Im Zuge des medienumworbenen Skandals um die Abgasmanipulationen des deutschen Automobilkonzerns Volkswagen AG ist die Rede vom Untergang der wichtigsten deutschen Qualitätsmarke „Made in Germany“. Müssen wir uns tatsächlich Sorgen um den Bestand des Erfolgslabels „Made in Germany“ machen?
VW, das war mehr als ein Unternehmen oder etwa ein beliebiges Fahrzeug. Mit VW wurde deutsche Gründlichkeit und Pünktlichkeit, perfektes Handwerk und solide Wertarbeit verbunden. Jetzt sieht die Welt mit neuen Augen auf das Label „Made in Germany“. Ein weltweites Vertrauen wurde ausgerechnet vom angesehensten Unternehmen Deutschlands verspielt. Das hat gewaltige Folgen für den internationalen Wettbewerb, aber vor allem für die Glaubwürdigkeit Deutschlands, seiner Unternehmen, Produkte und Politik. Zu allem Ungemach könnten die köchelnden Bestrebungen zur Vereinheitlichung von Herkunftsangaben in der Europäischen Union eine weitere Gefahr für den Verkaufsgaranten „Made in Germany“ darstellen. Nach welchen Kriterien beurteilt sich die Zulässigkeit der Herkunftsangabe in Deutschland? Inwiefern stimmen diese mit der Praxis überein? Welche Auswirkung hätte eine europäische Regelung auf die Herkunftsangabe „Made in Germany“?
Die Herkunftsangabe „Made in Germany“ nach deutschem Recht
Wie ist die Herkunftsangabe „Made in Germany“ nach deutschem Recht zu bewerten? Das Label gilt seit Jahrzehnten als Synonym für technisch anspruchsvolle und wertbeständige Qualitätsprodukte. Die Kennzeichnung „Made in Germany“ ist im deutschen Recht aber nicht explizit geregelt. Anhaltspunkte bieten nur das Markengesetz und das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Anstelle einer Definition der Herkunftsbezeichnung hat sich der Gesetzgeber auf den Schutz vor Irreführung über geografische Herkunftsangaben von Waren beschränkt. Es besteht zwar keine Verpflichtung zur Kennzeichnung. Wird eine solche auf freiwilliger Basis vorgenommen, darf sie nicht gegen die Irreführungsverbote aus § 127 MarkenG und § 5 UWG verstoßen. Mangels gesetzlicher Vorgaben wurden Kennzeichnungskriterien im Rahmen richterrechtlicher Rechtsfortbildung entwickelt.
Kondome „Made in Germany“
Zur Darstellung des Status quo soll die Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde im Falle der Kennzeichnung von „Kondome[n] – Made in Germany“ dienen. Auffällig ist, dass im Vergleich zur enormen Anzahl potenziell betroffener Marktteilnehmer diesbezügliche Entscheidungen vor deutschen Gerichten eher selten und einzelfallbezogen ergehen. Die Jurisprudenz sichert sich mittels einzelfallbezogener Entscheidungen einen nicht unerheblichen Entscheidungsspielraum. Die Kehrseite ist eine in der Praxis hervorgerufene Rechtsunsicherheit bei der konkreten Verwendung der Herkunftsangabe „Made in Germany“. Die mitunter schwierige Handhabung hat den Bundesgerichtshof nicht dazu veranlasst, die Nichtzulassungsbeschwerde des Kondomherstellers aufzugreifen und die bisherigen Kriterien auf ihre Aktualität zu überprüfen. Die Rechtslage ist nach Auffassung des BGH nicht weiter klärungsbedürftig. Vor einer Kulisse kritischer Stimmen in der Literatur und Praxis und vor allem in Ansehung europäischer Bestrebungen, erscheint diese Aussage durchaus behäbig. Der BGH hätte die Gelegenheit nutzen, seine Grundsätze mit Substanz untermauern und notfalls an den Puls der Zeit anpassen können. Stattdessen begnügt er sich mit einer wiederholenden Subsumtion unter die Kriterien, an denen sich das Berufungsgericht in zutreffender Weise orientiert habe.
Die Kennzeichnung „Made in Germany“ erfordert nach der Rechtsprechung, dass die Leistungen in Deutschland erbracht worden sind, durch die das zu produzierende Industrieerzeugnis seine aus der Sicht des Verkehrs im Vordergrund stehenden qualitätsrelevanten Bestandteile oder wesentlichen produktspezifischen Eigenschaften in Deutschland erhält. Maßgeblich für die Zulässigkeit der Kennzeichnung sind insofern allein qualitative Aspekte der Produktion. Das Berufungsgericht befand die Verhütung von Krankheiten und Schwangerschaften als das aus der Sicht des Verbrauchers wesentliche Qualitätsmerkmal. Erforderlich hierfür seien eine entsprechende Dichtigkeit und Rissfestigkeit der Kondome. Diese Eigenschaften erhielt der Naturkautschuk bereits bei der ausschließlich im Ausland stattfindenden Fertigung der entsprechend geformten Produkte. Die gefertigten Kondome seinen als entscheidungserhebliches Endprodukt zu bewerten. In Deutschland vorgenommene Verpackung, Versiegelung und Qualitätskontrolle diene dagegen nicht der Schaffung der relevanten Eigenschaften, sondern lediglich ihrer nachträglichen Kontrolle. Daran ändere sich auch vor dem Hintergrund der Einhaltung des Medizinproduktgesetzes nichts. Schließlich werde die Angabe „Made in Germany“ nicht als Qualitätsnachweis, sondern ihrem Wortsinn nach als geläufiger Anglizismus für „hergestellt in Deutschland“ verstanden. Der Verkehr stelle insoweit auf einen Fertigungsprozess in Deutschland und damit auf den konkreten Produktionsort ab. Bei der Werbung als „Kondome – Made in Germany“ handele es sich in der Folge um eine irreführende Herkunftsangabe gemäß § 5 I 2 Nr. 1 UWG.
Rechtsprechung vs. Praxis in Deutschland
Die Zulässigkeit der Herkunftsangabe „Made in Germany“ ist entsprechend des BGH ausschließlich anhand qualitativer Aspekte zu beurteilen. Dagegen wird teilweise in der Literatur und Praxis vertreten, auch quantitative Aspekte in die Wertung einfließen zu lassen. Eine Orientierung an Art. 24 VO Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften zum zollrechtlichen Ursprung einer in mehreren Ländern hergestellten Ware wird dafür vorgeschlagen. Diese lehnt der BGH jedoch mit Hinweis auf sein Wortlautverständnis ab. Vielmehr sind die qualitativ mit dem jeweiligen Produkt verknüpften Eigenschaften zu ermitteln. Im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung ist hierfür nicht mehr auf jedermann, sondern auf diejenigen Verbraucher bzw. Nutzer abzustellen, an die sich die Produkte richten. Wie analysiert das streitentscheidende Gericht das Verständnis des angesprochenen Verkehrskreises? In den seltensten Fällen werden fallrelevante und verwendbare Statistiken vorliegen, die zu Rate gezogen werden können. Stattdessen begibt sich das Gericht selbst in die Sicht des mit dem Produkt angesprochenen Verkehrskreises.
Was aber hat die Sicht der Rechtsprechung mit dem tatsächlichen Verständnis des Verkehrskreises gemein? Der leise Verdacht einer starken Divergenz zwischen diesen Ansichten drängt sich förmlich auf. Tatsächlich wird bei der Recherche schnell deutlich, dass die Erwartungen von Journalisten und Konsumenten weit hinter den Anforderungen der Rechtsprechung zurück bleiben. Danach „genüg[e] es auf eine in Afrika gefertigte Tasche in Deutschland einen Knopf aufzunähen, damit die Tasche als „Made in Germany“ verkauft werden kann“. Dennoch stelle das Label nach der Umfrage einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft für neun von zehn Konsumenten ein Kaufargument dar. Die Verbraucher „knüpfen an das Label ‚Made in Germany‘ weniger den Produktionsort als vielmehr konkrete Produkteigenschaften: Über 80 Prozent der Konsumenten verbinden die Bezeichnung allgemein mit ‚bester Qualität‘. Im Detail erwarten sie eine lange Lebensdauer (57 Prozent der Befragten), höchste Sicherheit (55 Prozent) und hohe Funktionalität (55 Prozent).“. Ein deutscher Hersteller erfülle die aus Verbrauchersicht wesentlichen Merkmale für das Label „Made in Germany‘“, wenn das Produkt „in Deutschland entwickelt, [ge]testet und im Ausland nach deutschen Standards produziert“ wird. Die Aussagen stehen in klarem Widerspruch zu den aufgestellten Zulässigkeitskriterien, wonach maßgeblich auf den Produktionsort abzustellen ist. Im Ergebnis ist die Rechtsprechung weitaus kritischer mit der Handhabung der Kennzeichnung als von der Wirtschaft suggeriert und von Verbrauchern angenommen wird. Die Vermutung liegt nahe, dass vermehrt auf § 127 MarkenG und § 5 UWG gestützte Klagen aufgrund einer irreführende Kennzeichnung gute Erfolgsaussichten hätten. Die Verbraucher sind sich dessen aber nicht bewusst und verfügen vor allem nicht über die notwendigen Informationen der Geschäftsinterna. Rechtsprechung und Praxis scheinen in Parallelwelten zu existieren.
Bestrebungen des Europäischen Parlaments
Im Sinne einer Förderung der Produktsicherheit und Marktüberwachung zum Wohle des Verbraucherschutzes ist das Europäische Parlament seit Jahren bestrebt, Herkunftsbezeichnungen innerhalb der Union zu vereinheitlichen. Zu den Zielen gehört die verpflichtende Kennzeichnung des Herkunftslandes nahezu aller Waren, die im europäischen Binnenmarkt zum Verkauf stehen. Den Herstellern soll die Möglichkeit eingeräumt werden, zwischen den Angaben „Made in EU“ und „Made in [Mitgliedstaat]“ selbst zu wählen. Die Kennzeichnung soll sich entsprechend Art. 24 VO Nr. 2913/92 des EU-Zollkodex danach richten, wo die letzte wesentliche und wirtschaftlich gerechtfertigte Bearbeitung oder Verarbeitung des Produktes stattgefunden hat, die zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses führt oder eine bedeutende Herstellungsstufe darstellt. Das Herkunftsland kann insofern nach dem Wertschöpfungsanteil der Ware, d.h. entsprechend einer festzulegenden Prozentzahl des Herstellungsumfangs, bestimmt werden. Der Art. 24 VO Nr. 2913/92 des EU-Zollkodex stellt im Gegensatz zur deutschen Rechtsprechung primär auf quantitative Aspekte hinsichtlich der Herkunftsbestimmung ab. Am Beispiel des Falls „Kondome – Made in Germany“ wäre die Kennzeichnung nur zulässig, wenn ein bestimmter Prozentsatz (z.B. 51%) der gesamten Fertigung in Deutschland stattfinden würde.
Schlussbemerkung
Sind die Sorgen um den Bestand der Qualitätsmarke „Made in Germany“ berechtigt? Durchaus. Die in der deutschen Rechtsprechung entwickelten Kriterien spiegeln die Wirklichkeit nicht wider. Was zum einen daran liegen mag, dass die Handhabung der Kriterien mit Schwierigkeiten behaftet ist. Andererseits ist erkennbar, dass die Wirtschaftsberater von anderen Prämissen hinsichtlich der Zulässigkeit der Kennzeichnung als „Made in Germany“ ausgehen. Die Rechtsprechung könnte ihre Entscheidungsfindung an die Bedürfnisse der Unternehmen anpassen. Dem Verbraucherschutz würde sie jedoch einen Bärendienst erweisen. Von einer Qualitätsmarke, die einer soliden rechtlichen wie tatsächlichen Basis entspringt, kann jedenfalls nicht die Rede sein.
Eine europäische Regelung von Herkunftsangaben trüge dagegen im Sinne des Verbraucherschutzes zu einheitlichen Standards und wohlmöglich zu mehr Rechtsicherheit bei. Mit welchem konkreten Inhalt eine EU-Verordnung in die Tat umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Ungeachtet der Einzelheiten, würde eine EU-Verordnung den Regelungsbereich der Herkunftsangaben freigeben und stieße die Tür zur Handhabung und Kontrolle durch die Europäische Union weit auf. Damit gingen von der deutschen Rechtsprechung abweichende Beurteilungskriterien entsprechend des Art. 24 VO Nr. 2913/92 des EU-Zollkodex einher. Das bedeutet nach den obigen Darstellungen nicht zwangsläufig, dass das Label „Made in Germany“ an strengeren Maßstäben zu messen wäre. Alle Unternehmen wären jedoch gehalten, die Verwendung der Herkunftsangabe auf ihre Zulässigkeit zu überprüfen und entsprechend anzupassen. Die anvisierte Implementierung von spürbaren Sanktionen bei fehlerhafter Kennzeichnung dürfte dem Anliegen des Europäischen Parlaments den nötigen Nachdruck verleihen. Zumal davon auszugehen ist, dass die EU-Verordnung mit einer gesteigerten Initiative, beispielsweise von europäischen Konkurrenten und Verbänden, und einem entsprechend veranlassten Kontrollzuwachs einhergeht. Die Verwendung der Erfolgsmarke „Made in Germany“ würde auf den Prüfstand gestellt. So liegt die Befürchtung nahe, dass in vielen Fällen die Kriterien – auch in Übereinstimmung mit der bisherigen deutschen Rechtsprechung – nicht erfüllt sein werden. Umsatzrückgänge und im schlimmsten Fall der Verlust des Standortvorteils Deutschlands sind durch Einbuße des schlagenden Kaufarguments „Made in Germany“ nicht von der Hand zu weisen. Vor derartigen Szenerien haben Politik und Jurisprudenz die deutsche Wirtschaft bisher bewahrt. Sorgen um das Erfolgslabel „Made in Germany“ basieren folglich nicht auf abweichenden Kennzeichnungskriterien. Die eigentliche Gefahr birgt die durch eine EU-Verordnung neu gewonnene Transparenz.
Eine Reglementierung der Herkunftsbezeichnung von Produkten ist dringend notwendig.
Es darf nicht sein, dass der Verbraucher mithilfe eines am Ende des Fertigungsprozesses angenähten Knopfes über die tatsächliche Herkunft seiner Ware hinweggetäuscht wird.
Der Verbraucher hat das berechtigte Interesse zu erfahren, wo sein Produkt im Wesentlichen hergestellt worden ist.
Dabei geht es für ihn nicht ausschließlich um die Produktqualität. Auch soziale Aspekte können für ihn von Bedeutung sein. Aus diesem Grund sollte ihm dringend die Möglichkeit gegeben werden, die Information über das (wahre) Herkunftsland im Zuge seiner Kaufentscheidung zu berücksichtigen.
Wobei – und hier mag sich für den einen oder andern die Frage nach dem Sinn dieser Reglementierung stellen – es in der Summe die Minderheit der Verbraucher sein dürfte, die ihre Kaufentscheidung schlussendlich tatsächlich vom Herkunftsland abhängig macht. Die einen wollen oder können kein Geld für ein echtes „Made in Germany“-Produkt ausgeben, die anderen interessiert es schlichtweg nicht, wo ihre Ware produziert wurde.
Kurzum, wirklich Sorgen machen müssen wir uns um unsere deutschen Marken auch nach Einführung der Deklarationspflicht nicht. Die Veränderungen des Kaufverhaltens dürften gering sein.
Dennoch kommt das Europäische Parlament mit dieser Maßnahme seiner Pflicht nach, den Verbraucher zu schützen und tut damit nur das Nötigste, ihm ein verantwortungsbewusstes Handeln zu ermöglichen.