Durch die Aktionärsrechterichtlinie sollen Aktionäre in börsennotierten Gesellschaften ihre Rechte leichter ausüben können. Für eine erfolgreiche Unternehmensführung ist die wirksame Kontrolle der Verwaltungsorgane durch die Aktionäre dringend notwendig. Hindernisse, die den Aktionären die Wahrnehmung ihrer Mitverwaltungsrechte erschweren, sollen mithilfe der Richtlinie beseitigt werden. Im Fokus der Umsetzung liegt vor allem die Verbesserung der grenzüberschreitenden Ausübung von Aktionärsrechten innerhalb der EU. Der folgende Blogbeitrag befasst sich ausschließlich mit der Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie in das nationale Aktiengesetz. Ein besonderes Augenmerk liegt bei der Ausgestaltung des Fragerechts, da dieses Aufmerksamkeit beim Bundesgerichtshof erregt hatte.

Vorstellung der Aktionärsrechterichtlinie

Die Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, kurz die Aktionärsrechterichtlinie, wurde am 11. Juli 2007 erlassen. Das Hauptproblem, mit dem sich die Richtlinie beschäftigt, ist die geringe Hauptversammlungspräsenz. Verwaltungsrechte wie Stimm-, Teilnahme- und Auskunftsrecht werden oft nicht ausgeübt, wenn sie an die persönliche Teilnahme knüpfen, weil sie einerseits mit zusätzlichen Kosten, z.B. Anreisekosten verbunden sind, aber andererseits keinerlei Vermögensvorteile mit sich bringen. Je niedriger die Hauptversammlungspräsenz ist, desto größer ist die Gefahr, dass während der Abstimmungen Zufallsmehrheiten zustande kommen. Die Präsenz kann aber wiederum durch eine Förderung der effektiven Ausübung der Aktionärsrechte erhöht werden. Zudem ist notwendig, dass die grenzüberschreitenden Hindernisse für die Ausübung der Stimmrechte beseitigt werden. Genau das macht sich die Aktionärsrechterichtlinie zum Ziel. Die Regelungen der Richtlinie sollten durch ihre verbindliche Rechtswirkung einen in Europa einheitlichen Mindeststandard für die Stimmrechtsausübung bei den Hauptversammlungen schaffen.  Vom Wirkungsbereich der Aktionärsrechterichtlinie erfasst werden ausschließlich die individuellen Aktionärsrechte in Zusammenhang mit der Hauptversammlung börsennotierter Gesellschaften mit Sitz in einem EU-Staat, deren Aktien zum Handel an einem EU-geregelten Markt zugelassen sind.

Umsetzungsgesetz (ARUG)

Aus Art. 288 Abs. 3 AEUV ergibt sich für jeden Mitgliedstaat eine Umsetzungspflicht. Die Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie erfolgte im deutschen Recht durch das ARUG v. 30.7.2009. Dabei handelte es sich um ein Änderungsgesetz, das gleichzeitig eine weitere Richtlinie umsetzte und mit seinen 16 Artikeln eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen änderte. Gravierende Änderungen trafen vor allem das Aktiengesetz.

Vergleich der Richtlinienvorgaben mit der Umsetzung in das nationale Aktiengesetz

Bereitstellung von Informationen vor der Hauptversammlung

Aus Art. 5 der Aktionärsrechterichtlinie ergibt sich wie (Frist, Form & Inhalt) eine Hauptversammlung einzuberufen ist. Ziel der Vorschrift ist, auch den in anderen EU-Staaten ansässigen Aktionären die erforderlichen Informtionen rechtzeitig vor der Hauptversammlung bereitzustellen. Gemäß des Artikels muss die Hauptversammlung spätestens am 21. Tag vor der tatsächlichen Hauptversammlung einberufen werden. Der deutsche Gesetzgeber hat bereits im § 123 Abs. 1 AktG eine Frist zur Einberufung von mindestens 30 Tagen vor der Hauptversammlung festgelegt. Außerdem muss die Einberufung in einer Form erfolgen, dass alle Aktionäre einen schnellen und kostenlosen Zugriff haben. Die Gesellschaft muss beachten, Medien zu benutzen, die die Informationen tatsächlich an die Öffentlichkeit in der ganzen EU richten. Die Regelung bzgl. der Form zur Einberufung einer Hauptversammlung wurden durch das Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) in § 121 Abs. 4a AktG aufgenommen. Fraglich ist jedoch, ob die Aufnahme dieser Vorschrift tatsächlich notwendig gewesen wäre, da die gewünschte unionsweite Verbreitung der Einberufung einer Hauptversammlung bereits durch die Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger gem. § 121 Abs. 4 i.V.m. § 25 AktG herbeigeführt wird. Dieser ist überall im Internet frei abrufbar. Zuletzt beschreibt Art. 5 der Richtlinie den Mindestinhalt einer Einberufung u.a. den Ort und Zeitpunkt der Hauptversammlung. Außerdem muss die vorgeschlagene Tagesordnung klar definiert sein sowie das Verfahren, wie die Aktionäre an der Hauptversammlung teilzunehmen haben, um ihr Stimmrecht wirksam ausüben zu können. Alle Informationen zum Inhalt müssen auf der Internetseite der Gesellschaft abrufbar sein. Die Inhaltsvorgabe nach Art. 5 wurde im Rahmen des ARUG im § 121 Abs. 3 AktG erfasst.

Voraussetzungen zur Teilnahme an der Hauptversammlung (Nachweisstichtag)

Auch kurz vor einer Hauptversammlung soll der Aktionär nicht bei der Veräußerung von Aktien beschränkt werden. Die Flexibilität im Umgang mit den Aktien soll dauerhaft bewahrt bleiben. Jeder Mitgliedsstaat hat einen Nachweisstichtag vor der Hauptversammlung zu bestimmen, (welcher besagt, wie viel Aktien jeder einzelne Aktionär bis zu diesem Tag hält). Damit nimmt er möglicherweise in Kauf dass Nichtaktionäre, die am Stichtag allerdings noch Aktionäre waren, an der kommenden Hauptversammlung teilnehmen. Dieser Tag darf nicht weniger als acht Tage nach der Einberufung und nicht mehr als 30 Tage vor dem Tag der Hauptversammlung liegen. Art. 7 der Richtlinie bleibt für das deutsche Recht unberührt. Der deutsche Gesetzgeber definiert für den Nachweisstichtag im § 123 Abs. 4 AktG eine klare Frist (Beginn des 21. Tages vor HV). Bei Namensaktien genügt der Blick in das Aktienregister am Tag der Hauptversammlung. Art. 7 und § 123 Abs. 5 AktG sind diesbezüglich auf dem gleichen Stand.

Einbringung von Ergänzungsanträgen und Beschlussvorlagen

Die Richtlinie räumt Aktionären in Art. 6 das Recht ein, neue Punkte auf die Tagesordnung zu setzen. Dafür muss jeder Staat einen einheitlichen Stichtag festlegen (bis zu welchem Zeitpunkt, Punkte auf die Tagesordnung ergänzt werden dürfen). Die neue ergänzte Tagesordnung muss in derselben Weise wie die ursprüngliche rechtzeitig vor der Hauptversammlung allen Aktionären zugänglich gemacht werden (Veröffentlichung auf Internetseite). Außerdem können Aktionäre Beschlussvorlagen zu bereits auf der Tagesordnung bestehenden Punkten einbringen. Eingebrachte Beschlussvorlagen sind ebenso auf der Internetseite einzustellen. Das ARUG bewirkte hier keine Änderung, da der § 122 Abs. 2 AktG bereits das Recht auf Ergänzung der Tagesordnung regelt. Das Recht Beschlussvorlagen einzubringen wird nach deutschem Recht bereits jedem Aktionär nach § 126 ff. AktG gestattet.

Teilnahme an der Hauptversammlung auf elektronischem Wege

Ein neuer Aspekt der Richtlinie ist die Teilnahme an der Hauptversammlung auf elektronischem Wege. Die Mitgliedsstaaten müssen den börsennotierten Gesellschaften die Option eröffnen, ihren Aktionären jede Form der elektronischen Teilnahme zu ermöglichen. Insbesondere in den Formen einer Direktübertragung in Echtzeit, einer Zweigweg-Direktverbindung, die bewirkt, sich von einem anderen Ort aus durch Redebeiträge an die Hauptversammlung zu wenden und ein Verfahren, dass die Ausübung des Stimmrechts vor oder während der Versammlung ermöglicht.  Der deutsche Gesetzgeber hat die elektronische Teilnahme durch das ARUG in  § 118 AktG umgesetzt. Die Satzung oder der Vorstand kann bestimmen, dass Aktionäre ohne persönliche Anwesenheit an der Hauptversammlung teilnehmen können. So ensteht für Aktionäre eine neue Gelegenheit ein wirksames Stimmrecht abzugeben.

Stimmrechtsvertretung

Art. 10 der Richtlinie schreibt vor, dass jeder Aktionär das Recht hat einen Vertreter zu bestellen, der an der Hauptversammlung in seinem Namen teilnehmen und abstimmen darf. Dabei kann der Vertreter sowohl eine natürliche als auch eine juristische Person sein. Der Vertreter verpflichtet sich entsprechend den Anweisungen des Aktionärs, der ihn bestellt hat, abzustimmen. Hierbei kann er mehrere Aktionäre gleichzeitig vertreten und für sie jeweils unterschiedlich abstimmen. Außerdem sagt Art. 11 der RL, dass die Erteilung der Vollmacht auf elektronischem Wege erfolgen kann. Die deutsche Parallelvorschrift § 134 Abs. 3 S. 1 AktG gestattete noch vor dem Erlass der Richtlinie, dass das Stimmrecht durch einen Bevollmächtigten ausgeübt werden konnte. Dennoch wurden S. 2 und S. 3 neu eingeführt, um den Inhalt dieses Rechts im Sinne der Richtlinie zu vervollständigen.

Abstimmung per Brief

Informationen zur Abstimmung per Brief vor der Hauptversammlung umfasst Art. 12 der Richtlinie. Hierzu sind nur Einschränkungen erlaubt, die der Feststellung der Identität der Aktionäre dienen können. Eine Umsetzung dieser Vorgabe erfolgte in § 118 Abs. 2 AktG. Dabei ist zu beachten, dass im Unterschied zur Stimmabgabe des online zugeschalteten Aktionärs, bei einer Briefwahl der Aktionär rechtlich nicht als „Teilnehmer“ oder als „anwesend“ zu qualifizieren ist. Aus diesem Grund ist er im Falle der Briefwahl nicht befugt einen Beschluss nach § 245 Nr. 1 AktG anzufechten.

Abstimmungsergebnisse in der Gesamtheit

Art. 14 der Richtlinie enthält die Parameter, die für eine ordnungsgemäße Beschlussfeststellung ohnehin erforderlich sind. Es wird zugunsten der Aktionäre mehr Transparenz im Hinblick auf das Abstimmungsergebnis geschaffen. Für jeden Beschluss ist daher festzustellen z.B. die Zahl der Aktien, für die eine gültige Stimme abgegeben wurde, der Anteil des Aktienkapitals, der durch diese Stimmen vertreten wird, die Gesamtzahl der abgegebenen gültigen Stimmen, die Zahl der „für“ und „gegen“-Stimmen und gegebenenfalls die Zahl der Enthaltungen. Die Ergebnisse sind schließlich auf der Webseite der Gesellschaft zu veröffentlichen. Zur Umsetzung von Artikel 14 Abs. 1 der Richtlinie diente die Änderung von § 130 Abs. 2 und Abs. 6 AktG.

Achtung! (Un)eingeschränktes Fragerecht

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Frage, ob das Auskunftsrecht der Aktionäre auf der Hauptversammlung eingeschränkt werden kann. Nach Art. 9 der Richtlinie hat jeder Aktionär das Recht Fragen zu Punkten auf der Tagesordnung zu stellen und darauf eine Antwort zu bekommen. Das Fragerecht stellt einen Teil des Auskunftsrechts der Aktionäre dar. Da jedoch der deutsche Gesetzgeber an dieser Stelle keinen Änderungsbedarf sah, wurden im Zuge der Umsetzung der Richtlinie keinerlei Änderungen des § 131 AktG, der das Fragerecht der Aktionäre im nationalen Recht regelt, vorgenommen. Zudem lautet § 131 Abs. 1 AktG: „Jedem Aktionär ist auf Verlangen in der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist.“Eine derartige Einschränkung aufgrund dieses „Erforderlichkeits“-Kriteriums kennt die Richtlinie allerdings nicht. Vielmehr lässt die Richtlinie Fragen in einem viel weiteren Umfang als das deutsche Recht zu. Mithin stellte sich auch die Frage einer rechtlinienkonformen (weite) Auslegung des § 131 Abs. 1 AktG. Mit Beschluss v. 5.11.2013 hat der BGH zu §131 AktG entschieden, dass die in Abs. 1 enthaltene Einschränkung mit der Aktionärsrechterichtlinie vereinbar ist und es aus diesem Grund keiner richtlinienkonformen Auslegung bedarf. Vielmehr dient diese Einschränkung als Maßnahme für die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Ablaufs der Hauptversammlung, was Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie selbst vorschreibt. Da weitgehende Informationsrechte eine Fragenschwelle in der Hauptversammlung auslösen und diese somit zeitlich ausufern lassen können, ist es auch ausreichend, wenn der Aktionär ein derartiges Fragerecht besitzt, dass ihm erlaubt die Informationen zu enthalten, die ihn zu einer sachgemäßen Beurteilung des Gegenstand der Tagesordnung und einer informierten Ausübung seines Stimmrechts befähigen. Dazu stellt sich abschließend die Frage, warum sich ein nationales Gericht wie der BGH mit dieser europarechtlichen Frage beschäftigen darf. Im Regelfall wäre die Rechtsfrage doch dem EuGH vorzulegen, wie Art. 267 AEUV vorschreibt. Eine Ausnahme von der Vorlagepflicht eines letztinstanzlichen Gerichts wie BGH besteht allerding für den Fall eines acte clair. Die acte clair Doktrin (= „eindeutiger Akt“) kommt zur Anwendung, wenn über die Auslegung oder Gültigkeit von Unionsrecht vernünftigerweise keine Zweifel bestehen. Das war vorliegend auch der Fall.

Ausblick

Die Idee für die Verabschiedung der Aktionärsrechterichtlinie basiert auf einer angestrebten Gleichbehandlung aller Aktionäre. Kritisch gesehen, stellt die Richtlinie allerdings nur Mindeststandards auf. Den Mitgliedsstaaten bleibt es überlassen, ob sie diese zu Gunsten der Aktionäre verschärfen. In das deutsche Aktiengesetz wurde die Richtlinie nur teilweise integriert, da bereits viele Vorgaben im deutschen Recht bestehen oder angeglichen worden sind. Fraglich ist, in wiefern die elektronische Teilnahme in der Praxis genutzt wird, da sie lediglich in der Satzung der Gesellschaft vorgeschrieben werden „kann“. Im Sinne einer grenzüberschreitenden Verbesserung der Mitverwaltungsrechte von Aktionären ist diese Vorschrift nur bedingt zufriedenstellend. Probleme in der Praxis (z.B. bei einem elektrischen Ausfall) sind ebenso noch nicht genau erörtert worden, weshalb sich die Unternehmen nur sehr wage für die Möglichkeit einer elektronischen Teilnahme einsetzen. Die sich abzeichnende Änderung der Aktionärsrechterichtlinie stellt jedenfalls eine gute Gelegenheit dar, solche Rechte nunmehr zu stärken.