Das Tragen von religiösen Symbolen im öffentlichen Dienst wird kontrovers diskutiert. Zuletzt entschied das BVerfG im Februar 2017 im Falle einer Grundschullehrerin. Sie bewarb sich auf eine Stelle im Land Berlin. Ihre Bewerbung wurde aufgrund des Kopftuches abgelehnt. Das Gericht stellte einen schwerwiegenden Eingriff in die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Klägerin fest und legte das Berliner Neutralitätsgesetz einschränkend aus. Anders ist die Diskussion im Privatrecht. Unternehmen unterliegen keinem zivilrechtlichen Neutralitätsgebot. Das Tragen von religiösen Symbolen, wie das Kopftuch, steht den Arbeitnehmern demnach grundsätzlich frei. Der Abeitgeber kann unter Umständen interne Regelungen beschließen, die das Tragen von religiösen Symbolen verbietet.

Es liegt also in der Hand der Unternehmen, ob die Arbeitnehmer neutral angezogen zur Arbeit erscheinen – oder?!

Bekanntlich endet die Freiheit des Einzelnen dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Arbeitgeber müssen bei der Aufstellung von Regelungen beachten, dass kein schwerwiegender Eingriff in die Freiheit der Arbeitnehmer vorliegt. Bei der Weisung zur Kleiderordnung besteht die Gefahr, dass in die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der kopftuchtragenden Mitarbeiterinnen eingegriffen wird. Dadurch könnten sie unzulässig benachteiligt werden.

Rechtfertigung: Sicherheits- und Hygieneanforderung

Aus arbeitsrechtlicher Sicht können bei einer unzulässigen Benachteiligung des Arbeitnehmers Schadenersatzansprüche gegen den Arbeitgeber erwachsen. Unternehmen müssen darauf achten, dass sie nicht gegen § 1 AGG und ggf. gegen § 75 I BetrGV verstoßen. Die Paragraphen werden dann relevant, wenn der Arbeitnehmer aufgrund von Merkmalen, die er nicht selbst beeinflussen kann, ungerechtfertigt benachteiligt wird. § 1 AGG nennt neben der Herkunft, dem Alter und dem Geschlecht auch die Religion. Während § 75 I BetrGV vorsieht, dass der Arbeitgeber und der Betriebsrat darüber wachen sollen, dass eine Diskriminierung unterbleibt, eröffnet § 1 AGG Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber. Zwar verbietet § 7 AGG  eine Benachteiligung i.S.v. § 1 AGG ausdrücklich, gleichwohl können Benachteiligungen gem. §§ 8, 9 AGG zulässig sein. Zulässig wäre bspw. ein Kopftuchverbot im Unternehmen dann, wenn die Regelung wegen der Art der beruflichen Tätigkeit eine wesentliche und berufliche Anforderung stellt, die angemessen ist und deren Zweck rechtmäßig ist.

Oft wird eine vorgeschriebene Kleiderordnung mit der Einhaltung von Sicherheits- und Hygieneanforderungen gerechtfertigt. Liegt keine Rechtfertigung vor, ist die Benachteiligung unzulässig und der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 15 AGG. So auch in der Grundsatzentscheidung des BAG aus dem Jahre 2002.

EuGH erweitert die Zulässigkeit einer Benachteiligung

Ein Unternehmen darf laut der neuesten Entscheidung des EuGH auch die Neutralität im Umgang mit Kunden bestreben – wohlgemerkt – ohne, dass die Weisung in Zusammenhang mit Sicherheits- und Hygieneanforderungen steht. Voraussetzungen hierzu sind:

  • eine allgemeine geltende Regelung
  • die nicht (faktisch) zur mittelbaren Diskriminierung führt

Das Gericht sieht in einer an alle Mitarbeiter gerichtete Regelung zur Neutralität eine berufliche Anforderung, die einem angemessenen und rechtmäßigen Zweck unterliegt.

Mit den Worten des EuGH: „Eine unternehmerische Regel, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen, oder religiösen Zeichens verbietet, stellt keine unmittelbare Diskriminierung dar.

Eine Einschränkung macht der EuGH dann doch. Zwar stellt der Wunsch nach Neutralität im Kundenkontakt ein rechtmäßiges Ziel dar, aber der Arbeitgeber muss in der Umsetzung angemessene Mittel finden.

In einem der beiden Fälle mit dem sich der EuGH im März 2017 beschäftigte ging es um eine Rezeptionistin eines Sicherheitsunternehmens, die im Laufe ihrer Tätigkeit anfangen wollte, ein Kopftuch zu tragen. Der Arbeitgeber forderte die Mitarbeiterin auf ihr Kopftuch während der Arbeitszeit abzulegen. Als sie der Aufforderung nicht nach ging, wurde sie gekündigt. Der EuGH äußerte sich hierzu wie folgt: zwar sei der Wunsch nach Neutralität im Kundenkontakt rechtmäßig, aber eine Kündigung stelle für die Umsetzung kein geeignetes Mittel dar. Ein milderes Mittel und gleich effektiv sei die Beschäftigung in einem Bereich ohne Kundenkontakt.

Auswirkung auf die deutsche Gerichtbarkeit

Mit dieser Argumentation stößt die deutsche Rechtsprechung auf Gegenwind. In seiner Grundsatzentscheidung entschied das BAG 2002, dass die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers vorgeht. Durch die Entscheidung des EuGH kommt dieses Verhältnis etwas ins Wanken. Das Weisungsrecht zur Kleiderordnung gewinnt dadurch an Gewicht. Bemerkenswert ist, dass der EuGH – anders als jüngst das BVerfG – nicht hinterfragt, ob von dem entsprechenden Symbol denn überhaupt eine drohende Gefahr ausgeht. Die zugesprochene Neutralität im Unternehmen führt zu Gesellschaftsfragen, die das Arbeitsrecht weit übersteigt. Einigkeit herrscht darüber, dass die kontroverse um religiöse Symbole am Arbeitsplatz eine Gesamtschau des Einzefalls bedarf. Es ist abzuwarten wie die deutschen Gerichte mit dem Urteil umgehen werden.