Die Wortkonstruktion Legal Tech setzt sich aus „legal services“ und technology“ zusammen und meint im Groben die Digitalisierung der juristischen Arbeit. Zielsetzung von Legal Tech Unternehmungen ist es rechtliche Arbeitsprozesse durch den Einsatz von software-gestützten Technologien zu standardisieren oder sogar zu automatisieren. Daraus ergeben sich für Rechtsanwender neue Möglichkeiten, was gleichzeitig vorher nicht dagewesene Herausforderungen mit sich bringt. Konflikte und Reibungspunkte ergeben sich insbesondere mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz. Inwieweit diese Bedenken gerechtfertigt sind und welcher Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers besteht, beleuchtet dieser Beitrag.

Bestandsaufnahme

Auf dem deutschen Markt lassen sich derzeit die Geschäftskonzepte im Bereich Legal Tech in drei Kategorien einteilen:

  1. Vereinfachung der Rechtsarbeit von Unternehmen

Im Wesentlichen betrifft dieses Geschäftsmodell die Organisation der juristischen Tätigkeit. Darunter fallen klassische Systeme zur Mandats- bzw. Aktenverwaltung aber auch neu entwickelte Anwendungen für die Anwaltskommunikation. Sogenannte Legal Practice Management Anwendungen stellen eine moderne Form des Prozessregisters dar und enthalten alle zur Fallbearbeitung relevanten Systeme, wie das Case Management, Dokumentenmanagement, Emailzugang, Aufgabenverwaltung und die Buchhaltung. Der Verwender kann auf die Anwendung jederzeit von jedem Ort zugreifen, da diese meist cloudbasiert sind.

  1. Marktplatz für Anwaltsleistungen

Den zweiten Bereich stellen ebenfalls Anwendungen, die nicht die juristische Dienstleistungserbringung an sich umfassen. Plattformen oder auch „Marktplatz“ genannt, betreiben Akquise, Vermarktung und Bewerbung juristischer Inhalte. Derjenige, der Beratung sucht kann sich unkompliziert einen Überblick der Angebote verschaffen und sich teilweise schon selbst einlesen. Bekannte Anwendungen in diesem Bereich sind momentan frag-einen-anwalt.de, anwalt.de oder die Anwaltshotline.

  1. Unterstützung der Rechtsfindung

Dieses Konzept hilft dem Ratsuchenden zur eigentlichen Rechtsfindung und übernimmt so Aufgaben, die vorher durch Berufsträger ausgeführt wurden. Im Idealfall geschieht dies software-gestützt vollautomatisiert. Die Internetplattformen wecken Aufmerksamkeit über das mögliche Bestehen von Ansprüchen und fragen die notwendigen Informationen in standardisierter Form ab. Auf dem Markt gibt es derzeit entsprechende Angebote für Ansprüche aus Fluggastrechten, Abfindungsansprüchen nach einer Kündigung im Arbeitsverhältnis oder im Ordnungswidrigkeitsverfahren nach Geschwindigkeitsübertretungen. Bei einigen Anwendungen ist der Prozess soweit automatisiert, dass erst zum Schluss – sofern der Fall überhaupt vor Gericht verhandelt werden müsste und nicht schon vorher eine außergerichtliche Lösung (durch den Computer) gefunden wurde – ein Rechtsanwalt eingeschaltet wird. Dieser erhält sofort alle wichtigen Informationen die die Software gesammelt hat und muss sich weder mit Sachverhaltserfassung noch -ermittlung aufhalten.

Eine weitere Sache, mit der sich Programmierer zunehmend beschäftigen ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Zusammenhang mit Sachverhaltsermittlungen. Es entstehen Softwares, die Dokumente, Briefe, E-Mails und ähnliches auf bestimmte Schlagwörter durchsuchen und so die Sachverhaltsarbeit von Anwälten und Unternehmen erleichtern. Daraus ergeben sich einige Problemstellungen, insbesondere im Gebiet des Datenschutzes oder aber auch ob das anwaltliche Zeugnisverweigerungsrecht für Informationen, die durch diese Software erlangt wurden, greift. Dieser Beitrag beschäftigt sich jedoch vornehmlich mit der Problemstellung des Rechtsdienstleistungsgesetzes im Hinblick auf Legal Tech Instrumente.

Verdrängt eine Software die klassische Rechtsberatung?

Die beiden zuerst beschriebenen Geschäftsmodelle stellen eine Unterstützung der klassischen Anwaltstätigkeit dar, indem sie die Arbeitsprozesse erleichtern bzw. Dienstleistungen vermitteln, selbst jedoch keine Rechtsdienstleistung erbringen. Im Hinblick auf das zuletzt beschriebene Geschäftskonzept stellt sich jedoch die Frage, ob die klassische Rechtsberatung durch programmierte Algorithmen in Zukunft verdrängt wird. Anwaltliche Leistungen, die früher durch Menschen in Büros erledigt wurden, können heute von einem Computer in kürzester Zeit erledigt werden. Öffnungszeiten oder Entfernungen spielen keine Rolle mehr.

Konflikte mit dem Rechtdienstleistungsgesetz

Ob die Thematik rund um Legal Tech überhaupt eine Gefahr bzw. eine Konkurrenz für die klassische Rechtsberatung sein kann, hängt davon ab, ob eine Rechtsberatung auf diesem Weg erlaubt ist. Das Rechtsdienstleistungsgesetz regelt die Befugnis außergerichtliche Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Zielrichtung dieses Gesetzes ist der Schutz des Rechtssuchenden und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleitungen (§ 1 RDG). Das RDG ist ein Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt, was bedeutet, dass außergerichtliche Rechtsdienstleitungen grundsätzlich verboten sind, es sei denn, sie sind ausdrücklich erlaubt (§ 3 RDG). Das können Erlaubnistatbestände im oder außerhalb des RDG sein.

Es dreht sich somit alles um die Frage, ob die durch die Software erbrachte Tätigkeit als Rechtsdienstleistung zu qualifizieren ist und somit erlaubnispflichtig nach dem RDG ist. Eine Legaldefinition zur Rechtsdienstleistung findet sich im § 2 Abs. 1 RDG, wonach eine Rechtsdienstleistung jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten ist, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Absatz 2 schließt die Inkassodienstleistung als Rechtsdienstleitung ein und Absatz 3 beinhaltet eine Aufzählung, was keine Rechtsdienstleistung ist. Die reine Support-Funktion von bestimmten Anwendungen (z.B.. digitales Prozessregister) scheidet damit genauso wie die Vermittlung von anwaltlichen Dienstleistungen aus dem Anwendungsbereich des RDG aus, da diese nicht in konkretem fremden Anliegen erfolgen und auch keine rechtliche Prüfung im Einzelfall fordert. Fraglich ist jedoch, inwieweit ein Algorithmus, der dem Verwender nach Dateneingabe anzeigt, ob ein Anspruch besteht oder nicht, unter den Begriff der Rechtsdienstleistung zu subsumieren ist.

Nun könnte argumentiert werden, dass der Begriff „Tätigkeit“ ein aktives Handeln voraussetze, was von einem Algorithmus regelmäßig nicht erbracht werden kann. Vielmehr gehe das aktive Handeln von dem Nutzer, der seine Daten über eine Eingabemaske einträgt, aus. In der Literatur wird jedoch überwiegend die Ansicht vertreten, dass eine Rechtsdienstleistung auch durch technische Mittel und damit automatisiert erbracht werden kann. Das aktive Handeln läge dabei schon bei der Entwicklung und Zurverfügungstellung der Software. Damit liegt in eine Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 RDG vor.

Weitere Voraussetzung für die Qualifizierung als Rechtsdienstleistung ist, dass die Tätigkeit in konkreten fremden Anliegen erfolgen soll. Dabei sollen abstrakte oder fiktive Fälle aus der Definition der Rechtsdienstleistung herausfallen. Die Tatsache allein, dass die Software für viele Nutzer zur Verfügung gestellt wird, soll jedoch nicht zur Folge haben, dass das Merkmal der Konkretheit fehlt, da durch die Eingabe seiner individuellen Daten ein auf den Nutzer angepasstes Ergebnis entwickelt wird. Schwierige Abgrenzungsfragen ergeben sich dann, wenn der Nutzer selbst auf Inhalte zugreift die zwar abstrakt gehalten sind, sich jedoch in verschiedene Fallgruppen untergliedert. Diese Situation lässt sich mit dem Einlesen in ein Ratgeber-Handbuch vergleichen und stellt konsequenterweise keine Rechtsdienstleistung dar, da die Beratung nicht auf einen konkreten Fall abzielt.

Neben dem Merkmal der Tätigkeit in konkreter fremder Angelegenheit muss ferner geklärt werden, ob eine rechtliche Prüfung im Einzelfall erfolgt, ansonsten liegt keine Rechtsdienstleistung im Sinne des RDG vor. Der BGH hat 2016 in zwei Urteilen die rechtlichen Anforderungen an eine Prüfung i.S.d. § 2 Abs. 1 RDG gesenkt. Laut BGH umfasst § 2 Abs. 1 RDG jede konkrete Subsumtion eines Sachverhalts unter die maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen, die über die bloß schematische Anwendung von Rechtsnormen hinausgeht. Wie diese „weitere rechtliche Prüfung“ jedoch ausgelegt werden soll, hat der BGH bislang offen gelassen, klare Abgrenzungskriterien wann die Schwelle bei Legal Tech Unternehmen erreicht wird, existieren bislang nicht.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass eine Rechtsdienstleistung grundsätzlich automatisiert durch Software erbracht werden kann. Wann genau eine solche angenommen werden kann ist jedoch nicht abschließend geklärt. Diese Unsicherheit und die Tatsache, dass solch Software in der Welt der Rechtsanwender – einer Branche in der die Digitalisierung insgesamt wenig fortgeschritten ist – noch sehr unbekannt ist, wirft zwangsläufig die Frage auf, ob gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, um eventuelle Regelungslücken zu schließen.

Gesetzgeberischer Handlungsbedarf

Schutzrichtung des Rechtsdienstleistungsgesetztes ist der Verbraucher, der vor der Gefahr unqualifizierten Rechtsdienstleistung geschützt werden soll. Problematisch ist eine Rechtsberatung von nicht-Anwälten in der Hinsicht, als das für sie keine zwingende Berufshaftpflichtversicherung besteht und sie zudem keiner sanktionierbaren Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Das birgt Gefahren für den Verbraucher. Beachtet werden muss allerdings auch, dass es durch die Legal Tech Strömung Geschäftsmodelle gibt, die die Rechte der Verbraucher stärken wollen. Die trifft insbesondere auf Plattformen zu, die sich zur Aufgabe gemacht haben Bagatellfälle für den Verbraucher zu übernehmen und durchzusetzen, für den sich ein einzelner Verbraucher der Gang zum Anwalt nicht gelohnt hätte. Dadurch verhilft eine solche Plattform dem Verbraucher zu seinem Recht auf welches er ohne eine solche Dienstleistung verzichtet hätte. Ein Verbot nach dem RDG scheint daher nicht gerechtfertigt. Um dennoch ein Schutzschild für den Verbraucher aufbauen zu können, sollte über einige Neuerungen im Rechtsdienstleistungsgesetz nachgedacht werden. Denkbar wäre ein Erlaubnistatbestand in Verbindung mit einer entsprechenden Berufshaftpflichtversicherung. Aber auch das Aufbrechen der klassischen Strukturen der Rechtsbranche könnte eine Möglichkeit und große Chance sein. Momentan steht der Rechtsdienstleistungsmarkt nur den Juristen mit Befähigung zum Richteramt in vollem Umfang offen. Im Zuge des Wandels und Weiterentwicklung der juristischen Ausbildung scheint es daher durchaus angemessen über eine Öffnung auch für Wirtschaftsjuristen nachzudenken.

Sicherlich wird sich der deutsche Gesetzgeber demnächst mit der Thematik rund um Legal Tech und das Rechtsdienstleistungsgesetz beschäftigen müssen. Und auch auf EU-Ebene wird sich Regung zeigen, denn die EU-Kommission hat sich zum Ziel gesetzt Online-Plattformen zu fördern, gleichzeitig aber Verbraucherrechte zu stärken.

Es bleibt abzuwarten, was der Gesetzgeber für eine Lösung sucht oder ob es erst eine Grundsatzentscheidung durch den BGH bedarf. Zu wünschen wäre eine Rechtsicherheit dahingehend in jedem Fall, da dies die Investitionsbereitschaft in neue Legal Tech Modelle erhöhen, wodurch Innovationen angeregt werden und im besten Fall die Rechte der Verbraucher gestärkt werden, da eine Anspruchsdurchsetzung für jeden unkompliziert möglich gemacht werden kann.