In der Hauptversammlungssaison 2019 wurde sowohl der Bayer-Vorstand, mit seinem Vorsitzenden Werner Baumann, als auch der Vorstand und Verwaltungsrat der Schweizer Großbank UBS in der Hauptversammlung nicht entlastet und ihnen damit das Vertrauen der Gesellschaft entzogen. Zittern mussten neben Managern der Bayer AG und UBS auch die Manager der Deutschen Bank sowie der Credit Suisse. Diese Entwicklungen haben einen gemeinsamen Ursprung: Die Stimmrechtsberater.
Bis vor ein paar Jahren wusste kaum einer, was der Begriff des Stimmrechtsberaters bedeutet. Nun sind sie aufgrund der weitreichenden Auswirkungen ihrer Stimmempfehlungen, welche besonders in der Hauptversammlungssaison 2019 zum tragen kamen, in das Interesse der Öffentlichkeit gerückt.
Der folgende Artikel behandelt die Rolle der Stimmrechtsberater und die sie betreffenden Änderungen durch die Zweite Aktionärsrechterichtlinie sowie ihre nationale Umsetzung in dem Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II).

Die Rolle von Stimmrechtsberatern

Aktionäre wie Emittenten beziehen vermehrt Dienstleistungen von Stimmrechtsberatern, um von ihrer weitreichenden inhaltlichen Expertise zu profitieren und umfassend auf anstehende Hauptversammlungen vorbereitet zu sein. Die angebotene Leistungen erstrecken sich auf Dienstleistungen, welche auf den Abstimmungsprozess auf der Hauptversammlung gerichtet sind. Die Hauptdienstleistung ist die Beratung der institutionellen Investoren zur Stimmabgabe sowie deren Stimmrechtsvertretung auf Hauptversammlungen. Die Stimmrechtsberater erhalten unternehmensrelevante Informationen, die bei der Bewertung der Tagesordnungspunkte unterstützen sollen. Dabei geben sie Abstimmungsempfehlungen anhand der Auswertung von Emittentendaten sowie Corporate-Governance-Ratings, welches die Stellung der Corporate Governance des Emittenten mit den anderen Emittenten bemisst, ab.

Ein oligopolistisch geprägter Markt

Der Markt der Stimmrechtsberater (engl. „Proxy Advisors“) ist geprägt durch einige wenige Marktteilnehmer auf der Angebotsseite . Dies äußert sich durch seine Beherrschung durch zwei Hauptakteure (sog. „Global Player„): Institutional Shareholder Services (ISS) und Glass Lewis (GL). Das Repertoire von ISS deckt weltweit über 1,900 institutionelle Kunden mit jährlich ca. 40,000 Hauptversammlungssitzungen ab.  Damit kontrolliert ISS ca. 61% des US-amerikanischen und ca. 50 % des deutschen Marktes. GL kontrolliert ca. 42% des Marktes mit jährlich um die 21,000 Sitzungen. In Deutschland fusionierte GL im Jahre 2015 mit der deutschen IVOX zu IVOX Glass Lewis. Relevant ist dies, da in Deutschland der Anteil an ausländischen Aktionären in DAX-Gesellschaften auf über 55 % angestiegen ist, deren Aktionäre zu ca. 80 % den Empfehlungen der genannten Stimmrechtsberatern folgen. (vgl. Fleischer, AG 2012, 2-11)

Die Kritikpunkte an der Rolle der Stimmrechtsberater

Der Einfluss der Stimmrechtsberater wird in der Wissenschaft, Presse und in Emittentenkreisen beanstandet. Kritikpunkte sind der oligopolistisch geprägte Markt und der daraus folgende geringe, bis fehlende Wettbewerb. Weiterhin wird das fehlende Haftungsrisiko trotz erheblichen Einflusses in der Gesellschaft angeführt, dass außer Acht lassen von regulatorischen, lokalen sowie unternehmensspezifischen Einzelheiten, mit der Folge von qualitätsarmen Analysen und Stimmrechtsempfehlungen.  Weiterhin wurde beanstandet, dass sich die Stimmrechtsberater aufgrund mangelnder ausgereifter rechtlicher Regelungen bzgl. ihrer Berufsausübung im rechtsfreien Raum bewegen würden. Sie unterlagen bisher im Gegensatz zu Fonds und börsennotierten Gesellschaften, nicht den hohen Transparenzanforderungen und sprachen ihre Stimmempfehlungen ohne Offenlegung der zugrunde gelegten Informationen und Standards aus.  Ebenfalls werden die intransparenten Verhaltenskodizes sowie mögliche Interessenkonflikte kritisiert. Auch ist die Doppelfunktion der Stimmrechtsberaterunternehmen in ihrer Beraterfunktion hervorzuheben: Einerseits arbeiten sie Stimmempfehlungen für Investoren heraus und andererseits beraten sie durch ihre Tochtergesellschaften die Emittenten: ISS Corporate Solutions bietet Beratungsdienstleistungen für Emittenten an, dessen Beratungsinhalt beispielsweise die Vorstandsvergütung oder auch die Entlastung von Vorständen und Aufsichtsräten sein kann. Abschließend ist zu betonen, dass die Eigentümer von Stimmrechtsberaterunternehmen  mitunter selbst Anteile an den Unternehmen halten, für die sie beratend tätig sind,. Dies ist beispielsweise bei ISS und Glass Lewis der Fall.

Seit 2013 existiert ein Branchenkodex („Best Principles for Providers of Shareholder Voting Research and Analysis“). Der Kodex greift die oben genannten Kritikpunkte teilweise auf, jedoch hat sich in der laufenden Praxis herauskristallisiert, dass dieser der Kritik nicht ausreichend entgegenwirkt.

Die Lösung des Gesetzgebers

Kodifizierte Regelungen für die Behandlung von Stimmrechtsberatern gab es bisher keine. Diese Regelungslücke wollte der europäische Gesetzgeber beheben und inkludierte Regelungen zu Stimmrechtsberatern in die zweite Aktionärsrechterichtlinie, welche am 17. Mai 2017 verabschiedet wurde und bis zum 10. Juni 2019 in nationales Recht umgesetzt werden sollte. Die tatsächliche Umsetzung erfolgte allerdings erst zum 01.01.2020. Das am 14.11.2019 verabschiedete Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) versucht die Problematiken, die sich aus der Tätigkeit von Stimmrechtsberatern ergeben, aufzugreifen und zu lösen. Auch sollen diese neuen Regelungen eine verstärkte Regulierung durch gesteigerte Rechtfertigungsanforderungen schaffen und damit Rechtssicherheit herstellen.

Die Lösungsansätze befinden sich im § 134a – d AktG. Erstmals gibt es im § 134a AktG eine Definition der Stimmrechtsberater, die wie folgt lautet: „Ein Unternehmen, das gewerbsmäßig und entgeltlich Offenlegungen und andere Informationen von börsennotierten Gesellschaften analysiert, um Anleger zu Zwecken der Stimmausübung durch Recherchen, Beratungen oder Stimmempfehlungen zu informieren.“

Weiterführende Regelungen befinden sich im § 134d AktG, der die Offenlegungspflichten regelt. In Absatz 1 werden die Stimmrechtsvertreter dazu verpflichtet, eine Erklärung über die Einhaltung bzw. Nichteinhaltung von Vorgaben eines Verhaltenskodexes abzugeben, das dem sogenannten „Comply or explain“-Prinzip aus dem Deutschen Corporate Governance Kodex entspricht. D.h. sie müssen bei Nichteinhaltung Rechenschaft darüber ablegen und erklären, wieso bestimmten Regeln bzw. gegebenenfalls gar keinem Verhaltenskodex entsprochen wurde. Die Regelungen in Absatz 2 hingegen haben große Auswirkung auf die Berufsausübung der Berater. Darin werden ihnen konkrete Offenlegungspflichten auferlegt, welche sich auf die Informationsbeschaffung und Auswertung im Zusammenhang mit der Vorbereitung ihrer Recherchen, Beratungen und Stimmempfehlungen beziehen (§ 134d Abs. 2 AktG).

Diese Informationen müssen zudem für mindestens 3 Jahre auf der Website des Beraters öffentlich zugänglich gemacht und jährlich aktualisiert werden. Der deutsche Gesetzgeber erweiterte hiermit im Rahmen seines Umsetzungsermessens die ursprünglich einjährige Veröffentlichungsfrist. Durch die Pflicht zur eigenständigen Offenlegung und diesbezügliche Gegenmaßnahmen bei potentiell bestehenden Interessenkonflikten, soll die Transparenz zwischen den Beratern und ihren Kunden verbessert werden (§ 134d Abs. 4 AktG).
Ein Verstoß gegen diese genannten Vorschriften stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit Bußgeldern belegt ist.

Bewertung der neuen Regelungen

Positiv hervorzuheben ist die erstmalige Definition des Begriffs der Stimmrechtsberater, die nun eine eindeutige Abgrenzung zulässt. Weiterhin sind klare Offenlegungspflichten normiert, die weitreichende Änderungen in der Berufspraxis der Berater mit sich bringen. Daraus könnte auch ein erhöhter Wettbewerb resultieren, einhergehend mit einer gesteigerten Meinungsvielfalt und individuellerer Beratung. Dadurch kann die Meinungspluralität der Anleger besser abgebildet und einer pauschalen Meinungsbildung der Berater entgegengewirkt werden. Durch die erhöhten Transparenzanforderungen entsteht mehr Regulierung und ein erhöhter Rechtfertigungsdrang bei der Berufsausübung der Stimmrechtsberater. Weiterhin kann der Aktionär besser beurteilen, ob die Empfehlungen in seinem Interesse getroffen wurden, oder ob gewisse Interessenkonflikte die Empfehlung beeinträchtigt haben. Auch soll durch die neuen Regelungen der Dialog zwischen Emittenten und institutionellen Investoren verbessert und die gerichtliche Kodexdurchsetzung erleichtert werden.

Negativ hervorzuheben ist jedoch, dass die Regulierungen voraussichtlich nur begrenzt zu einer verbesserten Qualität bei der Stimmrechtsempfehlung beitragen werden, aufgrund des fehlenden Wettbewerbsdrucks als auch mangels direkter Kontrolle. Weiterhin sind die neuen Regelungen eher vage formuliert, sodass den Betroffenen ein weiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung steht. Die Selbstregulierung im Rahmen der „comply or explain“- Regelungen zum hauseigenen Verhaltenskodex stellen das beste Beispiel dar. Aber auch die Regelung zur Offenlegungspflicht der Stimmrechtsberater bei (potentiellen) Interessenkonflikten, bei denen es den Stimrechtsberatern obliegt, einen Interessenkonflikt festzustellen und ihn als offenlegungspflichtig zu beurteilen, Dies spiegelt den weiten Gestaltungsspielraum sowie die vage Ausgestaltung der Regelungen im ARUG II dar und lässt an der Wirksamkeit der Regulierungen zweifeln. Darüber hinaus ist hervorzuheben, dass die Höhe der angedrohten Bußgelder bei Nichtbeachtung der Vorschriften verhältnismäßig gering sind und somit die disziplinierende Wirkung angezweifelt werden kann. Weitere Kritikpunkte sind die Möglichkeiten zur Vermeidung der Offenlegungspflichten unter dem Schutzmantel des Schutzes persönlicher Daten sowie der bürokratische Aufwand und die damit folgenden Kosten seitens der Stimmrechtsberaterunternehmen.

Das ARUG II Umsetzungsgesetz: Die Antwort auf die Problempunkte? 

Das ARUG II und die darin bestehenden Regulierungen der Stimmrechtsberater stellen einen ersten Versuch dar, den bekannten Problemen entgegenzutreten. Es bleibt abzuwarten, wie und in welchem Umfang die Praxis darauf reagieren und ob die Regelungen den bestehenden Kritikpunkten ausreichend entgegensteuert wird. Es ist fraglich, in wie weit es tatsächlich zu einer Verbesserung der Transparenz führt, wie es der europäische Gesetzgeber in Aussicht gestellt hatte. Weiter bleiben aber die Kritikpunkte zum mangelnden Wettbewerb auf dem Markt und die womöglich fehlende Abschreckungswirkung der geringen Bußgelder für die Nichteinhaltung der Regelungen bestehen. Insbesondere die teilweise unpräzise formulierten Regelungen geben den Beratern Raum ihre eigenen Interessen weiterhin durchzusetzen. Die Regelungen sind so formuliert, dass die Wahl der Mittel zu ihrer wirksamen Durchsetzung denjenigen überlassen werden, die die Empfänger dafür sein sollten, nämlich den Stimmrechtsberatern selbst.