Arbeitnehmer haben im Berufsleben mit einer immer stärker ansteigenden Arbeitsbelastung zu kämpfen. Daher ist es für jeden Einzelnen von großem Interesse zu wissen, wie hoch der eigene Urlaubsanspruch ist. Die als Erholungsurlaub bezeichnete bezahlte Freistellung des Arbeitnehmers soll der Wiederherstellung und Erhaltung seiner Arbeitskraft dienen. Es kommt jedoch vor, dass rechtlich gar nicht eindeutig ist, wie hoch der dem Arbeitnehmer zustehende Urlaubsanspruch ist.

Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 17.11.2015 – 9 AZR 179/15) hatte zu entscheiden, ob ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis am 1. Juli beginnt, in diesem Kalenderjahr den vollen Jahresurlaubsanspruch erwerben kann.

Der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Erholungsurlaub entsteht mit Beginn des Arbeitsverhältnisses und führt nach dessen sechsmonatigem Bestehen zu einem Anspruch auf den vollen Jahresurlaub. Sofern dem Arbeitnehmer der volle Jahresurlaub nicht zusteht, kann dieser nach § 5 BUrlG Teilurlaub von einem Zwölftel seines Jahresurlaubs für jeden vollen Monat beanspruchen, in dem sein Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr bestanden hat.

Arbeitnehmer verlangt Abgeltung des Jahresurlaubs

Ein Arbeitnehmer begann am 01.07.2013 seine Tätigkeit als Diensthundeführer im Bereich der Bundeswehr, die er bereits am 02.01.2014 wieder beendete. Das Arbeitsverhältnis bestand etwas länger als sechs Monate. Kurz nach seinem Ausscheiden verlangte der Arbeitnehmer von seiner früheren Arbeitgeberin die Abgeltung des vollen Jahresurlaubes in 2013, der nach dem einbezogenen geltenden Manteltarifvertrag 26 Arbeitstage betrug. Er könne die Abgeltung des kompletten Jahresurlaubes beanspruchen, da er die sechsmonatige Wartezeit des § 4 BUrlG erfüllt habe.

Die Arbeitgeberin zahlte allerdings nur Urlaubsabgeltung für 13 Arbeitstage und berief sich auf den in Bezug genommenen Manteltarifvertrag, der für ausscheidende Arbeitnehmer so viele Zwölftel Jahresurlaub vorsah, wie dieser volle Monate im Unternehmen beschäftigt war. Voraussetzung für den Anspruch auf Abgeltung des kompletten Jahresurlaubes seien nämlich nicht nur das sechsmonatige Bestehen des Arbeitsverhältnisses, sondern auch noch das weitere Bestehen des Arbeitsverhältnisses im Berechnungszeitraum, also dem Kalenderjahr 2013. Denn entsprechend des Manteltarifvertrages, der auf das BUrlG verweise, habe jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub. Als der frühere Arbeitnehmer die Wartezeit erfüllt hatte, war das Kalenderjahr 2013 allerdings bereits vorbei. Daher könne dieser nur Abgeltung eines Teils seines Urlaubs, nämlich von 13 Arbeitstagen aus dem Jahr 2013 beanspruchen.

Entscheidungsgründe des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht stellte auf den Wortlaut des § 4 BUrlG ab und stellte klar, dass der volle Urlaubsanspruch erst „nach“ sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses entsteht und nicht „mit“ sechsmonatigem Bestehen. Der Ablauf der Wartezeit des § 4 BUrlG und das Entstehen des vollen Jahresurlaubes fallen daher zeitlich nicht zusammen. Da das Arbeitsverhältnis des Mitarbeiters mit Ablauf des 31.12.2013 genau sechs Monate bestanden hatte, konnte dieser im Kalenderjahr 2013 nicht der vollen Jahresurlaubsanspruch erwerben.

Bezüglich einer von dem Mitarbeiter in Bezug genommenen bundesarbeitsgerichtlichen Entscheidung aus 1966 entschied der 5. Senat, dass ein Arbeitsverhältnis, das mit Ablauf des 30.06. endet, in diesem Jahr lediglich zum Erwerb eines Teilurlaubsanspruches führt. Das Bundesarbeitsgericht nahm hierzu Bezug auf den Art. 3 I GG. Demgemäß läuft es dem Gleichheitsgebot des Art. 3 I GG zu wider, wenn ein Arbeitsverhältnis, das am 01.07. beginnt mit Ablauf des 31.12. einen Anspruch auf den vollen Jahresurlaub entstehen lässt. Dies gründet darin, dass in beiden Konstellationen das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr genau sechs Monate bestanden hat.

Weiter hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr einen gesetzlichen Anspruch auf 24 Werktage bezahlten Erholungsurlaub bei einer 6-Tage-Woche. Es ist nicht Sinn und Zweck der Regelungen, dass ein Mitarbeiter zweimal im Jahr den vollen Jahresurlaub erwerben kann. Etwa indem dieser einmal vom 01.01. bis 30.06. des Jahres bei einem Arbeitgeber tätig ist und für den Rest des Jahres vom 01.07. bis 31.12. bei einem anderen Arbeitgeber.

Im Ergebnis kann ein Arbeitsverhältnis, das am 01.07. beginnt, nicht mit Ablauf des 31.12. des Jahres in diesem Jahr zum Erwerb des vollen Jahresurlaubsanspruches führen.

Relevanz der Entscheidung

Diese Entscheidung ist eine Fortführung der BAG-Entscheidung vom 16.06.1966 – 5 AZR 521/65 -. In der Entscheidung aus 1966 stellte das Bundesarbeitsgericht fest, dass dem Arbeitnehmer bei seinem Ausscheiden mit Ablauf des 30.06. für dieses Kalenderjahr lediglich ein Anspruch auf Teilurlaub zusteht. Jetzt hat das Bundesarbeitsgericht diese Entscheidung dahingehend fortgeführt, dass dies auch auf ein am 01.07. beginnendes Arbeitsverhältnis zutrifft.

Diese Entscheidung erfolgt ebenso klarstellend zu BAG, Urteil vom 26.01.1967 – 5 AZR 395/66 -, wonach die gleichzeitige Beendigung des Kalenderjahres die Entstehung des vollen Jahresurlaubes nicht ausschloss. Das Bundesarbeitsgericht hat hier klargestellt, dass bei Erfüllung der Wartezeit mit Ablauf des 31.12. der volle Jahresurlaub nicht mehr im selben Kalenderjahr entstehen kann.

Dass das Bundesarbeitsgericht auf den Wortlaut der Vorschrift des § 4 BUrlG abgestellt hat, ist m. E. sinn- und zweckgemäß.  Für den nicht juristisch versierten Arbeitnehmer erleichtert dies auch die Berechnung seines eigenen Urlaubsanspruches, da er sich hierzu direkt am Wortlaut des § 4 BUrlG orientieren kann.