Erklärt ein Mieter einer Wohnung seine Zustimmung zu einem schriftlichen Mieterhöhungsverlangen der Miete an die ortsübliche Vergleichsmiete vom Vermieter (§§ 558a ff. BGB), so steht dem Mieter nicht das Recht zu, diese Zustimmung nach Maßgabe der Bestimmungen über das Widerrufsrecht bei im Fernabsatz abgeschlossenen Verbraucherverträgen zu widerrufen. Urteil vom 17.10.2018 VIII ZR 94/17 (LG Berlin)

Der nachfolgende Beitrag befasst sich mit den rechtlichen und volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Wohnraummietrechts sowie einer kritischen Würdigung der Entscheidung des BGH mit dem Fokus auf der Fragestellung, ob es sich bei einem Mieterhöhungsverlangen des Vermieters nach Zustimmung durch den Mieter um ein Fernabsatzvertrag handelt, welcher dem Mieter ein Widerrufsrecht gewährt.

1. Wohnraummietrecht

Deutschland ist ein Mieterland – statistisch gesehen wohnt ungefähr die Hälfte der Menschen in Deutschland zur Miete, in besonders begehrten Universitäts- und Großstädten liegt der Mieteranteil noch deutlich höher; in Berlin beträgt er über 85 %. Die Vorschriften über Mietverhältnisse sind in den §§ 535 bis 548 BGB normiert. Wegen der besonderen Bedeutung der Wohnung und des Schutzes der Mieter gibt es für Wohnraummietverträge spezielle Vorschriften, sog. lex specialis, in den §§ 549 bis 577a BGB. Von diesen mieterschützenden Vorschriften darf nicht zum Nachteil des Mieters abgewichen werden. Ein Vermieter kann beispielsweise nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen ein Wohnraummietverhältnis kündigen. Damit es dem Vermieter aber nicht verwehrt bleibt, die Miete der laufenden Mietverhältnisse an den Markt anzupassen, wird mit den Bestimmungen der §§ 558 ff. BGB dem Vermieter ein Mieterhöhungsrecht eingeräumt.

2. Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete

Welche gesetzlichen Bestimmungen muss der Vermieter bei einem Mieterhöhungsverlangen beachten?

Beabsichtigt ein Vermieter während eines laufenden Mietverhältnisses die Miete zu erhöhen, muss er sich an die gesetzlichen Vorschriften gem. §§ 558 ff. BGB halten: Die Nettokaltmiete muss in den letzten 15 Monaten unverändert gewesen sein (sog. Einhaltungsfrist § 558 Abs. 1 S. 1 BGB). Zusätzlich darf die Miete nicht mehr als 20 % innerhalb von drei Jahren erhöht werden (sog. Kappungsgrenze § 558 Abs. 3 BGB). Auch darf die Miete nicht die ortsübliche Vergleichsmiete gem. § 558 BGB übersteigen, die sich aus einem Mietspiegel ergibt. Zusätzlich muss der Vermieter das Mieterhöhungsverlangen begründet und in Textform dem Mieter vorlegen, um die Formvorschriften nach § 558a BGB einzuhalten.

Welche Vorschriften hat der Mieter bei der Zustimmung zur Mieterhöhung zu beachten?

Erhält der Mieter das Mieterhöhungsverlangen, steht ihm eine Überlegungsfrist bis zum Ende des übernächsten Kalendermonats zu. Während dieser Frist kann der Mieter dem Verlangen zustimmen oder sich eine neue Wohnung suchen und das Mietverhältnis kündigen. Erst nach Ablauf der Überlegungsfrist darf der Vermieter die Zustimmung des Mieters gerichtlich in Form einer Zustimmungsklage nach § 894 ZPO erzwingen.

Das Wohnraummietrecht ist wie bereits oben im Beitrag erwähnt, ein Rechtsbereich des Mietrechts, das dem Mieter besondere Schutzrechte einräumt. Trotz dieses bereits gewährten Sonderschutzes kann es Fallkonstellationen geben, in denen Verträge, die im Bereich des Wohnraummietrechts geschlossen werden, unter das Recht des Fernabsatzvertrages fallen und dort dem Mieter als Verbraucher weitere Schutzrechte zufallen.

3. Fernabsatzvertrag

Was ist ein Fernabsatzvertrag und wann genau liegt ein Fernabsatz vor?

Nach § 312c Abs. 1 BGB handelt es sich dabei um Verträge, bei denen der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt.

Das Fernabsatzrecht hat das Ziel, den Verbraucher vor möglichen Gefahren bei Vertragsschluss schützen, bei denen der Verbraucher regelmäßig die Leistung sowie die Person seines Vertragspartners vor Vertragsschluss nicht zu sehen bekommt. Für den Verbraucher besteht durch die gewisse Distanz bei Vertragsschluss, aufgrund mangelnder Rückfragemöglichkeiten, ein gewisses Risiko, dass er wichtige Informationen über die Ware oder Dienstleistung nicht erhält. Dies geht aus Erwägungsgrund 11 der Fernabsatzrichtlinie hervor.

4. Widerruf Verbraucherverträge

Nach § 355 Abs. 1 BGB ist der Verbraucher, wenn diesem durch Gesetz ein Widerrufsrecht eingeräumt wird, an seine auf den Vertragsabschluss gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden, wenn er sie fristgerecht widerrufen hat. Zu beachten ist außerdem, soweit nichts anderes bestimmt ist, dass die Die Widerrufsfrist 14 Tage beträgt (§ 355 Abs.2 BGB).

Das dem Mieter eingeräumte Widerrufsrechts wird damit begründet, dass Verbraucher vor einer Überrumpelung oder psychischen Druck bei Mieterhöhungsvereinbarungen, die außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen wurden, geschützt werden sollen (§ 312 b BGB). Ob ein solcher Druck vorliegt, wenn dem Mieter ein Mieterhöhungsverlangen zugeht, ist fraglich, da der Mieter sich bei Zugang und Zustimmung in einer Situation befindet, bei der Druck auf diesen aufgebaut wird.

5. BGH, Urteil vom 17.10.2018 – VIII ZR 94/17 (LG Berlin)

a) Sachverhalt

Die umstrittene Frage, ob eine Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete vom Anwendungsbereich des Verbraucherwiderrufs erfasst ist, hat der BGH nun mit Urteil vom 17.10.2018 geklärt.

Der BGH hatte aktuell über die Revision eines Berliner Mieters zu entscheiden. Der Mieter (Kläger) wohnt in einer Berliner Wohnung der Beklagten, einer Kommanditgesellschaft, vertreten durch eine Berliner Hausverwaltung. Im Juli 2015 forderte die Beklagte den Kläger schriftlich über den Postweg auf, einer unter Berücksichtigung des Berliner Mietspiegels näher erläuterten Erhöhung der Miete zuzustimmen. Der Zustimmung kam der Kläger zunächst nach. Jedoch widerrief er kurz darauf seine Zustimmung und zahlte von Oktober 2015 bis Juli 2016 die erhöhte Miete lediglich unter Vorbehalt und erhob Klage gegen die Beklagte.

Ziel seiner erhobenen Klage war die Rückzahlung der Erhöhungsbeträge und die Feststellung, dass sich die Miete nicht erhöht habe. Der Mieter war der Auffassung, dass es sich bei der Aufforderung der Beklagten zur Erhöhung der Miete und der Zustimmung des Mieters um einen Fernabsatzvertrag handle und somit ein Widerrufsrecht seinerseits bestünde.

b) Entscheidung des Berufungsgerichts LG Berlin

Die Klage des Mieters hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Für das Berufungsgericht stehe die grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 312 ff. BGB auf den Bestand des Mietverhältnisses berührende Verträge außer Frage. Das LG Berlin ist der Auffassung, dass kein für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleitungssystems vorliege. Die Mieterhöhung zwischen Kläger und Beklagte wurde zwar schriftlich dem Postweg vereinbart, also unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, jedoch habe sich die Beklagte keine Techniken der Fernkommunikation systematisch zunutze gemacht. Nach Ansicht des LG Berlin handle es sich bei dem Mieterhöhungsverlangen um ein inhaltlich auf den Kläger bezogenes Schreiben, welches individuell und nicht unter Anwendung einer speziell auf die Versendung von Mieterhöhungsverlangen ausgerichtete Software gefertigt sei.

c) Entscheidung des BGH

Der BGH weist die Revision des Klägers zurück, stimmt dabei jedoch nicht der Begründung des LG Berlin zu, sondern stützt seine Entscheidung auf andere Argumente.

Die Begründung des LG Berlin ist nach Ansicht des BGH rechtsfehlerhaft, denn eine automatisierte Software sei kein notwendiges Merkmal eines Fernabsatzvertrages. Außerdem falle nach dem Gesetzeswortlaut des § 312c Abs. 2 BGB auch das traditionelle Kommunikationsmittel des Briefes uneingeschränkt unter den Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts.

Der BGH schließt die Anwendbarkeit des Verbraucherwiderrufs bei Fernabsatzverträgen für diesen Sachverhalt im Wege einer teleologischen Reduktion aus. Bei einer teleologischen Reduktion wird die Anwendbarkeit einer dem Wortlaut nach eigentlich anwendbaren und auf den Sachverhalt einschlägigen Norm ausgeschlossen aufgrund des Sinns und Zwecks der Norm.

So seien nach Ansicht des BGH auch generell Verträge über Wohnraum vom Verbraucherwiderruf bei Fernabsatzverträgen erfasst. Wie im oberen Teil des Beitrags erläutert, handelt es sich bei Fernabsatzverträgen um Verträge, die über Fernkommunikationsmittel, also auch Briefe, geschlossen werden. In dem vorliegenden Sachverhalt wurde das Mieterhöhungsverlangen der Beklagten und Zustimmung des Klägers schriftlich über den Postwege übermittelt. Demnach würde § 312 Abs. 4 S. 1 BGB vom Wortlaut her auf den vorliegen Sachverhalt anwendbar sein.

Jedoch seien nach Ansicht des BGH Mieterhöhungen nach Maßgabe der § 558a Abs. 1, § 558b Abs. 1 BGB als Spezialfall vom Anwendungsbereich der Widerrufsvorschriften in teleologischer Reduktion des § 312 Abs. 4 S. 1 BGB ausgeschlossen. Obwohl der Wortsinn des § 312 Abs. 4 S. 1 BGB auch Vereinbarungen über Mieterhöhungen erfasse, sei der Anwendungsbereich mit Rücksicht auf den Regelungszweck der Bestimmungen im Wege der teleologischen Reduktion einzuschränken. Denn Sinn und Zweck der verbraucherschützenden Regelungen seien mit den §§ 558 ff. BGB bereits erfüllt. § 558b Abs. 2 BGB räumt dem Mieter eine angemessene Überlegungsfrist von zwei Kalendermonaten ein. Zusätzlich müsse das in Schriftform erklärende Mieterhöhungsverlangen vom Vermieter nach § 558a Abs. 1 BGB begründet werden. Damit sei der Mieter ausreichend geschützt vor unüberlegten bzw. übereilten Entscheidungen.

Außerdem begründet der BGH seine Entscheidung damit, dass die Gewährung eines Widerrufsrechts mit der für den Vermieter geltenden Klagefrist des § 558b Abs. 2 S. 2 BGB nicht ohne Weiteres vereinbar sei. So könne der Mieter, der frei wählen kann, wann er das Widerrufsrecht ausübt, seine Zustimmung selbst dann noch widerrufen, wenn die Klagefrist des Vermieters bereits abgelaufen sei. Dieser müsse dann gegebenenfalls erneut ein Mieterhöhungsverlangen erklären.

Lediglich in einem kurzen Absatz geht der BGH darauf ein, dass im Schrifttum und in der Rechtsprechung teilweise argumentiert werde, dass die Regelungen der §§ 558 ff. BGB im Verhältnis zu den Vorschriften über das Verbraucherwiderrufsrechts bei Fernabsatzverträgen vorrangige Sonderregelungen, also lex specialis seien. Das führt der BGH jedoch nicht weiter aus.

6. Fazit und Kritik

Das Begehren des Mieters ist im Ergebnis, wenn auch mit anderer Begründung, in jeder Instanz erfolglos. Die Argumentation des BGH und die Verneinung eines Widerrufsrechts ist durchaus nachvollziehbar, da der Mieter sich bei Zugang des Mieterhöhungsverlangens in keiner Situation befindet, in der er dem Druck des Vermieters ausgesetzt ist und Zeit hat, der Mieterhöhung zuzustimmen.

Leider reduziert der BGH seine Begründung auf die teleologische Reduktion. Die methodische Vorgehensweise des BGH ist daher kritisch zu betrachten, denn er geht lediglich nur in einem Absatz darauf ein, dass es sich beim Wohnraummietrecht um lex specialis handeln könnte, führt hierzu jedoch keine weiteren Argumente an. Lex specialis sind spezielle Normen, die Vorrang vor den generellen Normen, dem Lex generalis haben. Lex specialis regelt meistens nur einen bestimmten Sachbereich, während die allgemeine Norm für mehrere Bereiche gilt. Der BGH hätte möglicherweise auch seine Begründung darauf stützen können, dass in diesem Fall das Wohnraummietrecht als spezielleres Recht das vorrangige Recht ist und das Widerrufsrecht im Fernabsatzvertrag als allgemeine Norm verdrängt. Dies würde jedoch zum selben Ergebnis führen, nämlich dass die der Revision des Klägers zurückgewiesen wird.

Die Entscheidung des BGH ist daher auch nachvollziehbar. Anders wäre die Entscheidung des BGH zu beurteilen, wenn der Vermieter beispielsweise unangemeldet vor der Haustür des Mieters auftauchen würde, um die Zustimmung Mieters einzuholen, ohne seinen Besuch vorher telefonisch oder schriftlich beim Mieter anzukündigen oder einen Termin in dessen Wohnung zu vereinbaren. In solch einer Situation handelt es sich um eine klassische Überrumpelungssituation, welche dazu führt, dass dem Mieter ein Widerrufsrecht zusteht.

Es ist daher abzuwarten, ob in Zukunft ein ähnlich gelagerter Fall mit anderen Voraussetzungen gleich oder anders entschieden bzw. begründet wird.