Frauenquote in der EU? Nein danke. Am 01.01.2016 trat in Deutschland das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen in Kraft. Danach soll der Anteil von Frauen in Aufsichtsratspositionen börsennotierter Unternehmen 30 % betragen. Auch die EU erarbeitete einen Richtlinienvorschlag, welcher eine Frauenquote von 40 % in Aufsichtsräten forderte.  Der Entwurf der Richtlinie stieß jedoch in den Mitgliedstaaten auf erheblichen Widerstand. Auch Deutschland stellte sich dagegen. Warum haben so viele Mitgliedstaaten die Richtlinie verhindert, obwohl die meisten sogar selbst nationale Gesetze für eine Frauenquote erlassen haben? Die Antwort auf diese Frage und noch mehr über die „geplatzte“ Richtlinie erfahren Sie im folgenden Artikel.

Entstehung und Grundgedanke

Viviane Reding war die Vizepräsidentin der EU-Kommission. Sie stellte im Frühjahr 2011 die Notwendigkeit einer stärkeren Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen von Wirtschaftsunternehmen in der EU fest. Entsprechend den EU-Verträgen darf der europäische Gesetzgeber das Gesellschaftsrecht und auch die Corporate Governance regeln. Somit entstand der Gedanke, eine gesetzliche Quotenregelung für Frauen im Vorstand und Aufsichtsrat von börsennotierten Unternehmen einzuführen. Folglich sollte baldmöglichst eine Richtlinie erlassen werden. In dieser würde für den Aufsichtsrat bzw. für die nicht-geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats börsennotierter Unternehmen in der EU für das unterrepräsentierte Geschlecht eine Quote von 40 % festlegt werden. Dieser Vorschlag stieß in der Kommission und in mehreren Mitgliedstaaten auf Widerstand. Zunächst wurde die Entscheidung vertagt, jedoch hat die Kommission am 14.11. 2012 dann doch einen Richtlinienentwurf verfasst.

Inhalt und Ziel der Richtlinie

Die EU-Mitgliedstaaten sollen verpflichtet werden, spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten der geplanten Richtlinie eine gesetzliche Quotenregelung einzuführen. Die geplante Richtlinie soll bis spätestens 01.01.2020 eine stärkere Ausgewogenheit von Männern und Frauen unter den nicht-geschäftsführenden Führungskräften von börsennotierten Unternehmen in der Union sicherstellen. Somit wird der Fortschritt bei der Ausgewogenheit der Geschlechter beschleunigt und die Unternehmen haben ausreichend Zeit, notwendige Maßnahmen durchzusetzen. Wenn ein Unternehmen gegen diese Vorgaben verstößt, sollen die Mitgliedstaaten effektive und angemessene Sanktionen ergreifen, wie z. B. die Verhängung von Bußgeldern oder die Nichtigkeit bzw. Anfechtbarkeit der Bestellung des Aufsichtsratsmitglieds.

Betroffene Unternehmen

Die geplante Richtlinie gilt nur für börsennotierte Unternehmen in der EU. Dazu zählen Unternehmen, die in einem Mitgliedstaat der Union ansässig sind. Des Weiteren sollen deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt in einem oder mehreren Mitgliedstaaten der EU zugelassen sein. Ausgenommen sind börsennotierte kleine und mittelgroße Unternehmen, sogenannte „small and medium-sized enterprises“ (SME). Diese werden durch drei Kriterien definiert: Weniger als 250 Mitarbeiter und nicht mehr als 50 Mio. Euro Jahresumsatz oder keine höhere Bilanzsumme als 43 Mio. Euro. Der Geltungsbereich beschränkt sich demnach auf börsennotierte Unternehmen, die zudem keine SMEs sind. Außerdem können die Mitgliedstaaten Unternehmen von den Verpflichtungen der geplanten Richtlinie ausnehmen, wenn dort der Anteil von Frauen weniger als 10% der Belegschaft ausmacht.

Erfasste Gremien

Beim Richtlinienentwurf findet keine Differenzierung zwischen einem verwaltenden, leitenden oder einem überwachenden Führungsgremium statt und ob die Struktur der Führungsgremien monistisch oder dualistisch ist . Es werden lediglich die nicht-geschäftsführenden Mitglieder dieser Führungsgremien erfasst. Damit sind die Mitglieder des Aufsichtsrats gemeint und in einem monistischen oder gemischten System die nicht-geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats.

Art und Höhe der Quote

Der Richtlinienentwurf sieht vor, dass bis zum 01.01. 2020 40 % der Mitglieder des Aufsichtsrats von börsennotierten Unternehmen in der EU dem unterrepräsentierten Geschlecht angehören müssen. Die geplante Richtlinie soll für börsennotierte öffentliche Unternehmen schon bis zum 01.01. 2018 umgesetzt werden. Hierbei handelt es sich um Unternehmen, die börsennotiert sind und von der öffentlichen Hand beherrscht werden. Grund für die frühere Umsetzung ist, dass die öffentliche Hand wegen ihres beherrschenden Einflusses weitergehende Einwirkungsmöglichkeiten hat. Die Kandidaten des unterrepräsentierten Geschlechts sollen nur dann Vorrang haben, wenn sie genauso qualifiziert sind wie der Kandidat des anderen Geschlechts. Dies soll im Hinblick auf Fähigkeit, Geeignetheit und fachliche Leistung beurteilt werden. Die Bestellung von Mitgliedern des Aufsichtsrats sollte anhand einer vergleichenden Analyse erfolgen. Hierfür bieten sich besonders zuvor festgelegte neutrale und eindeutige Kriterien an. Diese müssen die Mitgliedstaaten bei den Auswahlverfahren sicherstellen. Des Weiteren müssen Mitgliedstaaten erfolglosen Kandidaten Anspruch gegen das Unternehmen auf Darlegung der Entscheidungsgründe gewähren. Einschränkungen können sich gegebenenfalls aus Datenschutzgründen ergeben.

Stillstand auf europäischer Ebene

Die geplante Richtlinie hatte innerhalb der EU nur wenige Befürworter. So stimmten nur drei Mitgliedstaaten für die Richtlinie, neun waren dagegen und 16 Mitgliedstaaten haben sich bei der finalen Abstimmung, im November 2015, enthalten. Mit diesem Ergebnis wurde der Richtlinienvorschlag zur Gleichberechtigung in Aufsichtsräten regelrecht „abgeschmettert“. Deutschland zählte zu den Mitgliedstaaten, die sich enthalten haben und das, obwohl seit dem  01.01.2016 das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen in Kraft getreten ist und Angela Merkel im Juli 2015 die Frauenförderung auf die Tagesordnung des G-7-Treffens setzte. Die rechtlichen Bedenken, die zum Scheitern der geplanten Richtlinie führten, waren Folgende: Mangelnde Rechtsgrundlage, auf die sich der Richtlinienentwurf stützt, das fehlende Subsidiaritätsprinzip, Verstoß gegen die unternehmerische Freiheit und der staatlicher Eingriff in die Privatautonomie. Diese rechtlichen Bedenken werden im weiteren Verlauf erläutert.

Mangelnde Rechtsgrundlage

Das Hauptproblem stellt die Zielvorgabe des Richtlinienvorschlags dar, nämlich die Herstellung einer 40 % Quote des unterrepräsentierten Geschlechts in Aufsichtsräten. Hierbei handelt es sich um eine positive Fördermaßnahme, mit der das unterrepräsentierte Geschlecht bevorzugt wird.  Bis heute enthält kein bestehender Unionsakt eigenständige Regelungen zu positiven Fördermaßnahmen.

Als Rechtsgrundlage für den Richtlinienentwurf könnte die Gleichstellung im Erwerbsleben (Artikel 157 Abs. 3 AEUV) herangezogen werden. Dies ist jedoch nicht der Fall, da es nicht um die Gleichbehandlung von Kandidaten geht, sondern um den Vorrang des unterrepräsentierten Geschlechts. Damit geht automatisch die Ungleichbehandlung des anderen Geschlechts einher. Schon 1995 hat der EuGH im Urteil Kalanke/Marshall entschieden, dass der Vorrang weiblicher Bewerber unzulässig ist und eine Diskriminierung der männlichen Bewerber darstellt. Eine Herstellung der Chancengleichheit kann hier somit ausgeschlossen werden. Eine weitere mögliche Rechtsgrundlage ist die Unionskompetenz in Bezug auf die Sozialpolitik (Artikel 153 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AEUV). Hier werden Vorschläge zur Unterstützung und Ergänzung mitgliedstaatlicher Maßnahmen erlaubt und damit Chancengleichheit und Gleichbehandlung gefördert. Ausgeschlossen ist aber auch hier die Gleichstellung durch positive Fördermaßnahmen. Somit entfällt auch die Unionskompetenz in Bezug auf die Sozialpolitik als Rechtsgrundlage. Als wohl naheliegendste Grundlage für die geplante Richtlinie gelten die Antidiskriminierungsmaßnahmen (Artikel 19 Abs 1 und Abs. 2 AEUV). Diskriminierung im Erwerbsleben soll (auch) wegen des Geschlechts verhindert werden und die EU darf Fördermaßnahmen zur Unterstützung von Antidiskriminierungsmaßnahmen ergreifen. Allerdings geht es hier im Kern auch wieder um die Gleichbehandlung und schließt den Vorrang eines bestimmten Geschlechts aus. Zusammenfassend stützt sich der Richtlinienvorschlag also weder auf die Gleichstellung im Erwerbsleben, die Unionskompetenz in Bezug auf die Sozialpolitik, noch auf etwagie Antidiskriminierungsmaßnahmen.

Fehlendes Subsidiaritätsprinzip

Nach dem Subsidiaritätsprinzip darf die EU nur tätig werden, wenn die Maßnahmen der Mitgliedstaaten nicht ausreichen, um ein politisches Ziel zu erreichen, und wenn die Maßnahmen wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind.

Generell kann die Erhöhung des Frauenanteils in Aufsichtsräten und Führungspositionen als gemeinsames Unionsziel angesehen werden. Die Gleichheit von Frauen und Männern, ebenso wie die Förderung der Gleichstellung in allen Politikbereichen sind grundlegende Werte der Union. Allerdings sollen diese Werte durch die Mitgliedstaaten umgesetzt werden und nicht durch verpflichtende unionsrechtliche Regelungen. Deutschland und andere Mitgliedstaaten fördern die Selbstverpflichtung von Unternehmen z. B. durch den Deutschen Corporate Governance Kodex, welcher Empfehlungen und Anregungen für eine gute Unternehmensführung enthält. Allein von Januar 2012 bis Januar 2013 stieg der Frauenanteil in den Leitungsorganen privater Unternehmen in der EU von 13,7 % auf 15,8 %. Trotz dessen bemängelte die europäische Kommission die schleichende Umsetzung in vielen Mitgliedstaaten. Zu beachten sind jedoch die Berufungsperioden von Aufsichtsräten, ebenso wie über mehrere Jahre abgeschlossene Vorstandsverträge. So zeigt der Anstieg des Frauenanteils von 2,1 % in einem Jahr deutlich, dass die Mitgliedstaaten willens und fähig sind, selbständig Maßnahmen zu ergreifen und ein Handeln durch die Union nicht nötig bzw. geboten ist.

Verstoß gegen die unternehmerische Freiheit

Der Richtlinienvorschlag enthält unverhältnismäßige Einschränkungen in Bezug auf die unternehmerische Freiheit und das Eigentumsrecht. Generell sollten Unternehmen frei wählen können wen sie einstellen, was sie als geeignete Qualifikation eines Bewerbers ansehen und wer am besten in das Unternehmen passt. Diese Entscheidungsfreiheit würde jedoch durch ein starres Konstrukt an Vorgaben und positiven Fördermaßnahmen erheblich eingeschränkt werden. Bei einem Verstoß gegen die geplante Richtlinie wäre die Bestellung des Aufsichtsrates nichtig und damit die Handlungsfähigkeit des gesamten Unternehmens gefährdet. Es mangelte hier an einer Kompromissbereitschaft auf Seiten der EU. Ebenfalls wurde in dem Richtlinienvorschlag nicht berücksichtigt, wenn keine geeignete Frau als Kandidatin gefunden wird. Dies ist besonders in Familienunternehmen ein großes Problem. Hier muss es in solch einem Fall  möglich sein, ein männliches Familienmitglied in den Aufsichtsrat zu wählen, um das Konzept des Familienunternehmens nicht ad absurdum zu führen.

Staatlicher Eingriff in die Privatautonomie

Die Offenlegungs- und Berichtspflichten des Richtlinienvorschlags widersprachen dem geltenden Unionsrecht. Börsennotierte Gesellschaften wären verpflichtet gewesen, sämtliche Gründe für die Ablehnung eines Kandidaten umfassend offen zu legen und ebenfalls zu schildern, welche Gründe und Erwägungen dazu geführt haben, dass ein Kandidat des anderen Geschlechts Vorzug erhalten hat. Unter diese umfassenden Offenlegungs- und Berichtspflichten wären auch personenbezogene Daten gefallen, wodurch sich aus Sicht des Datenschutzes erhebliche Probleme ergeben hätten. Zudem ist das Zahlenverhältnis von Frauen und Männern in Leitungsorganen für die Geschäftstätigkeit von Unternehmen nicht von Bedeutung und passt somit nicht in das System der Berichterstattung.

Problemlösung – Anpassung des Richtlinienvorschlags

Natürlich blieben die Zweifel und Bedenken an der geplanten Richtlinie nicht ungehört. Luxemburg erarbeitete einen Kompromiss, um die Bedenken zu zerstreuen. So sollten Sanktionen durch die jeweiligen Mitgliedstaaten festgelegt werden. Deutschland wurde zugestanden, die im Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen  festgehaltene 30 % Quote zu behalten und das deutsche Konzept des „leeren Stuhls“ wurde in den Richtlinienentwurf übernommen. Um das Subsidiaritätsprinzip zu gewährleisten, wurde eine Flexibilitätsklausel eingeführt, .nach der es den Mitgliedstaaten obliegt, wie sie die Zielvorgaben umsetzen und Verfahrensvorschriften ausgesetzt werden können, wenn Maßnahmen mit ähnlicher Wirkung ergriffen wurden oder ausreichende Fortschritte nachgewiesen worden wären. Allerdings mangelte es weiterhin an einer Rechtsgrundlage, was trotz Anpassung zum Scheitern der Richtlinie führte.

Ausblick

Auch wenn die Pläne für eine europaweite Geschlechterquote nicht voran kamen, kann man nicht von einem generellen Scheitern der Frauenquote sprechen. Der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten und Führungspositionen steigt in den Mitgliedstaaten stetig. Vorreiter, wie Norwegen, haben bereits seit 2004 eine Frauenquote von 40 % für die private Wirtschaft. Andere Länder, wie Griechenland oder Ungarn, mit einem derzeitigen Frauenanteil in Aufsichtsräten von knapp 10 %, werden durch den Druck der öffentlichen Debatte früher oder später wohl nachziehen. Zu beachten sind bei Debatten über Quoten allerdings auch immer das jeweilige Wirtschaftssystem des Mitgliedstaates und der Altersdurchschnitt der Aufsichtsratsmitglieder. So ist der Frauenanteil heute noch gering, da die meisten Aufsichtsratsmitglieder in der Regel 60 Jahre alt sind und es tatsächlich wenig Frauen gibt, die damals in einschlägigen Berufen einen Hochschulabschluss erworben hatten. Aus diesem Problem wachsen wir jedoch immer mehr heraus. Heute machen mehr Frauen als Männer einen Hochschulabschluss und die Chancen, dass Frauen sich auch immer mehr im Berufsleben durchsetzen und akzeptiert werden, steigen mit jeder Absolventin.