Tagtäglich ziehen sich Millionen von Arbeitnehmern vor Dienstbeginn spezielle Schutzausrüstung an, um für die Verrichtung ihrer Tätigkeit gewappnet zu sein.

Da bei allen Beteiligten eine große Rechtsunsicherheit besteht, befassen sich immer mehr Gerichte mit der Frage der Vergütung der Umkleidezeiten, die aufgrund einer Betriebsanweisung erfolgen. So auch vorliegend im Fall des Landesarbeitsgerichts Hamburg 8. Kammer, Urteil vom 06.07.2015 – 8 Sa 53/14.

Sachverhalt

Der Kläger ist Mitarbeiter in einem Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, das in seinem Werk in Hamburg Tätigkeiten im Bereich des Warm- und Kaltwalzens von Aluminium inklusive Gießerei mit ca. 640 Mitarbeitern durchführt. Aufgrund der Verbandsmitgliedschaft beider Parteien finden die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie hier Anwendung. Die regelmäßige tägliche Soll-Arbeitszeit wurde mit sieben Stunden festgelegt, wobei die zeitliche Erfassung über ein elektronisches Zeiterfassungssystem erfolgt. Kraft Betriebsanweisung ist unter anderem auch der Kläger verpflichtet persönliche Schutzausrüstung (PSA) zu tragen. Diese umfasst die nachfolgenden Bestandteile: Hose, Arbeitsjacke, Socken, Schuhe, Arbeitshandschuhe, Schutzbrille, Helm sowie Gehörschutz.

Kernfrage des Falles ist nun also, ob die Umkleidezeit inkl. der damit einhergehenden Wegezeit in diesem Fall als Arbeitszeit i.S.d. § 2 I ArbZG zu qualifizieren ist, und wenn ja, ob diese dann auch vergütet werden muss.

 

Entscheidungsgründe des Landesarbeitsgerichts Hamburg

Grundsätzlich ist es den Parteien erlaubt die Höhe der Arbeitsentgelte für die geleistete Arbeit festzulegen. Dies umfasst auch bestimmte Arbeitszeiten von der Vergütung auszuschließen. Beachtet werden muss hier jedoch höherrangiges Recht. In diesem Fall verstößt eine Regelung des Manteltarifvertrages, der Zeiten für das Umkleiden und Waschen nicht als Arbeitszeit qualifiziert, gegen § 3 III ArbSchG und ist somit unwirksam. Jedoch qualifiziert sowohl das Landesarbeitsgericht, als auch die vorhergehende Instanz die vorliegende Umkleidezeit mit der einhergehenden Wegezeit als Arbeitszeit i.S.d. § 2 I ArbZG. Zusätzlich argumentiert das LAG Hamburg, dass Arbeit jede Tätigkeit ist, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (BAG Urteil vom 19.9.2012, 5 AZR 678/11). Und dazu gehöre eben auch das Umkleiden für die Arbeit, wenn denn eine Anweisung des Arbeitgebers vorliegt. Eben jene Fremdnützigkeit ergebe sich schlussendlich gerade aus der Betriebsanweisung. Auch die Frage der Vergütung regelt sich nach § 611 I BGB. Dazu zählt eben nicht nur die vertraglich vereinbarte Tätigkeit, sondern auch jede Tätigkeit die vom Arbeitgeber angewiesen wird, und die unmittelbar mit der eigentlichen Haupttätigkeit zusammenhängt. Durch die Betriebsanweisung hat der Arbeitgeber die Umkleide- und Wegezeit zu einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung gemacht.

Zwar müsse klar unterschieden werden zwischen Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinn und Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne, aber vorliegend muss die Umkleidezeit vergütet werden, hier nach dem einschlägigen Tarifvertrag.

 

Praxisrelevanz und Beurteilung

Die Meinungen und Argumente in der Literatur und in der Arbeitsgerichtsbarkeit diesbezüglich unterscheiden sich gravierend. Entscheidend ist auch hier die Beurteilung, welche Funktion der Dienstbekleidung zukommt. Dient sie nur der besseren Erkennbarkeit von Beschäftigten, oder kommt ihr tatsächlich eine Schutzfunktion zu, die nicht nur den Arbeitnehmer selbst schützen sollen, sondern eventuell auch Dritte. Kritisch ist auch die tatsächliche Qualifizierung der Arbeitszeit, da keine deckungsgleiche Definition der Arbeitszeit existiert. Dies hat zur Folge, dass keine der Parteien genau weiß, wie sie sich verhalten soll. Insbesondere in Branchen in denen die Mitarbeiter starken Gefahren durch ihre Arbeit ausgesetzt sind, wäre eine Grundsatzentscheidung – mit welcher Tendenz auch immer – ein Gewinn an Rechtssicherheit der dringend benötigt wird.

 

Die Beklagten sind in Revision gegangen, und so erwarten wir mit Spannung Mitte 2016 das Urteil vom BAG, AZ: 9 AZR 574/15.