Die Incoterms sind seit ihrer Erfindung ständiger Bestandteil des internationalen und nationalen Warenhandels. Bei deren Anwendung und insbesondere bei Streitigkeiten zwischen den Anwendern taucht immer wieder die Frage auf, nach welchen Regeln die Incoterms auszulegen sind und mit welchen Problemen dies verbunden sein könnte.

Was sind die Incoterms?

Bei internationalen Lieferungsverträgen über Waren werden die nationalen Regelungen und das UN-Kaufrecht sehr oft als unzureichend angesehen. Um eine Sicherheit im internationalen Handelsverkehr zu verschaffen und zur Erleichterung der Händler, entstanden die sogenannten Lieferklauseln „Incoterms“. Ausgeschrieben steht „Incoterms“ für International Commercial Terms.

Die Incoterms stellen vorformulierte Vertragsbedingungen dar, die klare Definitionen und Regeln zur Auslegung von Verträgen im internationalen Handelsverkehr beinhalten. Sie regeln Lieferort, Gefahrübergang sowie die Pflichten zum Abschluss des Beförderungsvertrages, zur Zahlung der Transportkosten, zur Zahlung von Zöllen, zur Erledigung der Ein- und Ausfuhrformalitäten. Durch ihre Knappheit und Genauigkeit sparen sie deren Anwendern nicht nur Zeit, sondern auch Kosten und stellen einen großen Beitrag für die Entwicklung des internationalen Handelsverkehrs dar.

Wie entstanden die Incoterms?

Die Incoterms wurden erstmalig im Jahre 1936 von der Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce, ICC) in Paris entworfen. Im Laufe der Jahre wurden sie mehrfach geändert und angepasst. Während sich die Incoterms zunächst allein auf den Schiffsverkehr konzentriert haben, wurde deren Geltungsbereich mittlerweile auf alle Transportarten ausgedehnt. Die Fassung, die heutzutage zur Anwendung kommt, ist vom Jahre 2010. Die Incoterms sind in zwei offiziellen Sprachen verfasst: englisch und französisch.

Wie kommen die Incoterms zur Anwendung?

Die Incoterms werden zwar an erster Stelle auf Verträge mit internationalem Bezug angewandt, mittlerweile hat sich aber deren Anwendung auch auf innerstaatliche Handelsgeschäfte verbreitet.

Die Incoterms werden Bestandteil des Vertrages, wenn die Parteien ausdrücklich auf sie in dem Vertrag Bezug nehmen. Dabei sollte beachtet werden, dass nur eine von den elf Klauseln in den Vertrag einbezogen werden kann. Beim Vertragsschluss müssen die Parteien außerdem unbedngt angeben, welche Fassung der Incoterms gelten soll (z.B. Incoterms 2010).

Die Klausel-Verwender können immer die Regelungen der Incoterms  aufgrund ihrer Privatautonomie individuell umgestalten. Hiervon ist jedoch abzuraten, denn die Incoterms haben eigene Logik und Struktur. Demzufolge kann eine Umgestaltung leicht zu Wiedersprüchen führen.

Wichtig ist, dass die Incoterms keinen Kaufvertrag darstellen. Sie präzisieren nur die Pflichten aus einem solchen.

Wie sind die Incoterms gruppiert?

Bei den Incoterms 2010 handelt es sich um 11 verschiedene Lieferklauseln. 7 von diesen sind auf alle Transportarten anwendbar und die restlichen 4 kommen nur im Bereich des See- und Binnenschifftransports zur Anwendung. Die 11 Incoterms werden in 4 Gruppen eingeteilt: E-, F-, C- und D-Gruppe.

Zusammenspiel der Incoterms mit dem CISG

Besonders wichtig ist, dass die Incoterms oft zusammen mit dem UN-Kaufrecht (CISG) zur Anwendung kommen. Sowohl das UN-Kaufrecht als auch die Incoterms befassen sich mit dem internationalen Verkauf von Waren. Sobald das innerstaatliche Sachrecht für Rechtssicherheit im nationalen Rechtsgebiet sorgt, kann man sagen, dass im internationalen Wirtschaftsrecht diese Aufgabe dem UN-Kaufrecht und den Incoterms übertragen wird. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Incoterms im Gegensatz zum CISG ein „soft law“ darstellen. Die Klauseln sind für die Parteien grundsätzlich unverbindlich und gelten auf den Vertrag nur, wenn diese zwischen den Parteien explizit vereinbart wurden.

Die Anwendung der Incoterms zusammen mit dem UN-Kaufrecht ist deswegen ständige Praxis, weil das CISG Regelungen nur über die wesentlichen Pflichten eines Kaufvertrages enthält. Die Incoterms ergänzen diese Pflichten. Obwohl beide Regelwerke ziemlich gut aufeinander angepasst sind, kommt es an manchen Stellen zu Überschneidungen. Zum Beispiel enthalten sowohl die Incoterms als auch das UN-Kaufrecht eine Regelung über den Gefahrübergang.

Die gleichzeitige Anwendung von Incoterms und CISG hat aber auch eine andere Bedeutung für ihre Anwender. Gerade über die CISG-Normen kommt man zu den Auslegungsmöglichkeiten hinsichtlich der Incoterms. Dies erkennt man insbesondere in dem BGH-Urteil vom Jahre 2012 (BGH, VIII ZR 108/12).

Wie werden die Incoterms ausgelegt?

Immer wieder taucht die Frage auf, wie die Incoterms auszulegen sind und insbesondere, ob nationale Regelungen dabei herangezogen werden können. Mit dieser Problematik hat sich das OLG Nürnberg im Jahre 2017 (Az. 12 U 812/15) beschäftigt. Strittig war dabei unter anderem, ob der Begriff des Verladens im Rahmen eines internationalen Frachtvertrages nach dem deutschen Recht ausgelegt werden könnte. Eine Legaldefinition des Begriffs „Verladen“ finden man in dem deutschen Recht im § 412 Abs. 1 HGB. Diese Norm kann allerdings bei der Auslegung der Incoterm-Klausel nicht herangezogen werden, weil laut OLG Nürnberg „die Auslegung der Incoterms international einheitlich und objektiv“ erfolgen soll. Deswegen griff das Gericht damals zur Auslegung der Klausel allein auf die Auslegungshinweise der Incoterms zurück und nicht auf die nationalen Regelungen.

Mit diesem Problem beschäftigte sich auch der BGH in seinem Urteil vom Jahre 2012 (BGH, VIII ZR 108/12). Zentrale Frage war dabei, nach welchen Regeln der Erfüllungsort zu ermitteln ist, um die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts festzustellen.

Gem. § 29 Abs. 2 ZPO könnte durch eine Vereinbarung zwischen den Kaufleuten über den Erfüllungsort auch die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt werden. Fraglich war allerdings, wie eine solche Vereinbarung über den Erfüllungsort zustande kommt und nach welchen Normen diese ausgelegt werden kann. Zur Hilfe kamen dann die Incoterms und insbesondere deren Auslegungshinweise. Zwar hätten die Prozessbeteiligten beim Vertragsschluss die Auslegungshinweise nicht explizit vereinbart, dies sei laut BGH aber in dem Fall überhaupt nicht nötig gewesen. Sobald die Vertragsparteien keine Vereinbarung über die Behandlung der verwendeten Incoterm-Klausel getroffen hätten, seien die Vertragserklärungen gem. Art. 8 Abs. 2 CISG so auszulegen, „wie eine vernünftige Person der gleichen Art wie die andere Partei sie unter den gleichen Umständen aufgefasst hätte“. Dabei sollten unter anderem die bestehende Gebräuche berücksichtigt werden.

Bedeutung der Entscheidungen für die Praxis

Diese BGH-Entscheidung vom Jahre 2012 zeigt, dass bei einer Anwendung der Incoterms-Klauseln die Vertragsparteien nicht nur deren materiell-rechtlichen Folgen beachten müssen, sondern auch den Umstand, dass die Verwendung der Klauseln eventuell auch eine Auswirkung auf spätere prozessuale Fragen, wie zum Beispiel Gerichtszuständigkeit, haben könnte.

Sowohl das Urteil des OLG Nürnberg vom Jahre 2017 als auch dieses des BGH vom Jahre 2012 zeigen außerdem, dass die Incoterms-Klauseln international einheitlich auszulegen sind. Dies ist für die Anwender der Incoterms deswegen von großer Bedeutung, weil sie nicht darauf vertrauen dürfen, dass ein unbestimmter Begriff, der normalerweise einer Auslegung bedarf, nach ihrer nationalen Regelungen ausgelegt werden könnte.