Ob und wie Gesellschafter einer haftungsbeschränkten Gesellschaft für Kapitalherabsetzungen persönlich haften müssen, ist Jahrelang streitig gewesen. Gerade in jenen Fällen, in denen der Gesellschafter für die Insolvenz oder Unterbilanz verantwortlich ist, gab es zuvor Unklarheiten. Bisher wurde der Haftungsgrundsatz des §302 AktG analog auf die Gesellschafterhaftung von GmbH-Gesellschaftern bei Kapitalherabsetzung angewendet. Der BGH entschied nun erstmals, dass es einen eigenen Haftungsgrundsatz der Gesellschafterhaftung für die GmbH geben solle. Das BGH Urteil vom 16.07.2007- II ZR 3/04 (OLG Rostock) bringt also eine bedeutende Wendung, denn die neue Existenzvernichtungshaftung stellt erstmalig, auch bei Nichteingreifen der grundsätzlichen Gesellschafterhaftung, einen deliktischen Schadensersatzanspruch aus §826 BGB her, wenn ein GmbH-Gesellschafter für die Existenzvernichtung der Gesellschaft verantwortlich ist.
Sachverhalt
Im Jahr 1993 gründete der Beklagte die Schuldnerin (A-GmbH). Der Beklagte hielt, bis zur späteren Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Schuldnerin, die Mehrheitsbeteiligung sämtlicher Geschäftsanteile. Der Beklagte verpachtete ein mit dem TRIHOTEL bebautes Hotelgrundstück an die Schuldnerin, welches von ihr in den Folgejahren dort vollständig betrieben wurde.
Wenige Zeit später gründete der Beklagte eine weitere Gesellschaft (im Folgenden J-G mbH) und übertrug seiner Mutter sämtliche Anteile an der neu gegründeten J-G mbH. Beide Gesellschaften wurden im gesamten Zeitraum von dem Beklagten als Geschäftsführer geführt.
Die Mutter des Beklagten gewährte der Schuldnerin, aufgrund von Liquiditätsschwierigkeiten kurze Zeit später ein Darlehen, für welches das gesamte Inventar des TRIHOTELs als Sicherheit an die Mutter übereignet wurde. Der Beklagte kündigte wenig später den mit der Schuldnerin geschlossenen Pachtvertrag und schloss am selben Tag einen neuen Pachtvertrag mit der J-G mbH ab. Damit die Schuldnerin das TRIHOTEL jedoch weiter betreiben konnte, schloss der Beklagte mit ihr einen Managementvertrag, durch welchen sie Anteile der Erlöse (Honorar) bekam. Dies deckte jedoch die Aufwendungen, welche die Schuldnerin für den Hotelbetrieb benötigte nicht.
Die wirtschaftliche Lage der Schuldnerin verschlechterte sich in den darauf folgenden Jahren jedoch so weit, dass der Beklagte den Managementvertrag durch Aufhebungsvertrag kündigte. Der gesamte Geschäftsbetrieb des TRIHOTELs wurde somit auf die J-G mbH übertragen.
Die Schuldnerin meldete im Jahr 2000 masselose Insolvenz an. Aufgrund der von dem Beklagten ausgeführten existenzvernichtenden Tätigkeiten, fordert der Insolvenzverwalter der Schuldnerin Schadensersatz für den entstandenen Gesamtverlust i.H.v umgerechnet ca. 450.000,00€. Er weist explizit darauf hin, dass die A-GmbH allein durch das Handeln des Beklagten ihre gesamte Insolvenzmasse verlor.
Die alte Haftung der Existenzvernichtung
Für die Gesellschafterhaftung von GmbH Gesellschaftern, welche nicht von den herkömmlichen Regeln der Gesellschafterhaftungen aus den §§30, 31 GmbHG mit „aufgefangen“ werden, wandte die Rechtsprechung Jahrelang den – nicht ganz passenden – Haftungsgrundsatz des §302 AktG analog auf die GmbH an. Es handelt sich hierbei um eine konzernrechtliche Regelung. Diese führt auf, dass im Konzernrecht davon ausgegangen werden kann, dass das herrschende Unternehmen zumindest in Teilen für eine Unterbilanz des beherrschten Unternehmens, mitverantwortlich gemacht werden kann – demnach für die Verbindlichkeiten des beherrschten Unternehmens haftet.
Im GmbH-Recht wurde seither daran angeknüpft, dass der Gesellschafter als über die Gesellschaft herrschendes Organ, auch für diese im Insolvenzfall haftet. Diese Analogie des §302 AktG ermöglichte jedoch nur einen Haftungsanspruch der Gläubiger gegen den Gesellschafter. Diese Durchgriffshaftung steht dem allgemeinen Existenzrecht der GmbH entgegen. Demnach war bis 2007 die Außenhaftung durch den Gesellschafter gegenüber den Gesellschaftsgläubigern auf Schadensersatz, die einschlägige Rechtsfolge.
Die Entscheidung des BGH setzt nunmehr die zuvor angewandte Subsidiarität zum Konzernrecht des §302 AktG aus, was die dogmatische Behandlung der Gesellschafterhaftung erleichtert. Stattdessen wird nun für die GmbH eine Haftung des beherrschenden Gesellschafters im Falle existenzvernichtender Eingriffe anerkannt. Welcher weder ein konzernrechtliches noch eigenständiges Haftungsinstitut darstellt, sondern eine besondere Fallgruppe der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB ist.
Die neue Existenzvernichtungshaftung
Die Haftungslücke des Kapitalerhaltungsgrundsatzes, welche sich ergibt, wenn durch den Gesellschafter veranlasste Handlungen dazu führen, dass das Gesellschaftsvermögen in die Unterbilanz sinkt und die Gesellschaftsverbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern nicht mehr befriedigt werden können, dies jedoch nicht von den §§30, 31 GmbHG haftungsrechtlich erfasst ist, wurde nun eindeutig vom BGH anhand der TRIHOTEL-Entscheidung geschlossen.
Der existenzvernichtende Eingriff ist eine, durch den BGH rechtlich angewendete Gesellschafterhaftung, die den Gläubigerschutz trotz Nichteingreifen der §§30,31 GmbHG im Innenverhältnis als deliktischen Schadensersatzanspruch aus §826 BGB gegen den Gesellschafter, gewährleistet.
Die Durchsetzung der Ansprüche gegen die sittenwidrige vorsätzliche Schädigung einer Gesellschaft durch den Gesellschafter gemäß §826 BGB, stellt – so der BGH – die Haftung aufgrund des Ultima-Ratio Prinzips ausreichend sicher. Entscheidend ist, dass die Existenzvernichtungshaftung keine Durchgriffsaußenhaftung mehr darstellt, sondern der Schadensersatzanspruch aus §826 BGB direkt der Gesellschaft gegen den Gesellschafter im Innenverhältnis zusteht. Der Grundgedanke hierbei ist, dass der Gesellschaft als Rechtspersönlichkeit ein eigener Anspruch verschafft werden soll, welcher ihr gegenüber den Gesellschaftern das Recht einräumt, das die einzelnen Gesellschafter dazu verpflichtet, die Gesellschaft mit genügend Mitteln für bestehende Verbindlichkeiten zu versorgen und verbleiben zu lassen. Der BGH erläutert in seinem Urteil, dass die Lückenfüllung des Haftungsgrundsatzes unmittelbar an der Kapitalerhaltung des Vermögens der Gesellschaft und nicht an der Gläubigerbefriedigung des einzelnen anzusetzen ist.
Der Innenhaftungsanspruch ersetzt nunmehr die durchgreifende Inanspruchnahme des Gesellschafters selbst und gewährleistet somit nicht nur den Gläubigerschutz sondern auch einen mittelbaren Schutz des einzelnen Gesellschafters, insbesondere vor dem unmittelbaren Durchgriff der Gesellschaftsgläubiger als Kollektiv gegen ihn.
Der Schadensersatzanspruch des §826 BGB fordert sinngemäß die Erstattung des Differenzgewinnausfalls der Gesellschaft, welcher kausal durch die schädigende Handlung des Gesellschafters entstanden ist.
Voraussetzungen des Existenzvernichtenden Eingriffs
Damit die Gesellschaft einen Schadensersatzanspruch gemäß §826 BGB aus dem Existenzrecht gegenüber den Gesellschaftern geltend machen kann, müssten die Gesellschafter die Gesellschaft zunächst sittenwidrig schädigen. Sittenwidrig ist der Eingriff, wenn er sich als planmäßiger Entzug von Gesellschaftsvermögen im Sinne einer Verringerung der Zugriffsmasse zu Lasten der Gläubiger und zum eigenen Vorteil des Gesellschafters darstellt. Als Indikator für die Sittenwidrigkeit genügte die Kündigung des Pachtvertrages, Sicherungsübereignung des Inventars und der Abschluss des Managementvertrags durch den Beklagten in der TRIHOTEL-Entscheidung. Zudem muss der Eingriff in das Gesellschaftsvermögen die Insolvenz der Gesellschaft hervorgerufen oder zumindest vertieft haben. Weiterhin muss die Existenzvernichtung der Gesellschaft aufgrund eines aktiven Tuns des Gesellschafters, dies jedoch nicht dem Gesellschaftszweck dient, entstanden sein. Wobei letztlich die Existenzvernichtung für den Gesellschafter erkennbar gewesen sein muss. Dabei braucht sich der schädigende Gesellschafter lediglich der Tatsachen bewusst sein, dass die Insolvenz der GmbH die voraussehbare Folge des Eingriffs ist und der Gesellschafter diese Folge in Erkenntnis ihres möglichen Eintritts billigend in Kauf nimmt. Der Beklagte hätte folglich schon einige Monate zuvor bilanziell ablesen können, dass das Gesellschaftsvermögen der Schuldnerin, durch sein aktives Tun insoweit minimiert wurde, dass etwaige Gesellschaftsverbindlichkeiten nicht weiter gedeckt werden konnten.
Im Endeffekt?
Stellt der existenzvernichtende Eingriff einen Verstoß gegen die Pflicht zur Respektierung der Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens, insbesondere aber auch dem Recht zu existieren, dar. Durchgesetzt wird das Existenzrecht der Gesellschaft mithilfe des Schadensersatzanspruchs aus §826 BGB gegen den Gesellschafter. Dieser umfasst vorsätzliche sittenwidrige Handlungen des Gesellschafters, als handlungsberechtigtes Organ, gegen die Gesellschaft an sich.