Die United States of America stehen seit ihrer Gründung für wirtschaftliche Liberalität . Mit der Einführung des Sarbanes-Oxley Act wurden jedoch bis dato einzigartige gesetzliche Regelungen zur Corporate Governance eingeführt. Sind diese Regelungen tatsächlich weitreichender als die Gesetze hierzulande?
Der Sarbanes-Oxley Act als Weg aus dem Chaos?
Zu Beginn der 2000er Jahre wurde die US-Wirtschaft von einigen schweren Bilanz- und Betrugsskandalen zerrüttet. Diese Skandale gipfelten mit dem Bilanzskandal von Enron im Jahre 2001. Zum einen erlitten Anleger monetäre Schäden in Milliardenhöhe. Zum anderen erzeugten die Skandale einen tiefen Vertrauensbruch in die gewissenhafte Führung börsennotierter Unternehmen. Jahresabschlüsse galten fortan nicht mehr als vertrauenswürdig und den geschäftsführenden Organen wurde vorgeworfen, sich mithilfe korrupter Wirtschaftsprüfer skrupellos zu bereichern.
Diesem chaotischen Status quo wollte der US-Gesetzgeber ein Ende setzen und erließ im Juli 2002 den Sarbanes-Oxley Act (SOA). In diesem Gesetz wurden umfangreiche Regelungen zur Corporate Governance getroffen. Besonders interessant ist, welche Regelungen im Vergleich zu den deutschen Vorschriften ein echtes Novum sind und welche Regelungen eine längst überfällige gesetzliche Lücke schließen. Dazu werden im folgenden Artikel einschlägige Passagen des SOA unter die Lupe genommen und mit dem deutschen Recht verglichen.
Im Westen nichts Neues
Der Sarbanes-Oxley Act (SOA) enthält eine Reihe von Normierungen, die das deutsche Recht auch in vergleichbarer Weise kennt.
So werden unter anderem Regelungen zu der Unabhängigkeit von Wirtschaftsprüfern getroffen. Zur externen Kontrolle wird das Public Company Accounting Oversight Board (PCAOB) eingerichtet. Eine solche gesetzliche Regelung war bis dato einzigartig. Das deutsche Pendant ist die Abschlussprüferaufsichtskommission, die als öffentliche und fachbezogene Aufsicht über den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer wacht. Zeitlich wurde die Kommission aber erst nach dem PCAOB eingeführt.
Des Weiteren wird durch den SOA die Einrichtung eines sogenannten Audit Committees bei börsennotierten Unternehmen bestimmt. Das Audit Committee ist ein unabhängiges Gremium, das dem Board of Directors entspringt und den Vorstand in Buchhaltungs- und Bilanzierungsfragen beraten soll. In Deutschland hingegen herrscht das dualistische Corporate Governance System, indem Vorstand und Aufsichtsrat als zwingende Organe eines börsennotierten Unternehmens manifestiert sind. Im Angesicht der jeweiligen Prüfungsausschüsse des Aufsichtsrates erscheint ein Audit Committee in Deutschland überflüssig.
Auch eine Frage der Ethik?
Laut Section Sec. 406 SOA müssen börsennotierte Unternehmen einen Ethikkodex entwickeln und diesen operativ umsetzen. Dieser Ethikkodex betrifft alle Vorstandsmitglieder, Führungskräfte und Personen, die für das Finanzwesen, das Controlling und die Rechnungslegung verantwortlich sind. Diese verpflichten sich ihre Arbeit nach ethischen und redlichen Grundsätzen durchzuführen.
Durch einen solchen Kodex soll das Bewusstsein der Geschäftsführung für die Verantwortung gegenüber Kunden, Aktionären und Mitarbeitern gestärkt werden. Um die Redlichkeit, Integrität, Transparenz und das ethische Verhalten der Manager sicherzustellen, ist jedoch der „Code of Ethics“ nicht hinreichend geeignet. Dies liegt nicht an der Formulierung der Sec. 406 SOA, sondern darin, dass der Ethikkodex als Soft Law gestaltet ist. Wenn kein Ethikkodex im Unternehmen eingeführt wird, muss das Unternehmen gegenüber der amerikanische Börsenaufsichtsbehörde (SEC) das Nichtvorhandensein begründen.
Sollten Unternehmen den Ethikkodex nicht einhalten, werden sie bei den Aktionären, Kunden etc. einen Image- und Vertrauensverlust erleiden. Der Gedanke der dem Soft Law zugrunde liegt ist, dass die Unternehmen den Ethikkodex aus den vorher genannten Gründen freiwillig umsetzten.
In Deutschland werden in einigen Branchen, wie z.B. in der Versicherungsbranche, ähnliche interne Ethik Kodizes immer populärer. Einen allgemeinen branchenübergreifenden Ethik Kodex wie in den USA kennt das deutsche Recht jedoch nicht.
Whistleblower als Schutzbedürftige
Damit sich Wirtschaftsskandale nicht wiederholen, setzen die Staaten immer mehr auf die Hilfe von Mitarbeitern der Unternehmen die Missstände aufdecken und diese pflichtbewusst den zuständigen Behörden melden. Die Rede ist von internen Informanten, sogenannte Whistleblower oder auch im Deutschen „Hinweisgeber“ genannt. Deshalb erlassen immer mehr Gesetzgeber Schutzgesetze für Arbeitnehmer, um sie zum Beispiel vor Repressalien ihres Arbeitgebers, wie Kündigung oder Klage auf Schadensersatz, zu schützen.
In den USA werden Whistleblower, die Missstände und Ethikverstöße melden durch den SOA geschützt. Nach Sec. 301 SOA müssen börsennotierte Unternehmen ein Whistleblower-Verfahren zur Entgegennahme und Behandlung von Beschwerden einrichten. Sie können ihre Beschwerde über eine telefonische Hotline, über Internet oder mittels Postfach anzeigen. Es muss sichergestellt werden, dass die Anrufe nicht zurückverfolgt werden können und die Mitarbeiter der Hotlines hinreichend geschult sind. Die Anonymität des Whistleblowers muss auch bei der internetgestützen Hotline und dem Postfach gewährleistet werden. Durch dieses Prozedere soll es Mitarbeitern ermöglicht werden, Entscheidungsträger des Unternehmens anonym auf Missstände hinzuweisen.
Beschwerdegründe könnten zum Beispiel unethisches und illegales Verhalten sein. Dabei dürfen Mitarbeiter des Unternehmens gemäß Sec. 806 SOA aufgrund ihrer Beschwerde nicht benachteiligt, suspendiert, bedroht, bedrängt, diskriminiert, herabgestuft und entlassen werden. Im Falle eines Verstoßes gegen diesen Schutz droht dem Management eine strafrechtliche Verfolgung.
Der schutzlose Hinweisgeber in Deutschland
Solch eine ausführlich gesetzlich geregelte Schutzfunktion für Arbeitnehmer, die in den USA praktiziert wird, kennt der deutsche Gesetzgeber nicht. Zwar hat dieser den § 612 a BGB Maßregelungsverbot erlassen, welcher Arbeitnehmer, die ihre Rechte ausüben vor Benachteiligungen schützt. Trotzdem können Arbeitnehmer hierzulande von ihren Arbeitgebern wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen angezeigt werden. Solch eine fehlende Schutzfunktion mildert natürlich die Bereitschaft deutscher Whistleblower ihren Arbeitgeber öffentlich zu melden. Die Stimmen nach einem Whistleblower Schutzgesetz in Deutschland werden immer lauter, aber es regt sich auch Widerstand seitens der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Diese begründen eine Ablehnung, eines solchen Gesetztes damit, dass Arbeitnehmer durch spezialgesetzliche Anzeigerechte von Beschäftigten (vgl. z. B. § 17 Abs. 2 ArbSchG, § 4g Abs. 1 Satz 2 BDSG, § 84 BetrVG) in Deutschland schon ausreichend geschützt sind. Der Verband stützt sich somit auch auf die Meinung der Bundesregierung.
Der Fall Heinisch: Urteil vom 21. Juli 2011 – 28274/08 des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), ist ein Beispiel für den unzureichende gesetzliche Regelung von Whistleblower in Deutschland.
Eine Altenpflegerin stellte, nach dem keine Einigung mit dem Arbeitgeber erzielt werden konnte, Strafanzeige wegen schweren Betrugs. Das Verfahren wurde eingestellt. Daraufhin publizierte die Pflegerin den Vorwurf auf Ver.di Flugblättern. Der Arbeitgeber erfuhr von der Strafanzeige und kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos. Das Landesarbeitsgericht (LAG) gab der Kündigung, mangels Beweisen für die erhobenen Vorwürfe seitens der Klägerin, recht. Der EGMR sah in der Entscheidung des LAG wiederum eine Verletzung auf freie Meinungsäußerung und sprach der Altenpflegerin einen Schadensersatzanspruch zu, da im Pflegebereich- so das einzige Argument des EGMR – ein hohes Interesse der Öffentlichkeit bestehe.
Dieses Urteil ist aber immer noch kein Freibrief für Whistleblower in Deutschland. Weiterhin gilt: Haltlose Anschuldigungen sind nicht zulässig. Darüber hinaus bestätigt der EGMR die Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichte, dass eine missbräuchliche oder leichtfertige Benachrichtigung von Dritten eine fristlose Kündigung zur Folge haben kann. So bleibt weiterhin nichts anderes übrig als den Vorgang erst einmal innerbetrieblich zu klären. In besonderen Ausnahmefällen kann hiervon auch abgewichen werden.
Sarbanes-Oxley Act strenger als hiesige Corporate Governance Regelungen
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die USA, jedenfalls hinsichtlich börsennotierter Unternehmen, seit der Einführung des Sarbanes-Oxley Acts nicht mehr der Inbegriff der Liberalität sein kann. Der SOA ist ganz klar ein starker Eingriff in die Selbstregulierungskräfte des Marktes. Das bereits als sehr stark reguliert geltende deutsche Recht ist bei näherer Betrachtung teilweise liberaler als das Recht der USA.
Hierzulande ist der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) als Soft Law, also als ein Katalog von unverbindlichen Empfehlungen ausgestaltet und vertraut eher der Selbstregulierung des Marktes. Empfehlungen können eben nur gegeben werden, wenn das Gesetz dispositiv ist bzw. Spielräume zulässt. Der SOA hingegen ist ein ausdifferenziertes Gesetz mit strengen Rechtsfolgen, welches nicht auf die Selbstregulierung der Unternehmen durch den Markt vertraut. Dies zeigt sich insbesondere an den Schutzvorschriften für Whistleblower in den USA , die es in Deutschland eben so nicht gibt.
Wie eine solche Regulierungsmaßnahme nun zu beurteilen ist, liegt immer im Auge des Betrachters. Investoren, Mitarbeiter und Fremdkapitalgeber werden Regelungen wie den SOA sicherlich begrüßen. Der Unternehmensführung hat der amerikanische Gesetzgeber mit dem SOA eine sehr starke finanzielle und organisatorische Herausforderung beschert.
Sicherlich interessant wird es sein, wohin sich das Konzept von Corporate Governance national sowie international entwickelt. Vertrauen die Legislativen weiterhin auf Soft Law und Selbstregulierung oder kommen weitere Skandale und Krisen hinzu wodurch zwingendes Recht das letzte Mittel im Kampf ist? Ein erster Indikator könnten die aktuellen Änderungsvorschläge der DCGK-Kommission zum Deutschen Corporate Governance Kodex sein.
Auch in Deutschland sollten Schutzgesetze für Whistleblower – in allen Branchen – eingeführt werden und nicht so wie beim SOA auf Unternehmen, die an der US-Börse notiert sind, beschränkt werden.
Denn nur so ist gewährleistet, dass Missstände, die im Verborgenen blühen, rechtzeitig augedeckt werden.
Hierdurch können Gefahren für Leben/Umwelt sowie finanzielle Schäden vorzeitig verhindert werden.
Das deutsche Arbeitsrecht schützt den Whistleblower nicht ausreichend, wie aus dem Fall der Brigitte Heinisch zu entnehmen ist.
Hierzulande wird Whistleblowing leider noch als Denunziantentum angesehen.
Das deutsche Richterrecht ist für einen Laien unübersichtlich und restriktiv und bietet nicht vollumfassenden Schutz.
Wichtig für potentielle Whistleblower ist, dass sie für ihre „zulässige“ Anzeige von Missständen nicht sanktioniert werden.
Es bleibt abzuwarten, wann der Gesetzgeber wieder Reformbestrebungen aufnimmt.
Meiner Meinung nach sollte an den Gesetzesentwurf der SPD (Hinweisgeberschutzgesetz) wieder angeknüpft werden und der längst überfällige Schutz in demokratischen Gesellschaften für Informanten gewährt werden.
Wie die vorhergehende Kommentatorin, vertrete ich ebenfalls den Standpunkt, dass Rechte von Whistleblowern in Deutschland gestärkt werden müssen bzw. ihnen ein erhöhter Schutz gewährt werden muss.
Das setzt jedoch voraus, dass lediglich Whistleblower geschützt werden, die Verletzungen oder Gefährdungen offenlegen, welche primär im öffentlichen Interesse und somit im Interesse aller und nicht in der Interessensphäre einzelner liegen. Ich erachte es als wichtig hier eine klare Grenze mit hohen Anforderungen zu ziehen.
Die Treuepflicht des Arbeitnehmers zum Arbeitgeber ist ein wichtiges Vehikel im deutschen Arbeitsrecht und sollte es auch bleiben.
Um einen besseren Schutz als bisher zu gewährleisten, bieten sich sicherlich mehrere Möglichkeiten und Gesetzesneuerungen an.
Eine durchaus effektive und funktionierende Lösung könnte beispielsweise ein Bundesbeauftragter für Whistleblowing darstellen. Sofern ein solcher installiert würde, könnte er etwaige Beschwerden über die Behandlung von Hinweisen entgegennehmen und prüfen, Jahresberichte über Whistleblowing und draus entstehende Folgen abgeben, Evaluationen zur Entwicklung des Whistleblowingrechts betreiben, oder aber auch über Aufopferungs-Entschädigungen entscheiden und Initiativen zur Förderung von Whistleblowing anstoßen und fördern.
Auch wenn dies lediglich ein Beispiel darstellt und es sicherlich noch weitere und vielleicht auch bessere Möglichkeiten zum Schutz von Whistleblowern gibt, halte ich die Schaffung einer auf Bundesebene unabhängigen und neutralen Stelle für überaus wichtig, ungeachtet dessen wie die Ausgestaltung eines derartigen Amtes aussieht. Eines zeigen die bisherigen Fälle jedoch deutlich – es muss etwas getan werden.
Auf der einen Seite sind die durch den Sarbanes-Oxley-Act neu eingeführten Anforderungen an die Corporate Governance börsennotierter Unternehmen ein Fortschritt und waren im Lichte der Bilanz- und Betrugsskandale der frühen 2000er Jahre dringend nötig. Insbesondere der Whistleblower-Schutz ist sehr umfassend ausgestaltet und bietet der Belegschaft eine sichere Möglichkeit, zur Aufdeckung von Missständen beizutragen. Das US-amerikanische Modell könnte hier auch als Vorbild für eine Regelung zum Schutz von Hinweisgebern in Deutschland taugen.
Ein Wermutstropfen ist allerdings die schwache Ausgestaltung der Regelung bezüglich des Ethik-Kodexes dahingehend, dass Unternehmen (unter Angabe eines Grundes) gänzlich auf dessen Einführung verzichten können. Effektiver hätte sein können, die Unternehmen zwar zur Einführung eines solchen Kodexes zu verpflichten, dafür aber Spielräume bei seiner Ausgestaltung zu lassen.
Auf der anderen Seite ist in Anbetracht der Finanzkrise von 2008 jedoch fraglich, ob der Sarbanes-Oxley-Act wirklich eine nachhaltige Wirkung erzielen konnte. Laxe Geschäftspraktiken bei der Hypothekenvergabe und eine abenteuerliche Innovationskraft bei der Gestaltung neuartiger Finanzprodukte und „Wert“-Papiere deuten nicht darauf hin, dass die Finanzbranche etwas aus der Vorgängerkrise gelernt hat und stattdessen Corporate Governance noch immer als lästiges Übel ansieht.
Nun hat Präsident Trump eine Wende gegenüber seinen Amtsvorgängern vollzogen und eine neue Runde der Deregulierung in der Finanzbranche eingeleitet. Wenn noch nicht einmal die Politik an höchster Stelle für verantwortungsvolles Geschäftsgebaren eintritt, wer dann? Die Entscheidungsträger in den Unternehmen werden es wohl kaum sein.
Die im Beitrag angesprochenen internationalen Unterschiede in Bezug auf die Vorgaben guter Unternehmensführung sind nach wie vor ein regulatorischer Schwachpunkt. Hierbei ist es möglich, dass sich z.B. deutsche Unternehmen wie BASF oder Eon (so auch geschehen) von den US-Börsen zurückziehen, um der strengeren Regulierung durch SOA zu entgehen. Dies bedeutet wiederum mangelnde Transparenz und kann sich nachteilig für die Öffentlichkeit und Shareholder auswirken.
Auf der anderen Seite sind bürokratische Hürden und Kostenaufwand bei mehr Regulierung immer ein zweischneidiges Schwert. Sollte sich der deutsche Gesetzgeber künftig von seiner Soft Law geführten Corporate Governance verabschieden und strengere Gesetze implementieren, besteht die Gefahr, dass die hiesigen Unternehmen in anderen wichtigen Bereichen Kosteneinsparungen vornehmen, die sich zumeist im Abbau von Arbeitsplätzen bemerkbar machen. Fraglich ist in diesem Zusammenhang auch, ob Unternehmen aus dem Start-Up Bereich nicht durch überbordende Berichtspflichten in ihren Handlungsmöglichkeiten zu stark eingeschränkt würden und das junge Unternehmertum vor unlösbaren Aufgaben gestellt werden würde. Eine weitreichende Regulierung sollte diese Aspekte unbedingt berücksichtigen.