Warum ins Büro fahren, wenn man genauso gut von zu Hause arbeiten kann?
Das LAG Rheinland Pfalz beschäftigte sich in seinem Urteil vom Dezember 2014 im Zuge einer Streitigkeit bezüglich einer Home-Office-Tätigkeit, mit dem arbeitgeberseitigen Weisungsrecht nach §106 GewO.
In welchen Rahmen können sich Arbeitgeber bei der Ausübung ihres Direktionsrechts bewegen und was muss dabei beachtet werden? Wo setzen die Gerichte Grenzen und wann machen sie Ausnahmen? Die Beantwortung dieser Fragen soll Gegenstand des folgenden Beitrags sein.
Sachverhalt
Zwischen den Parteien bestand ursprünglich ein Arbeitsverhältnis. Der Kläger war als Systementwickler seit 2002 im Arbeitsort L tätig. 2009 fand jedoch eine Veräußerung dieser Betriebstätte durch die Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin statt, weswegen schließlich nur noch der andere Standort des Betriebs in C-Stadt fortbestand. Aufgrund der großen Entfernung zwischen Wohnort und Betriebsstätte, wurde zwischen dem Arbeitnehmer und seinem direkten Vorgesetzten eine Vereinbarung geschlossen, welche festlegte, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung fortan in Home-Office-Tätigkeit verrichten und die Fahrten zur Betriebsstätte als Dienstreisen vergütet bekommen sollte.
Zur Bestätigung des Teamwechsels im März 2013, wurde gleichzeitig ein neuer Arbeitsvertrag zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeberin mit größtenteils gleichbleibendem Vertragsinhalt abgeschlossen. Seine Arbeitsleistung erbrachte er weiterhin in Home-Office Tätigkeit. Im August 2013 erteilte die Arbeitgeberin gegenüber dem Arbeitnehmer die Weisung, dass die Arbeitsleistung in Zukunft nur in der Betriebsstätte in C-Stadt zu erbringen sei. Dagegen wendete sich dieser einen Monat später, durch die Anfechtung des neuen Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung. Der Arbeitnehmer gab an, dass die Arbeitgeberin ihn bewusst im Unklaren darüber gelassen hatte, wie er bzgl. der Arbeitsortsituation nach Abschluss des neuen Vertrags verfahren sollte. Die Arbeitgeberin hingegen brachte vor, dass es gegenüber dem Arbeitnehmer einen ausdrücklichen Hinweis auf die neue Arbeitsortvereinbarung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gegeben hatte.
Streitpunkte und Entscheidungen
Verhandelt wurde im Grunde über drei zentrale Punkte. Thematisiert wurde dabei das Direktionsrecht nach §106 GewO, die Anfechtung des Arbeitsvertrags nach §§119, 123, 142 BGB und die Arbeitszeitgestaltung durch Home-Office-Tätigkeit. Konkret sollte die Vereinbarung mit seinem direkten Vorgesetzten anerkannt werden, wodurch es ihm erlaubt werden sollte, seine Arbeitsleistung weiterhin in Home-Office-Tätigkeit zu erbringen, und die Fahrten in die Betriebsstätte in C-Stadt ihm weiter als Dienstreisen vergütet werden. Auch sollte festgelegt werden, dass die Tätigkeit des Arbeitnehmers im neuen Team weiterhin auf Grundlage des Vertrags aus 2002 ausgeübt wird. Die Arbeitgeberin stellte allen Anträgen begründete Argumente entgegen, die das LAG jedoch in Bezug auf die beiden Klageanträge bzgl. der Home-Office-Tätigkeit nicht vollends überzeugen konnten.
Das Gericht gab in zwei der Streitfragen den Klageanträgen des Arbeitnehmers statt. Die Absprache über den Arbeitsort zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Vorgesetzten stelle laut LAG zwar keine vertraglich bindende Abrede dar, als die der Arbeitnehmer sie interpretierte, sei aber als arbeitgeberseitige Weisung nach §106 GewO anzusehen. Auch die Weisung der Arbeitgeberin sei als ein einseitiges Gestaltungsrecht zu beurteilen, so das LAG. In §106 GewO ist geregelt, dass der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen kann, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt ist. Das LAG bemängelte in Anlehnung daran, dass die Betrachtung der Situation durch die Arbeitgeberin nicht nach billigem Ermessen (§315 I BGB, §106 GewO) erfolgt sei. Das betriebliche Interesse der Beklagten, die Präsenz des Arbeitnehmers in der Betriebstätte aufgrund der neuen Position, könne einer Abwägung nicht standhalten. Hier überwogen für das LAG die Interessen des Arbeitnehmers, sein persönliches Umfeld in A-Stadt und die bisher unbeanstandete Arbeitsleistung in Home-Office-Tätigkeit.
Interessant ist im vorliegenden Fall vor allem, dass das LAG die grundsätzliche Regelung, die Betriebsstätte als Arbeitsort anzusehen, sofern nichts anderes vereinbart wurde, durchbricht. Die Umstände, dass das familiäre Umfeld des Arbeitnehmers nicht im Ort der Betriebsstätte liegt und die erbrachte Arbeitsleistung in Home-Office-Tätigkeit bis dato unbeanstandet anerkannt wurde, waren dem LAG als maßgebliche Umstände ausreichend. Die Vereinbarung von Arbeit, Familien- und Sozialleben nimmt einen hohen Stellenwert im Leben der Arbeitnehmer ein und ist daher auch besonders zu berücksichtigen. Des Weiteren reichte dem Gericht auch die durch die Arbeitgeberin praktizierte Individualübung zur getroffenen Entscheidung, zu dieser an späterer Stelle noch ausführlicher.
In der Abwägung des LAG konnten demnach die Interessen des Arbeitnehmers gegenüber denen der Arbeitgeberin überwiegen und die Home-Office-Absprache wurde für wirksam erklärt. Durch Home-Office- oder Telearbeit können bspw. bestimmte vor allem bürolastige Tätigkeiten aus dem Betrieb ausgelagert werden. Zudem bringen sie dabei nicht nur Vorteile für den Arbeitnehmer. Flexibilitätsgewinn, Wegersparnis und die Möglichkeit Familie und Beruf in Einklang bringen auf Arbeitnehmer-Seite werden durch bspw. Einsparung von Kosten für Gebäude und Büroausstattung von Arbeitgeber-Seite auch positiv unterstützt.
Der Erfolg des weiteren Klageantrags folgt lt. LAG daraus, dass die Fahrten zwischen Wohnort (Home-Office-Standort) und Betriebsstätte als Dienstreisen zu qualifizieren sind. Dabei stützte sich das LAG vor allem darauf, dass der Arbeitsort durch Direktionsrecht auf den Wohnsitz festgelegt wurde und damit jede Fahrt zur Betriebsstätte in C-Stadt als Dienstreise anzuerkennen ist, sowie nach §670 BGB vergütet werden muss. Zur Anwendbarkeit des §670 BGB auf die Vergütung von Dienstreisen, ist das Urteil des LAG Hamm vom 30.01.2016 – 5 Sa 1437/15 – heranzuziehen. In diesem wurde der Gedankengang des BAG aufgegriffen, wonach der Rechtsgedanke des §670 BGB als verallgemeinerungsfähig und unabhängig vom zugrunde liegenden Rechtsverhältnis anwendbar anzusehen sei. So könne jeder, der im Interesse eines anderen Aufwendungen macht, den Ersatz dieser verlangen. Zudem stützte das LAG seine Entscheidung auf die durch die Arbeitgeberin von August 2009 bis August 2013 praktizierte Individualübung. Es stellte fest, dass er der Absprache zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Vorgesetzten konkludent zugestimmt habe, indem er Arbeitsleistungen aus Home-Office-Tätigkeit anerkannt und die Fahrtkosten unbeanstandet erstattet habe. Auch gelte diese solange als gültig, wie die Arbeitnehmerin nicht in wirksamer Weise anderes bestimmt habe.
Den Klageantrag des Arbeitnehmers, auf Weiterbeschäftigung in neuer Position basierend auf dem alten Arbeitsvertrag sah das LAG jedoch als unbegründet an. Durch die Ablösung des alten Vertrags aus 2002 mit dem neuen aus März 2013 sei dem Arbeitnehmer keinerlei Anspruch auf eine Weiterbeschäftigung auf Grundlage des Vertrags von 2002 entstanden. Auch zu einer wirksamen Anfechtung des neuen Vertrags sei es nicht gekommen, sie scheitere an mangelnder Kausalität. Sowohl eine Anfechtung nach §119 BGB, als auch eine nach §123 BGB könnten der Prüfung nicht standhalten, da möglicherweise zwar ein Irrtum oder eine arglistige Täuschung ausgemacht werden könne, es jedoch keine vertragliche Vereinbarung gäbe, auf die ein Irrtum oder eine arglistige Täuschung zurückzuführen seien.