Die Unternehmensmitbestimmung bezeichnet die Einflussnahme der Betriebsangehörigen auf wirtschaftliche bzw. unternehmerische Entscheidungen. Das Recht zur Unternehmensmitbestimmung wird hauptsächlich durch die Besetzung des Aufsichtsrates, der den Vorstand kontrolliert, wahrgenommen. In Aufsichtsräten deutscher Unternehmen wie z.B. der TUI AG sitzen nur Arbeitnehmer, die im in Inland beschäftigt sind. Aufgrund dieser Zusammensetzung des Aufsichtsrats hat ein Kleinaktionär der TUI AG namens Konrad Erzberger gegen die TUI AG Klage eingereicht. Dadurch wurde das deutsche Mitbestimmungsrecht erneut in Frage gestellt. In diesem Zusammenhang bat das zuständige Kammergericht den Gerichtshof um Klärung der Vereinbarkeit des deutschen Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitsnehmer mit dem Unionsrecht. Wie der Entscheidungsprozess zum TUI Fall verlaufen ist wird im nachfolgenden näher erläutert.
Der TUI-Fall
Die TUI AG beschäftigt weltweit 77.000 Arbeitnehmer, hiervon sind ca. 10.000 Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt und im EU-Ausland sind es knapp 40.000 Arbeitnehmer. Der Aufsichtsrat der TUI AG ist laut ihrer Satzung mit 20 Personen besetzt. Nach dem § 7 Abs. 1 MitbestG werden die Mitglieder des Aufsichtsrats der TUI AG jeweils zur Hälfte von Anteilseignern und den Arbeitnehmern bestimmt. Der Kläger hatte angezweifelt, dass das deutsche Mitbestimmungsgesetz nicht uneingeschränkt europarechtskonform sei, da es vorsehe, dass nur die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat wählen könnten und in den Aufsichtsrat wählbar seien. Nach seiner Auffassung verstoße diese Art von Zusammensetzung des Aufsichtsrats aus Gründen der Staatsangehörigkeit gegen das Diskriminierungsverbot in Art. 18 AEUV sowie gegen die in Art. 45 AUEV garantierte Arbeitnehmerfreizügigkeit. Als Folge daraus hält der Kläger das Mitbestimmungsgesetz für unanwendbar, so dass der Aufsichtsrat der TUI AG ausschließlich mit Vertretern der Anteilseigner zu besetzen sei (§ 96 Abs. 1 Var. 6 AktG).
Ist das deutsche Mitbestimmungsrecht europarechtswidrig?
Durch die eingereichte Klage des Kleinaktionärs wurde der Europäische Gerichtshof vor die Frage gestellt, ob das deutsche Mitbestimmungsrecht gemäß den Art. 18 AEUV und Art. 45 AUEV europarechtswidrig ist. Wodurch zeichnet sich das deutsche Mitbestimmungsrecht aus?
Der deutsche Gesetzgeber bietet den Arbeitnehmern in einem inländischen Unternehmen oder Betrieb die Möglichkeit eines Mitbestimmungsrechtes. Das Unternehmen muss einen bestimmten Schwellenwert erlangen, damit die Arbeitnehmer ihre Arbeitnehmervertretung in den Aufsichtsrat wählen können. Natürlich ist es völlig egal, welcher Staatsangehörigkeit die Arbeitnehmer angehören. Solange sie in einem Unternehmen, das in Deutschland ansässig ist, tätig sind, haben sie das Recht eines aktiven und passiven Wahlrechts. Hier geht Deutschland nach dem sogenannten Territorialitätsprinzip. In 18 von den insgesamt 28 EU- Mitgliedstaaten ist eine Arbeitnehmerbeteiligung im Unternehmen nichts Neues. Auch in ihren Rechtssystemen herrscht das Territorialitätsprinzip.
Das Problem hierbei ist, dass durch die Arbeitnehmervertretung, die in den Aufsichtsrat gewählt wird, auch alle Arbeitnehmer vertreten werden sollen. Durch das Territorialitätsprinzip sind nur die inländischen Arbeitnehmer wahlberechtigt. Die ausländischen Arbeitnehmer besitzen kein Wahlrecht, obwohl die Arbeitnehmervertreter, die im Aufsichtsrat beteiligt sind, auch für die ausländischen Arbeitnehmer Entscheidungen treffen sollen. Dabei sollte eine unternehmerische Demokratie herrschen, indem die Arbeitnehmer im Unternehmen mitreden können. Dadurch, dass die ausländischen Arbeitnehmer kein Wahlrecht haben, ist das sehr widersprüchlich, denn das Ziel der Mitbestimmung ist es, die Arbeitnehmer zu schützen. Denn die internationalen Unternehmen können sich, durch das Territorialitätsprinzip, der Mitbestimmung entziehen. Also wäre es nicht verkehrt den Arbeitnehmern ein passives Wahlrecht zu gewähren, welche nicht im Inland tätig sind.
Das EuGH fällt eine Entscheidung
Das Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten Europarechtskonform ist. Der Ausschluss der außerhalb Deutschlands beschäftigten Arbeitnehmer eines Konzerns vom aktiven und passiven Wahlrecht bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der deutschen Muttergesellschaft verstößt nicht gegen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer.
Der EuGH stellt zunächst fest, dass das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV nur zur Anwendung gelangt, wenn der AEUV kein besonderes Diskriminierungsverbot vorsieht. Dies sei in Art. 45 Abs. 2 AEUV mit der Regelung des besonderen Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit zugunsten der Arbeitnehmer für den Bereich der Arbeitsbedingungen aber der Fall. Daher hat der EuGH sich auf die Prüfung des Art. 45 AEUV beschränkt. Dabei differenziert der Gerichtshof zwischen zwei Fallkonstellationen:
1. Arbeitnehmer, die nicht von ihrer Freizügigkeit in der Union Gebrauch machen
Der Gerichtshof stellt hier fest, dass Arbeitnehmer der TUI AG nicht unter dem Aspekt der Freizügigkeit fallen, wenn sie lediglich Arbeitnehmer einer Tochtergesellschaft sind mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland. Die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer seien nämlich nicht auf Arbeitnehmer anwendbar, die nie von ihrer Freizügigkeit innerhalb der Union Gebrauch gemacht haben oder Gebrauch machen wollen. Dabei ist der Aspekt, dass die Muttergesellschaft ihren Sitz in Deutschland hat, also in einem anderen Mitgliedstaat, als die betroffenen Arbeitnehmer tätig sind und von dort aus das Unternehmen kontrollieren nicht von Bedeutung.
2. Arbeitnehmer, die ihre Stelle in Deutschland aufgeben, um eine Stelle bei einer Tochtergesellschaft des Konzerns im EU-Ausland anzutreten
Verlässt der Arbeitnehmer der TUI AG allerdings seine Stelle in Deutschland um in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft dieses Konzerns eine Stelle anzutreten, so fällt seine Situation grundsätzlich unter dem Aspekt der Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Der Gerichtshof stellt fest, dass der Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts keine Einschränkung der Freizügigkeit darstellt, da ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat eine neutrale Behandlung der Arbeitnehmer wie in seinem Herkunftsland nicht garantieren kann. Da die Systeme und Rechtsvorschriften in jedem Land unterschiedlich sind, erweist sich ein solcher Umzug sowohl je nach Einzelfall als vorteilhaft als auch nachteilig. Was insbesondere den Verlust der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat nach einer Versetzung in einen anderen Mitgliedstaat betrifft, stellt der Gerichtshof fest, „dass dies nur die Folge der legitimen Entscheidung Deutschlands sei, die Anwendung seiner nationalen Vorschriften im Bereich der Mitbestimmung auf die bei einem inländischen Betrieb tätigen Arbeitnehmer zu beschränken“.
Die Entscheidung des EuGH ist zu begrüßen und nachvollziehbar, dass Arbeitnehmer im EU Ausland nicht von den Mitbestimmungsrechten eines anderen Staates gebrauch machen können, behindert nicht die Freizügigkeit. Dass die Grundfreiheiten nicht dazu gedacht sind sämtliche Unterschiede, wie die Sozialordnung zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten einzuebnen, haben die Richter mit der Entscheidung klargestellt. Mit der Entscheidung können alle deutschen Unternehmen mit mitbestimmten Aufsichtsräten und Arbeitnehmern im Unionsausland aufatmen, da ihnen eine EU-weite Neuwahl der Arbeitnehmervertreter erspart beleibt.