Der Zeitpunkt des Beginns einer natürlichen Schwangerschaft wurde durch Rechtsprechung bereits geregelt. Doch ab wann beginnt rechtlich eine In-Vitro-Schwangerschaft und der damit verbundene Kündigungsschutz? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich in dem Urteil vom 26. März 2015 mit dieser Fragestellung beschäftigt.
Problemstellung:
Werdende Mütter genießen einen Kündigungsschutz i.S.d. § 9 MuSchG. Kommt es dennoch zu einer Kündigung bei einer Arbeitnehmerin, deren Schwangerschaft durch natürliche Befruchtung entstand, existieren bereits Probleme mit dem Zeitpunkt der Schwangerschaftsfeststellung. Zur allgemeinen Berechnung gilt bei diesen Schwangerschaften die 280-Tage-Regel. Dies begründet sich durch den schwer bestimmbaren Zeitpunkt. Eine natürliche Schwangerschaft dauert im Regelfall zwischen 263 bis 273 Tage. Demzufolge kann diese Berechnungsmethode mitunter den Bereich des Kündigungsschutzes bereits umfassen, wo noch keine Schwangerschaft bestand. Schwerpunkt des nachfolgenden Urteils ist dadurch ein äußerst sensibles Thema, der In-Vitro-Befruchtung, welches bisher noch nicht durch die deutsche Rechtsprechung die erforderliche Beachtung erhalten habe, die es heutzutage verlangt. Allein in Deutschland haben sich im Jahr 2014 rund 57.000 Frauen einer solchen Behandlung unterzogen. Bereits die Entscheidung für eine Durchführung einer In-Vitro-Fertilisation könnte mitunter den Endpunkt des bisherigen Leidenswegs eines kinderlosen Paares darstellen. Nicht nur aus diesem Grund ist diese Art des Schwangerwerdens von einer ntürlichen Schwangerschaft zu differenzieren.
Das BAG-Urteil hat die Rechtsprechung des EuGH zur Frage des Schwangerschaftsbeginns bei einer In-Vitro-Befruchtung konkretisiert. Bei einer In-Vitro-Fertilisation wird eine reife Eizelle aus dem Körper der Frau entnommen, welche außerhalb des Körpers mittels einer Samenzelle des Mannes befruchtet wird. Die daraus entstandenen Embryonen werden darauffolgend in die Gebärmutter eingenistet (Nidation).
Zum Sachverhalt
In dem vorliegenden Rechtstreit war es fraglich, ob eine wirksame ordentliche Kündigung erteilt wurde. Die 1975 geborene Klägerin (Arbeitnehmerin) war seit Februar 2012 in dem Unternehmen tätig und erhielt stets positives Feedback für ihre Arbeitsleistung. Mitte Januar 2013 vertraute sie in einem persönlichen Gespräch ihrer Arbeitgeberin (Beklagte) ihren bisher unerfüllten Kinderwunsch an und erwähnte, dass sie den erneuten Versuch einer künstlichen Befruchtung (In-Vitro-Fertilisation) plane. Laut ärztliches Schreiben erfolgte der Embryonentransfer im Rahmen der künstlichen Befruchtung am 24. Januar 2013. Daraufhin ist ihr am 31. Januar 2013 ein Kündigungsschreiben seitens der Arbeitgeberin zugegangen, zudem wurde ihre Stelle bereits zum 01. März 2013 mit einer älteren Arbeitnehmerin besetzt. Die Beklagte begründete die Kündigung mit einer negativen Arbeitsleistung der Klägerin, obwohl dafür keine Anhaltspunkte vorlagen. Während des Arbeitsverhältnisses hat die Klägerin ausschließlich positives Feedback von der Beklagten erhalten. Zudem wurde sie nie abgemahnt. Die Klägerin reichte daraufhin ordnungsgemäß die Kündigungsschutzklage ein und begehrte die Feststellung der unwirksamen Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Kurz darauf, am 07. Februar 2013, wurde bei der Klägerin eine Frühschwangerschaft festgestellt, welche diese auch ihrer Arbeitgeberin am 13. Februar 2013 innerhalb der gesetzlichen Zwei-Wochenfrist des § 9 Abs. 1 S.1 MuSchG mitteilte.
Schwierigkeit des Sachverhalts
Fraglich ist hier, ob sie zum Zeitpunkt der Kündigung am 31. Januar 2013 bereits schwanger war und somit den gesetzlichen Sonderkündigungsschutz aus dem MuSchG genoss. Problematisch für die Berechnung des Kündigungsschutzes ist der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Embryonentransfer (24. Januar 2013) und der tatsächlichen Nidation. Unter dem Begriff des Embryonentransfers ist der Vorgang der Einsetzung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter zu verstehen. Somit könnte die Schwangerschaft mit dem 24. Januar 2013 begonnen haben.
Die Arbeitgeberin trug allerdings dagegen vor, dass für die Bestimmung des Schwangerschaftsbeginns der Zeitpunkt der Nidation maßgeblich ist und begehrte mit einer Revision weiterhin eine Abweisung der Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin.
Zum BAG-Urteil
Allerdings wurde die Revision des Beklagten als unbegründet zurückgewiesen. Hierzu führte das Gericht aus, dass der besondere Kündigungsschutz bei einer In-Vitro-Fertilisation mit dem Embryotransfer, in diesem Fall am 24. Januar 2013, beginnt und nicht erst mit der Nidation. Somit hat das BAG erstmalig den maßgeblichen Zeitpunkt bei einer In-Vitro-Fertilisation richterlich mit Bezug auf die Entscheidung des EuGH vom 26. Februar 2008 präzisiert. Im Gegensatz dazu gilt bei natürlichen Schwangerschaften die 280-Tage-Regel als Berechnungsgrundlage für den Kündigungsschutz.
Infolgedessen wurde die unwirksame Auflösung des Arbeitsverhältnisses vom BAG festgestellt. Das Gericht hat entschieden, dass die Kündigung seitens der Arbeitgeberin nach § 134 BGB unwirksam ist, da die Kündigung sowohl gegen § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG.
Schließlich hatte die Kündigungsschutzklage der Klägerin in allen Instanzen Erfolg. Sie unterlag dem Sonderkündigungsschutz aus § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG.
Bereits 2008 hatte das EuGH sich mit der bisher unbeantworteten Frage des tatsächlichen bzw. medizinischen Schwangerschaftbeginns im Sinne der Richtlinie 92/85/EWG (Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19.10.1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz) bei In-Vitro -Fertilisationen beschäftigt.
Zum EuGH-Urteil
Laut EuGH kann aus Gründen der Rechtssicherheit eine Schwangerschaft im Falle einer In-Vitro-Fertilisation frühestens zum Zeitpunkt des Embryonentransfers und nicht bereits mit der Nidation beginnen. Der EuGH hat hierfür die Auslegung des Art. 10 Nr. 1 der Richtlinie 92/85/EWG dargelegt. Das in diesem Artikel beschriebene Verbot der Kündigung schwangerer Arbeitnehmerinnen bezieht sich lediglich auf natürliche Schwangerschaften. Mitunter begründet er seine Auslegung damit, dass eine In-Vitro-Befruchtung bereits mit der befruchteten Eizelle stattgefunden haben kann ohne das diese in die Gebärmutter eingesetzt worden ist. Ansonsten könne sich laut EuGH eine Arbeitnehmerin theoretisch mehrere Jahre auf den besonderen Kündigungsschutz gem. § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG berufen. Dies begründet sich aufgrund des “Einfrierens” der befruchteten Eizellen (sog. Kryokonservierung) durch das Gesetz zum Schutz von Embryonen, welches nach § 17 Abs. 1 FMedG eine zeitliche Begrenzung von bis zu 10 Jahren beschreibt. Im Ergebnis hat das EuGH richterlich entschieden, dass die außerhalb des Mutterleibs erfolgte Befruchtung der zuvor entnommenen Eizellen somit nicht als Beginn der Schwangerschaft im Sinne von Art.2, Art.10 der Richtlinie 92/85 anzusehen ist.
Das vorliegende BAG-Urteil verdeutlicht, angelehnt an das EuGH-Urteil, dass der gesetzliche Mutterschutz einen sehr hohen Stellenwert genießt. Somit wird der Schutzauftrag aus Art. 6 GG vom Gesetzgeber verwirklicht und weiterhin den Verpflichtungen aus der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen u.a. (MutterschutzRL) gefolgt. Der Zweck des gesetzlichen Mutterschutzes besteht neben dem Schutz vor arbeitsplatzbedingten Gefahren darin, die schwangere Arbeitnehmerin vor der psychischen und physischen Gefahr zu schützen, die die Möglichkeit einer evtl. Entlassung mit sich bringt. Das BAG-Urteil differenziert zum einen bei der Bestimmung des Beginns einer Schwangerschaft zwischen natürlichen Befruchtungen und In-Vitro-Fertilisationen. Der Zeitpunkt des Embryonentransfers bei einer künstlichen Befruchtung kann anders als bei einer natürlichen Schwangerschaft exakt festgestellt werden. Aber wie sind diese Berechnungsgrundlagen mit den tatsächlichen Erfolgsaussichten zu interpretieren? Im vorliegenden Sachverhalt hatte die Arbeitgeberin diesbezüglich auf die niedrigen Erfolgschancen abgestellt. In den wenigen Fällen der bisherigen Rechtsprechungen verliefen die Schwangerschaften durch das In-Vitro-Verfahren erfolgreich. Diesbezüglich ließ das BAG, wie der EuGH, diese Frage offen. In der Praxis liegen die Erfolgschancen bei ca. 30 bis 50 % bei Frauen unter 30 Jahren, wobei die Erfolgsaussichten mit zunehmenden Alter stark abnehmen. Hinsichtlich der fehlenden Klärung, bedarf es aus Gründen der Rechtssicherheit noch weitere Klarstellungen.
Im BAG-Urteil genoss die Arbeitnehmerin, entgegen der Arbeitnehmerin aus dem EuGH-Urteil, bereits bei Zugang der Kündigung am 31. Januar 2013 den besonderen Kündigungsschutz aus § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG. Es lag weiterhin keine behördliche Zustimmung vor, die eine Kündigung der schwangeren Arbeitnehmerin evtl. hätte gem. § 9 Abs. 3 MuSchG rechtfertigen können. Gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG hatte die Klägerin zudem ihre Arbeitgeberin innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt des Kündigungsschreiben von ihrer Schwangerschaft in Kenntnis gesetzt.
EuGH schreibt Hilfserwägung fest
Das EuGH-Urteil erweitert den Kündigungsschutz für Arbeitnehmerinnen, die eine In-Vitro-Fertilisation-Behandlung durchgeführt haben. Somit führte er die Hilfserwägung an, dass zudem eine unmittelbare Geschlechterdiskriminierung aufgrund der Planung einer In-Vitro-Fertilisation vorliegen könnte. Aus diesem Grund folgert der EuGH die Beweggründe für die Kündigung näher zu betrachten. Es müsse festgestellt werden, dass der Kündigungsgrund ohne Unterschied auf Arbeitnehmer beider Geschlechter auch Anwendung gefunden habe oder ob lediglich nur ein Geschlecht benachteiligt wird. Im EuGH-Urteil wurde die Arbeitnehmerin aufgrund des Geschlechts nach Art.2 Abs.1 und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG diskriminiert. Wird das EuGH-Urteil mit dem des BAG verglichen, kann die Kündigung als solche nicht gegen ein Diskriminierungsmerkmal des § 1 AGG anknüpfen. Allerdings könnte die dargelegte Begründung, d.h. die Kündigung der Klägerin sowie deren Nachbesetzung durch eine ältere Arbeitnehmerin aufgrund ihrer geplanten Schwangerschaft ein Indiz für eine mögliche Diskriminierung darstellen. Mit der Nachbesetzung durch die ältere Arbeitnehmerin möchte die Arbeitgeberin weitere personelle Konsequenzen ausschließen. Dies hat auch das BAG rechtsfehlerfrei festgestellt. Somit kann die Kündigung auch gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. §§ 1, 3 AGG verstoßen, sofern der Kündigungsschutz gem. § 9 Abs. 1 MuSchG nicht greift.
Zusammenfassend betrachtet hat sich das BAG an der Entscheidung des EuGH angelehnt. Es hat sich somit eine Zweiteilung der Schutzwürdigkeit der werdenden Mütter herauskristallisiert. Das Kündigungsschutzrecht gem. § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG besteht ab dem Zeitpunkt des Embryonentransfers. Außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes kann eine Kündigung, die unmittelbar mit einer künstlichen Befruchtung und einer Alters- oder Geschlechterdiskriminierung im Zusammenhang steht, hilfsweise gem. § 134 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG geschützt werden.
Fazit und Ausblick
Das BAG hat in seinem Urteil das EuGH-Urteil in die gleiche Richtung weiter entwickelt und geschärft. Abzuwarten bleibt die weitere Konkretisierung, insbesondere hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Befruchtung.
Dennoch eröffnet die Entscheidung die sensible Thematik der künstlichen Befruchtung und der einhergehenden Belastung. Betroffene Paare wählen gerade erst diesen langen, psychisch belastenden Weg, wenn keine Möglichkeit der natürlichen Schwangerschaft besteht. Zudem müssen sie sich trotzdem mit der Möglichkeit auseinander setzen, dass der Kinderwunsch nicht in Erfüllung gehen könnte. Könnte daran eventuell in der Zukunft angeknüpft werden, sodass der Schutz dadurch erweitert wird? Dieses BAG-Urteil könnte sogar ein möglicher Schritt weg von dem gesellschaftlichen Tabu-Thema der künstlichen Befruchtung sein.
Ein eventueller Ansatzpunkt kann mitunter in einer weiteren Auslegung des Art. 10 Nr. 1 der Richtlinie 92/85/EWG gesehen werden. Darin könnte ein erweiterter Schutz in Bezug auf eine mögliche Ausweitung von wenigen Tagen der in-Vitro-befruchteten Eizelle vor der tatsächlichen Einsetzung in die Gebärmutter gemeint sein. Somit könnte der Kündigungsschutz von Arbeitnehmerinnen auch in der erfolgskritischen Phase der In-Vitro-Befruchtung d.h. während der Befruchtung einer Eizelle mit einer Samenzelle außerhalb des Körpers, bereits ab diesen festgelegten Zeitraum beginnen.
Die Schwierigkeit könnte lediglich darin bestehen aus der gewünschten Konkretisierung keinen Anspruch zu schaffen, der sich möglicherweise vorteilhaft auf bestimmte Parteien auswirken könnte.
Grundsätzlich besteht natürlich eine Differenz zwischen der natürlichen Befruchtung und der In-Virto-Befruchtung. Beim Mutterschutz sollte hier nicht differenziert werden, da sich unabhängig von der „Befruchtungsweise“ das zu schützende Gut das Gleiche ist und gerade hier die häufig psychisch und physischen Belastungen auf dem Weg zur Befruchtung Berücksichtigung finden müssen.
Jedoch gewinnen In-Vitro-Fertilisationen und alternative Befruchtungsarten zunehmend an Popularität. Zukünftig gilt es Rechtsklarheit auch für diese alternativen Befruchtungsformen zu schaffen und damit auch Arbeitnehmerinnen einen angemessenen Schutz zu gewährleisten, die auf diese Formen zurückgreifen. Die selbstbestimmte Generation Y und die zunehmende Technologisierung unterstützen diese Entwicklung. Einige Arbeitgeber haben diesen Trend erkannt und unterstützen ihre Mitarbeiter/innen finanziell und Organisatorisch bei der Familienplanung. Eine weitere interessante Thematik bietet auch die Social Freezing-Debatte. Unternehmen wie Facebook oder Google sollen an Attraktivität gewinnen, dadurch, dass sie die Kosten für das Einfrieren entnommener Eizellen von Arbeitnehmerinnen übernehmen und diesen damit eine an die individuelle Karriere angepasste Familienplanung ermöglicht wird.