß §§ 8 Abs. 2, 57 Abs. 2 GmbHG).

Durch den vorliegenden Media-Vertrag verpflichtete sich die Gesellschaft nicht dazu die Leistungen der Gesellschafterin tatsächlich vollumfänglich in Anspruch zu nehmen, die Bareinlage wurde nicht zu diesem Zwecke „reserviert“. Es stand ihr im Rahmen des Vertrages frei, wann und in welchem Umfang sie diese wahrnehmen wollen würde. Weiterhin handelt es sich bei Werbe- und IT-Leistungen um für die Gesellschaft erforderlich gewesene Leistungen, welche sie zu den hier branchenüblichen Konditionen auch anderweitig in Anspruch genommen und bezahlt hätte.

Mangels einer verdeckten Sacheinlage oder eines Hin- und Herzahlens der Einlagemittel führte die Leistung der Bareinlage der beklagten Gesellschafterin zur Erfüllung der Einlageverpflichtung und damit zum Erlöschen des Anspruchs gemäß § 362 BGB.

Eigenkapitalcharakter stehen gelassener Entgeltansprüche für erbrachte Leistungen (Geltung für Fälle vor 01.11.2008)

Zuletzt ging der entscheidende Senat auf die von der Klägerin hilfsweise geltend gemachten Ansprüche aus Eigenkapitalersatz ein. Hierbei bezog er sich erneut auf die fehlende Einlagefähigkeit von Dienstleistungsverpflichtungen, welche auch einer Umqualifizierung zu Eigenkapitalersatz widerspreche. Ein Eigenkapitalcharakter stehen gelassener Entgeltansprüche für erbrachte Leistungen wurde jedoch nicht ausgeschlossen. Vorliegend hatte die Klägerin vorgetragen, dass die Insolvenzschuldnerin auf die Rechnungen der Gesellschafterin nach Ablauf der Zahlungsfrist und im Zustand der bilanziellen Überschuldung geleistet hätte. Dies könne gegen § 30 GmbHG a.F. analog verstoßen, wodurch ein Erstattungsanspruch aus § 31 GmbHG gegen die Gesellschafterin entstanden sein könnte. Mangels erforderlicher tatrichterlicher Feststellung wurde dies zur Feststellung an das Berufungsgericht und damit an die Tatsacheninstanz zurückverwiesen und im vorliegenden Urteil nicht abschließend entschieden. Die hier angewandten Regelungen aus § 30 GmbHG a.F. wurden jedoch durch Art. 1 Nr. 20 MoMiG modifiziert (siehe § 30 GmbHG n.F.) und damit die Anwendbarkeit der bisherigen Vorschriften zum eigenkapitalersetzenden Darlehen für zukünftige Fälle aufgehoben. Die alten Regelungen fanden lediglich aufgrund des in diesem Fall bereits vor Einführung des MoMiG eröffneten Insolvenzverfahrens Anwendung und sind für zukünftige Fälle nicht mehr relevant.

Fazit

Mit dem „Qivive“-Urteil entwickelte der BGH neue Leitsätze im Zusammenhang mit den Grundsätzen der verdeckten Sacheinlage sowie des „Hin- und Herzahlens“ und präzisierte dabei deren Anwendbarkeit unter Anwendung der neugeschaffenen Normen in § 19 GmbHG. Einfluss auf die nachfolgende Rechtsprechung nahm er zudem mit seiner Entscheidung über die Möglichkeit der Umqualifizierung von Dienstleistungsverpflichtungen eines Gesellschafters sowie einer stehen gelassenen Vergütung zu einem Eigenkapitalersatz.