In der sog. „Gamma-Entscheidung“ hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 28.04.2008 – II ZR 264/06 die Rechtsfigur der Existenzvernichtungshaftung erstmals eingegrenzt. Die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs hat der BGH zuvor im sog. „Trihotel-Urteil“ vom 16.07.2007 – II ZR 3/04 in grundlegender Neukonzeption eines Aspekts der Gesellschafterhaftung entwickelt.

Sachverhalt

Beklagt waren die drei Gesellschafter der B-GmbH & Co. KG (B-KG), die Anfang 2002 in eine wirtschaftliche Krise geraten ist und Arbeitnehmer entlassen musste. Zur Vermeidung weiterer Arbeitslosigkeit im Unternehmen gründete sie eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG-GmbH), in die 21 Arbeitnehmer der B-KG übergetreten sind.

Die mit 25.000 EUR Stammkapital ausgestattete BQG-GmbH sollte ihre Personalkosten überwiegend durch öffentliche Gelder finanzieren; verbleibende Kosten (Remanenzkosten) sollten von der B-KG getragen werden. Nach kurzer Zeit stellte sich jedoch heraus, dass die Bonität und Zahlungsfähigkeit der B-KG langfristig nicht wiederhergestellt werden kann. Anfang November 2002 leistete sie der BQG-GmbH ihre letzte Zahlung und stellte kurz darauf einen Insolvenzantrag.

Entgegen der Branchenüblichkeit war der Anspruch der BQG-GmbH gegen die B-KG auf Zahlung der Remanenzkosten nicht mit Sicherheiten abgesichert und da die BQG-GmbH nicht über sonstige Einkünfte verfügte, wurde auch für sie Anfang 2003 ein Insolvenzantrag gestellt.

Zu diesem Zeitpunkt waren nur drei der 21 übernommenen Arbeitnehmer erfolgreich weitervermittelt worden. Für die übrigen Arbeitnehmer verlangte der klagende Insolvenzverwalter der BQG-GmbH von den beklagten Gesellschaftern Zahlung des offen gebliebenen Betrags, der sich unter anderem aus Entgelt- und Schadensersatzansprüchen der Arbeitnehmer zusammensetzt, aus dem Gesichtspunkt der Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs bzw. materieller Unterkapitalisierung der BQG-GmbH.

Der Klage wurde zuvor vom Landgericht stattgegeben. Das Oberlandesgericht hatte die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Hintergrund: Trihotel-Urteil

Vor dem sog. „Trihotel-Urteil“ vom 16.07.2007 – II ZR 3/04 hat der BGH in seiner ständigen Rechtsprechung Konzernrecht angewendet, wenn es um missbräuchliche Handlungen von Gesellschaftern ging, die von den in den §§ 30, 31 GmbHG verankerten Normen zur Kapitalerhaltung wegen besonderer Fallkonstellationen nicht erfasst sind.

Die entsprechende Anwendung von Konzernrecht schien jedoch nie Ideal und alternative Konzepte wurden in der Literatur bereits breit diskutiert. Schließlich fällte der BGH im „Trihotel-Urteil“ eine Grundsatzentscheidung und entwickelte den Rechtsbegriff des „existenzvernichtenden Eingriffs“ weiter. Dabei hält er an den Grundsätzen der Existenzvernichtung und der Umschreibung des Haftungstatbestands fest, lässt aber die gesellschaftsrechtliche Rechtsgrundlage fallen und ersetzt sie durch den § 826 BGB. Hergeleitet wird ein Anspruch nun aus der missbräuchlichen Schädigung des im Gläubigerinteresse zweckgebundenen Gesellschaftsvermögens durch den Gesellschafter. In Gestalt einer schadensersatzrechtlichen Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft stellt dies, nach der neuen Auffassung des BGH, eine besondere Fallgruppe der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung dar.

Ein Anspruch kommt demnach dann infrage, wenn es einen kompensationslosen Eingriff der Gesellschafter gegeben hat, der missbräuchlich war und zur Insolvenz der Gesellschaft oder zur Vertiefung dieser geführt hat.

Die Gamma-Entscheidung

Einen solchen Anspruch aus § 826 BGB wegen existenzvernichtenden Eingriffs bzw. materieller Unterkapitalisierung der Gesellschaft wollte der klagende Insolvenzverwalter bzgl. des zuvor erläuterten Sachverhalt geltend machen.

In den hier relevanten Punkten hatte die Revision der beklagten Gesellschafter jedoch vollsten Erfolg. Der BGH erkennt eine Haftung aus den vom Insolvenzverwalter vorgetragenen Gründen nicht an.

Im Kern hatte der BGH darüber zu befinden, ob die materielle Unterkapitalisierung der Gesellschaft eine Haftung der Gesellschafter auslöst. Einerseits wäre dies im Wege der Ausweitung der Existenzvernichtungshaftung denkbar. Andererseits könnte der BGH unter bestimmten Voraussetzungen eine eigene Rechtsfigur entwickeln.

Die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs wird vom BGH eindeutig verneint. Begrifflich liegt nämlich kein „Eingriff“ in das Gesellschaftsvermögen vor, wenn es lediglich um das Versäumnis geht, die Gesellschaft mit genügend Kapital auszustatten. Auch wenn das Unterlassen in diesem Fall für die Insolvenz ursächlich war, steht es einem Eingriff nicht gleich.

Auch für die Ausweitung des Rechtsbegriffs sieht der BGH keine Veranlassung, da die Rechtsfigur der Existenzvernichtungshaftung das gesetzliche Kapitalerhaltungssystem lediglich in Form einer Entnahmesperre dahingehend ergänzen soll, dass eine missbräuchliche „Selbstbedienung“ der Gesellschafter am Gesellschaftsvermögen verhindert wird.

Für die Schaffung einer eigenen Rechtsfigur, die die Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung vorsieht, fehlt es bereits an einer Gesetzeslücke. So wurde im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur GmbH-Novelle von 1980 formuliert: „Auf Grund einer nachträglichen Berechnung über eine angemessene Eigenkapitalausstattung die Gesellschafter gegebenenfalls generell haften zu lassen, wäre mit dem Gebot der Rechtssicherheit nicht vereinbar und könnte letztlich die GmbH als solche in Frage stellen”. Unter anderem daran zeigt sich, dass sich der Gesetzgeber sehr wohl Gedanken um eine Unterkapitalisierungshaftung gemacht hat und zu dem Schluss kam, auf diese zu verzichten.

Bleiben die Gläubiger im Regen stehen?

Möglicherweise. Der Insolvenzverwalter konnte keine Ansprüche der Gesellschaft gegen die Gesellschafter geltend machen. Infrage kommen jedoch Schadensersatzansprüche der einzelnen Arbeitnehmer gegen die Gesellschafter bspw. aus § 826 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung, weil diese die Arbeitnehmer durch vorsätzliche Unterlassung der Aufklärung darüber, dass der Anspruch auf die von der B-KG geschuldeten Remanenzkosten nicht insolvenzsicher abgesichert war, arglistig getäuscht haben könnten.

Ein solcher Anspruch kann jedoch nicht durch den Insolvenzverwalter, sondern nur durch die Betroffenen selbst geltend gemacht werden, wofür die Verjährungsfrist nach dem Urteil der letzten Instanz jedoch bereits abgelaufen war. Denkbar wäre an dieser Stelle nur noch ein Schadensersatzanspruch gegen den Rechtsbeistand, falls dieser Pflichtwidrig beraten haben sollte. Dieser Anspruch entsteht nämlich in dem Zeitpunkt, in dem die besagte Verjährungsfrist abgelaufen ist.