Neben der deutschen Staatsanwaltschaft als Wächter einer gesetzeskonformen Unternehmensführung, wird auf europäischer Ebene in Zukunft ein weiterer Akteur eine bedeutsame Rolle spielen: die neu geschaffene europäische Staatsanwaltschaft, kurz: EUStA. Jährlich gehen der Union und insofern auch den Mitgliedstaaten und deren europäischen Bürgern Milliarden Beträge durch Betrug zulasten des EU-Haushalts verloren. Es stellt sich die Frage:

Braucht die EU eine eigenständig agierende Staatsanwaltschaft und kann eine verstärkte europäische Zusammenarbeit die bestehenden Probleme lösen?

Von der Idee bis zur Errichtung

Bereits in den Jahren 1997 und 2001 wurde die Idee einer europäischen Staatsanwaltschaft diskutiert. 2011 wurde der Schutz der finanziellen Interessen der Union konkret durch strafrechtliche Vorschriften und verwaltungsrechtliche Untersuchungen von der Kommission angesprochen. Diese Politik sollte letztlich durch die EUStA institutionell konkretisiert werden (Art. 86 AEUV). Die EUStA wurde letztlich durch eine kürzlich verabschiedete EU-Verordnung final ausgestaltet (Verordnung EU 2017/1939).

Welchen Herausforderungen stellt sich die EUStA?

Die EUStA soll wirksam Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union aufdecken und verfolgen. Hintergrund ist der Schutz knapper Haushaltsmittel. Im Jahresbericht 2014 hat das Europäische Parlament bereits darauf hingewiesen, dass Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union alle Mitgliedstaaten betreffe und die Wirtschaft in der Union jährlich etwa 120 Mrd. € koste. Der Union entgeht bspw. durch einen grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug jährlich ein Betrag von ca. 50 Mrd. €. Der mittelbare Schaden und unmittelbare Einnahmenverlust sind demnach erheblich.

Notwendigkeit einer neuen Institution

Ferner sind bislang nur die Mitgliedstaaten befugt, Straftaten zulasten des EU-Haushalts zu verfolgen. Die Strafverfolgungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten durch ihre nationale Behörden sind hingegen begrenzt. Insbesondere bei grenzüberschreitenden Straftaten mangelt es aus Sicht der Verordnungsgeber an einer wirksamen Strafverfolgung. Des Weiteren betrachtet der Verordnungsgeber bisherige Bemühungen zur verstärkten Zusammenarbeit, bspw. durch einen verstärkten Informationsaustausch und Koordinierung als ungenügend. Untermauert wird diese kritische Sichtweise durch die eingeschränkten Handlungsspielräume bestehender europäischer Behörden wie Eurojust, Europol oder das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), welches nur Verwaltungsuntersuchungen durchführen kann. Diese Einschätzung wird in den OLAF-Tätigkeitsberichten umfassend beschrieben. Nach abgeschlossenen Ermittlungen muss OLAF den Vorgang an den betreffenden Mitgliedstaat abgeben. Denn Straf- und Disziplinarverfahren einzuleiten ist diesen EU-Behörden nicht gestattet. In den Mitgliedstaaten erfolgt jedoch nur selten eine effektive Strafverfolgung. Laut der EU-Kommission (mit Verweis auf die OLAF-Tätigkeitsberichte) waren in der Vergangenheit lediglich 42,3% der Strafverfolgungsmaßnahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten erfolgreich. Eine effektivere Strafverfolgung wäre in Zukunft Aufgabe der EUStA.

Kompetenzen und Funktionsweise

Vor den zuständigen nationalen deutschen Gerichten nimmt die EUStA die Aufgaben der Staatsanwaltschaft wahr. Die EUStA kann von Amts wegen aktiv werden und Anklage vor den nationalen Gerichten erheben, sofern ein begründeter Tatbestand vermutet wird.

Bei der EUStA handelt es sich um eine Behörde mit dezentralem Aufbau, bei welchem delegierte europäische Staatsanwälte, mit derselben Funktion wie nationale Staatsanwälte, in den jeweiligen Mitgliedstaaten angesiedelt sind. Es werden die jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften des entsprechenden Mitgliedstaats angewandt.

Zuständig ist die EUStA bei Betrug mit EU-Mitteln ab 10.000 € und grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug ab 10 Mio. €. Sollen darüber hinaus schwere Straftaten mit grenzüberschreitender Dimension erfasst werden, ist ein einstimmiger Beschluss des Europäischen Rates erforderlich.  Ebenso wird eine engere Zusammenarbeit und ein stärkerer Informationsaustausch mit den nationalen Justizbehörden angestrebt. Das Hauptanliegen der EUStA ist es jedoch, dass die Union Straftaten hinsichtlich der Einnahmen und Ausgaben aufdeckt und tätig werden kann. Die EUStA als supranationale Institution wird ihren Sitz in Luxemburg haben.

Auswirkungen auf die Praxis

Zur Wirksamkeit und Funktion der EUStA in der Praxis lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch keine Aussage treffen. Die EUStA wird frühestens im Jahr 2020 seine Arbeit aufnehmen. Es bleibt spannend zu sehen, ob die angestrebten Ziele und Erwägungsgründe einer EUStA tatsächlich erreicht werden. Zunächst haben 20 Mitgliedstaaten eine verstärkte Zusammenarbeit (Art. 326 ff. AEUV) im Rahmen der EUStA vereinbart. Anfang des Jahres haben zwei weitere Mitgliedstaaten, Niederlande und Malta, die Zusammenarbeit zugesichert. Insofern wäre es zu begrüßen, wenn sich auch die übrigen Mitgliedstaaten hieran beteiligen, um eine vollständige, tatsächliche Zusammenarbeit und Wirkungsentfaltung zu erreichen. Dies würde auch einen einheitlichen Unionswillen ausdrücken.

Ausblick und Kritik

Insbesondere mit Blick auf die Unternehmensführung und Compliance-Systeme und –Maßnahmen in Unternehmen ist die EUStA eine nicht zu vernachlässigende EU-Behörde. Unternehmensinterne Richtlinien, Prozesse und die Geschäftsaktivitäten sollten derart ausgestaltet sein, dass ein grenzüberschreitender Betrug zulasten der Union stets ausgeschlossen wird. Ein Schaden von allein ca. 50 Mrd. Euro durch Mehrwertsteuerbetrug spricht dafür, dass eine bislang fehlende Strafverfolgung scheinbar systematisch ausgenutzt wurde. Einerseits soll der erhebliche finanzielle Schaden zukünftig minimiert und das Vertrauen der Bürger und verantwortungsvoll handelnder Unternehmen in die Union wird gestärkt werden.

EUStA: Ein sinnvoller Grundgedanke mit zweifelhafte Umsetzung?

Bei der sog. verstärkten bzw. vertieften Zusammenarbeit kann eine Gruppe von Mitgliedstaaten gemeinsame Regelungen einführen, ohne dass sich die anderen Staaten daran beteiligen müssen. Nicht beteiligen wollen sich bisher Schweden, Dänemark, Irland, Großbritannien, Polen und Ungarn.

Besonders interessant daran ist, dass Ungarn die meisten EU-Fördermittel pro Kopf erhält und Polen mit 86 Milliarden in den Jahren 2014 bis 2020 das meiste Geld von allen Mitgliedsstaaten erhielt. In diesem Zusammenhang ergibt sich die Frage, wie effektiv eine verstärkte Zusammenarbeit funktionieren kann, wenn die größten Profiteure der EU-Förderung nicht mit den restlichen Ländern an einem Strang ziehen wollen. Des Weiteren betonen Polen und Ungarn den Vorrang der nationalen Strafverfolgung. Sie sind der Ansicht, dass eine Europäische Staatsanwaltschaft, wenn überhaupt, nur ergänzend tätig werden sollte.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die geplante Struktur der EUStA. Ursprünglich war ein mehrstufiger Aufbau mit delegierten europäischen Staatsanwälte aus den jeweiligen Mitgliedstaaten vorgesehen. Darüber hinaus sollten zwei Aufsichtsebenen für Ermittlungsverfahren des Europäischen Staatsanwalts und der ständigen Kammer sowie weiteren Ebenen des Kollegiums und eines Europäischen Generalstaatsanwalts. Der Deutsche Richterbund bezeichnet diese Strukturen als zu komplex und kaum durchschaubar. Die geplanten Strukturen führen dazu, dass die oben genannten Mitgliedstaaten ihre nationale Souveränität eingeschränkt sehen. Ihrer Meinung nach verstoßen die geplanten Befugnisse und die Unabhängigkeit der beabsichtigten Europäischen Staatsanwaltschaft gegen den Grundsatz der Subsidiarität.

So notwendig die Errichtung einer EUStA aus EU-Haushalts Gründen und der bisherigen Befugniserteilung zur grenzüberschreitenden strafrechtlichen Verfolgung einerseits scheint, so zweifelhaft sind die Pläne zur Umsetzung ihrer Errichtung und die Mitwirkung der Mitgliedsstaaten andererseits. Ob die EUStA in der Praxis somit tatsächlich eine Verbesserung gegenüber der bisherigen europäischen Strafverfolgung darstellt, bleibt abzuwarten.