Im Jahre 2011 wurden die Großaktionäre der ISION-AG zur Zahlung von 209 Millionen Euro Schadesersatz an die Insolvenzverwaltung von Energis verurteilt. Dieses Urteil hat die Wahrnehmung der Fragen der Vorstandshaftung verändert. Während des Gerichtsverfahrens wurden grundlegend neue Grundsätze und Kriterien für die Haftung der Vorstandsmitglieder infolge erfolgloser Rechtsberatung geschaffen.

I. Der ISION-Sachverhalt

Es ist für uns wichtig, die Grundzüge des ISION-Sachverhalts zu verstehen. Die ISION AG war ein Internet-Dienstleister, welche im Jahre 1998 gegründet wurde. Im März 2000 ging ISION in eine drohende Insolvenz und schon im Dezember 2000 wurde die AG für 812 Millionen Euro vom britischen Konkurrenten Energis übernommen. Später wurden Vorwürfe erhoben, dass das ganze Transaktionskonzept auf der Annahme basiert, dass eigene Aktien der Gesellschaft als Sacheinlage eingebracht werden können. Dies erwies sich als falsch.

Der Vorstand der AG unterliegt der Legalitätspflicht – er hat dafür Sorge zu tragen, dass sein Unternehmen sich an zwingendes Recht hält. Im ISION-Fall ging es um einen bedeutenden Unternehmenserwerb, der nicht gegen bar, sondern gegen eigene Aktien erfolgen sollte. In solchen schwierigen Fällen zieht der Geschäftsführer Rechtsberater hinzu – sowohl einen externen Rechtsanwalt als auch die eigene Rechtsabteilung. Das allgemeine Konzept der Übernahme war von einer großen Rechtsanwaltssozietät vorbereitet worden. Was noch in dieser Situation wichtig ist, einer ihrer Partner war auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der ISION-AG. Später wurde die Transaktionsstruktur auf mündliche Empfehlung des Aufsichtsratsvorsitzenden umgestellt. Der Vorstand folgte der endlichen Empfehlung. Das Ergebnis war die Anklage gegen zwei Aktionäre.

II. Die Business Judgement Rule

Bis dahin funktionierte die sogenannte Business Judgement Rule. Das Prinzip ist in den § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG verankert und umfasst vier Gütekriterien, welche für eine angemessene Managemententscheidung vorausgesetzt werden (eine unternehmerische Entscheidung ist in gutem Glauben, ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse zum Wohle des Unternehmens auf der Grundlage angemessener Information getroffen worden). Man muss diese Kriterien im Zweifelsfall nachweisen.

III. Die ISION-Entscheidung des BGH

Die ISION-Entscheidung erweitert diese Vorschrift und gibt uns im ISION-Urteil II ZR Voraussetzungen, unter denen ein Geschäftsleiter auf den Rechtsrat eines Beraters mit haftungsvermeidender Wirkung vertrauen darf, wenn sich dieser Rat als falsch herausstellt.

IV. Die Haftungskriterien des Vorstands

Das erste wichtige Kriterium ist die fachliche Qualifikation des Beraters. Wie oben erwähnt darf der Geschäftsleiter sowohl interne als auch externe Ratschläge wahrnehmen. Die Vorteile der internen Rechtsabteilung sind, dass sie wegen einschlägiger Kompetenz alle internen Prozesse viel besser versteht. Der Nachteil ist, dass die interne Beratung nicht allen Situationen die notwendige Expertise aufweist, weil das Themenfeld zu komplex ist. In diesem Fall kann es geboten sein, auf externen Rat zurückzugreifen.

Das zweite Kriterium ist die Unabhängigkeit des Beraters. Sie umfasst 2 wichtige Aspekte. Das erste ist die allgemeine Unabhängigkeit, die liegt vor, wenn keine Eigeninteressen des informierenden oder beratenden Dritten bestehen. Der zweite Aspekt betrifft die Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds als externer Berater. Der Gesetzgeber befürchtet, dass der Aufsichtsrat Tätigkeiten als Dienste abrechnet, die seiner Aufsichtsratstätigkeit unterfallen. Das bedeutet, dass ein Eigeninteresse nachgewiesen werden muss. Nach §113 und §114 AktG kann der Aufsichtsrat als externer Berater auftreten, aber solche Verträge benötigen eine Zustimmung des Aufsichtsratsmitgliedes.

Das dritte Kriterium ist die Überprüfung auf Plausibilität, was bedeutet, dass der Vorstand das Gutachten selbst auf Plausibilität überprüfen muss. Der Gesetzgeber versteht darunter 2 aufeinanderfolgende Schritte. Erstens muss das Gutachten in schriftlicher oder in dauerhaft fixiertet Form vorgelegt werden. Selten sind Ausnahme möglich, in denen ein mündlicher Rat genügt. Allerdings benötigt der Geschäftsleiter ein kurzes Protokoll des beratenden Gesprächs. Weiterhin umfasst die Plausibilitätsprüfung drei wichtige Aspekte:

– erstens, muss sich das Gutachten auf vollständigen Tatsachen belaufen,

– zweitens, deckt das Gutachten die beabsichtigte Maßnahme, und

– drittens, werden im Gutachten Widersprüche oder Begründungslücken thematisiert.

Das letzte vierte Kriterium ist die Sachverhaltsdarstellung und Offenlegung. Es geht um die zweiseitigen Rechtsverhältnisse, mit Rechten und Pflichten von beiden Seiten. Die umfassende Darstellung des Sachverhalts und die Offenlegung der erforderlichen Unterlagen ist die wichtigste Pflicht des Geschäftsführers. Andererseits ist es nicht zu erwarten, dass der Auftraggeber alle konkreten Rechtsfragen richtig formulieren kann. Aus diesem Grund muss der Rechtsberater die Umstände selbst aufklären. Seinerseits darf der Geschäftsführer nicht blind darauf vertrauen, dass der Berater den Sachverhalt richtig ermitteln werde.

V. Fazit

Werden alle 4 diese Kriterien nicht beachtet, haftet der Vorstand. Auf diese Weise hat der Gesetzgeber die Möglichkeit der Vermeidung der Vorstandsverantwortung im Falle falscher Rechtsberatung vorgesehen. Wie bei der Business Judgement Rule, soll der Geschäftsführer, der möglicherweise für eine Fehlentscheidung verantwortlich sein könnte, nachweisen, dass alle Kriterien erfüllt sind. In diesem Fall wird es nachgewiesen, dass der Geschäftsführer maximale Sorgfalt bei der richtigen Entscheidung gezeigt hat und nicht verantwortlich gemacht werden muss.