Mit der bevorstehenden Novellierung des § 439 BGB sollen in erster Linie Handwerker und Bauunternehmer entlastet werden. Diese Änderung ist allerdings nicht für jeden Unternehmer von Vorteil. Insbesondere für Zulieferer birgt die Gesetzesänderung eine Gefahr und kann hohe Gewährleistungskosten zur Folge haben.

Was steckt hinter dieser bevorstehenden Novellierung?

§ 439 BGB regelt die Nacherfüllung im Falle einer mangelhaften Leistung des Schuldners. Mit dem sog. Fliesenfall entschied der BGH, dass der Aus- und Einbau von Fliesen  in Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 BGB) zum Umfang der Nacherfüllung gehört. Nach aktueller Rechtslage besteht diese Verpflichtung nicht gegenüber dem unternehmerischen Käufer. Doch weshalb?

Der BGH hat in seinem Urteil vom 17. Oktober 2012 die Grundsätze des maßgeblichen EuGH-Urteils vom 16.06.2011 lediglich auf den Verbrauchsgüterkauf beschränkt. Das aus dem Umsetzungsgebot  des Art. 288 Abs. 3 AEUV und dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue folgende Gebot der richtlinienkonformer Auslegung greift insbesondere deshalb nicht, weil die Verbrauchsgüterrichtlinie allein nach ihrem Wortlaut auf Unternehmer keine Anwendung findet.

Eine Norm zwei Gesichter – gespaltene Auslegung des selben Wortlauts

Für das nationale Recht ergibt sich jedoch das Problem, dass der selbe Wortlaut des § 439 BGB einer gespaltenen Auslegung unterliegt. Zwar soll in der Regel eine deutsche Norm einer einheitlichen Auslegung entsprechen, jedoch muss im Einzelfall darauf abgestellt werden, ob eine überschießende Umsetzung der maßgeblichen europäischen Richtlinie vorliegt. Ein sehr starkes Indiz für die überschießende Umsetzung ist der Systematik des Gesetzes zu entnehmen. Obwohl der Verbrauchsgüterkauf den Sonderregelungen der §§ 474 ff. BGB unterliegt, wurden die europarechtlichen Vorgaben in die für alle Kaufverträge geltenden Bestimmungen eingefügt.

Zu berücksichtigen ist darüber hinaus der Wille des Gesetzgebers. Es stellt sich konkret die Frage, ob die Ausdehnung des Wortlauts des § 439 BGB im Rahmen des ausreißenden Auslegungsverständnisses vom Willen des Gesetzgebers gedeckt ist. Ausgangspunkt ist das rein nationale Auslegungsverständnis des § 439 BGB.

Das nationale Auslegungsverständnis des § 439 BGB

Dem Wortlaut ist eine Lieferung (vgl. § 439 I BGB) zu entnehmen. Es stellt sich die Frage, ob der Wortsinn der Lieferung eine Aus- und Einbaupflicht umfasst. Ausgehend vom natürlichen Wortsinn ist eine Lieferung eher ein körperlicher Übergabeprozess und dementsprechend eher als bringen bzw. übergeben zu verstehen.

Gleichwohl ist in seinem Absatz 2 die Rede von Kostentragung von Arbeitskosten des Verkäufers. Zwar handelt es sich hierbei um Kosten, die zum Zwecke der Nacherfüllung entstehen, aber auf dem zweiten Blick wird deutlich, dass § 439 II BGB eine Nacherfüllung voraussetzt und somit an die Nacherfüllung anknüpft. § 439 II BGB regelt nicht das „ob“ der Nacherfüllung.

In Anbetracht des Wesens des Nacherfüllungsanspruchs ergeben sich zwei unterschiedliche Ansichten. Gemeinsamkeit herrscht darüber, dass es sich beim Nacherfüllungsanspruch um eine Modifikation des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs aus § 433 I BGB handelt. Der Verpflichten Einer Ansicht nach gilt es demnach die Leistungshandlung zu modifizieren, weshalb der Aus- und Einbau auch vom Nacherfüllungsanspruch umfasst ist. Der BGH hingegen fordert den gleichen Leistungserfolg. Die Ersatzlieferung umfasst somit eine vollständige Wiederholung der Leistungen, zu denen der Verkäufer nach § 433 I BGB verpflichtet ist – nicht mehr und nicht weniger.

Nach der Gesamtschau der Argumente spricht mehr gegen die Verpflichtung. Klar wird, dass der deutsche Gesetzesgeber von einem anderen Verständnis ausgeht als der EuGH. Einigkeit herrscht darüber, dass dem deutschen Gesetzesgeber außerhalb des Bereichs der Richtlinie keine Auslegung aufgezwungen werden kann. Es besteht keine Aus- und Einbaupflicht außerhalb der Kaufverträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern.

Dies geht vor allem zu Lasten der Handwerker und Bauunternehmer. Im Rahmen der werkvertraglichen Nacherfüllung schulden Sie ihrem Auftraggeber den Ausbau des mangelhaften Baumaterials und den Einbau des mangelfreien Ersatzmaterials. Vorausgesetzt ein Schadenersatzanspruch gegen den Verkäufer des Baumaterials scheitert, so verbleibt Ihnen lediglich der Anspruch auf die Lieferung einer neuen Kaufsache. Handwerker und Bauunternehmer bleiben folglich auf den Kosten des Aus- und Einbaus sitzen. Mit der Novellierung des § 439 BGB wird es dieses Problem nicht mehr geben, da der Verkäufer verschuldensunabhängig zum Aus- und Einbau der mangelhaften Ware verpflichtet ist.

Allerdings ergeben sich dadurch jedoch neue Fragen. Eine denkbare Abwehr der Zulieferer bei hohen Gewährleistungskosten gegen den Anspruch auf Nacherfüllung könnte der § 439 III BGB darstellen. Die Grenze der zu tragenden Kosten muss dann in der Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllungskosten festgestellt werden. Dieser Absatz bleibt auch nach der Novellierung inhaltsgleich. Ob und wann die Nacherfüllungskosten unverhältnismäßig sind, bleibt offen und verbleibt der Auslegung der Rechtsprechung. Deswegen empfielt sich in Zukunft noch vehemeter den Haftungsumfang vertraglich festzulegen.

Fazit

Festzuhalten ist, dass die anstehende Gesetzesänderung bezüglich des Umfangs der Nacherfüllungspflicht im Rahmen des § 439 BGB ihre Vor- und Nachteile mit sich bringt. Maßgebend ist die Stellung innerhalb der Lieferkette. Zwar werden den Zulieferern voraussichtlich hohe Gewährleistungskosten entstehen, jedoch ermöglicht die bevorstehende Änderung für sie ebenso einen einfacheren Rückgriff. In Aussicht steht die Verschiebung der potentiellen Probleme auf die Feststellung der Schwelle der Verhältnismäßigkeit. Daher empfielt es sich in Zukunft noch vehementer diesbezüglich vertragliche Vereinbarungen zu treffen.