Nach Zustimmung des Bundesrates wurde am 06.11.2015 das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie zum verstärkten Anlegerschutz und zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen im Kapitalmarktrecht verabschiedet. Die Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie als Maßnahme der Vorgaben des Europäischen Parlaments und Rates war bis zum 27.11.2015 von den Mitgliedstaaten umzusetzen. Die Regelungen der Änderungsrichtlinie sind ausschließlich für den geregelten Markt relevant, während der Freiverkehr im ungeregelten Markt nicht erfasst wird. Die Anforderungen für einen Rückzug von der Börse – das sogenannte Delisting – erfahren erstmals eine gesetzgeberische Regelung zum Schutz der Aktionäre.

Durch die Umsetzung der Änderung der Transparenzrichtlinie durch den Deutschen Bundestag wurden auch Schutzlücken beseitigt, die durch die „Frosta“-Entscheidung des BGH vom 8.10.2013 in Abkehr vom Macroton-Urteil aus dem Jahre 2002 entstanden waren.

Historische Entwicklung

Mit der Macroton Entscheidung vom 25.11.2002 hatte der BGH entschieden, dass ein Delisting nicht die innere Struktur einer AG verändere, jedoch „der Schutz des mitgliedschaftlichen Vermögenswerts nicht in den Händen der Geschäftsleitung, sondern der Hauptversammlung liegt“. Die Begründung des BGH für die Zuständigkeit der HV im Falle eines Delistings fußt hierbei auf der Annahme, dass die Verkehrsfähigkeit sich unmittelbar auf den Verkehrswert der Anteile auswirkt und somit am verfassungsrechtlichen Schutz gem. Art 14 GG des Aktieneigentums teilhat. Fragwürdig und unbegründet blieb hingegen die Entscheidung, dass für eine Entscheidung der HV über einen etwaigen Börsenrückzug die einfache Mehrheit gem. §133 I AktG genügt. Verwiesen wurde hier lediglich auf den „unternehmerischen Charakter“ einer solchen Entscheidung. Ferner sah der BGH von einem Vorstandsberichts im Rahmen einer  Beschlussfassung in einem solchen Fall ab. Im Nachgang zu dieser Entscheidung wurde demnach zu Recht ein mangelnder Minderheitenschutz kritisiert.

Um einen gesellschaftsrechtlichen Schutz der Minderheitsaktionäre sicherzustellen wurde die Gesellschaft verpflichtet, ein Kaufangebot gem. §§ 71 f. AktG zum tatsächlichen Anteilswert unter Berücksichtigung des Börsenkurses zu unterbreiten. Unangemessen niedrige Abfindungsbeträge wiederum wurden unter Einbeziehung der Vorschriften des SpruchG mit der Möglichkeit des Angriffs mittels  Bewertungsrügen ausgeschlossen.

Im Anschluss an die eben genannte Entscheidung des BGH wurden diese Grundsätze weithin anerkannt. Die Argumentation, dass ein Delisting den Schutzbereich des Art. 14 GG berührt und mithin die HV-Kompetenz eine solche Entscheidung zu tragen habe, wurde jedoch in einem Urteil des BVerfG vom 11.07.2012 wieder eröffnet.

Das BVerfG musste sich in seiner Entscheidung mit der Verfassungsmäßigkeit der richterlichen Rechtsfortbildung als Gesamtanalogie auseinandersetzen. Mit dem Ergebnis, dass diese im genannten Urteil zulässig war, jedoch den Schutzbereich des Art. 14 GG nicht berühre wurde der zuvor gefällten Entscheidung des BGH das Fundament genommen und erneut für Aufruhr am Kapitalmarkt gesorgt (Artikel zu Eigentumsgrundrecht beim Delisting hier).

Laut BVerfG gehört die „rechtliche Verkehrsfähigkeit“ der Aktie zwar zum grundrechtlich geschützten Bestand des Eigentums, nicht aber die „faktisch gesteigerte Verkehrsfähigkeit“. Die Börsennotierung stelle somit nur eine „schlichte Ertrags- und Handelschance“ und einen „wertbildenden Faktor“ des Anteilseigentums dar. Dieser wiederum falle nicht unter den Grundrechtsschutz aus Art. 14 GG. Mithin, so das BVerfG, erweist sich der Widerruf der Börsenzulassung „als ein mit dem Aktieneigentum miterworbenes Risiko“.

Diese Entscheidung entzog dem Macroton-Urteil des BGH die Entscheidungsgrundlage (Artikel zur Aufgabe der Macroton-Rechtsprechung des BGH hier). Als Folge wurde eine Lossagung von der HV-Kompetenz gefordert.

Diesen Forderungen gab der BGH mit seiner „Frosta“-Entscheidung vom 08.10.2013 vollständig nach. Im Ergebnis begründete er seine Entscheidung damit, dass die rechtlichen Auswirkungen des Delisting die „grundlegende Organisationsstruktur“, die Beteiligungsrechte der Aktionäre und die „Binnenstruktur“ der AG unberührt lassen und daher keine hinreichende Ähnlichkeit mit Strukturmaßnahmen besteht. Mithin wird den in der Macroton-Entscheidung gebildeten Gesamtanalogien zugunsten einer einfach-gesetzlichen Analogie der Boden entzogen: „Da keine Gesamtanalogie zu diesen Vorschriften zu bilden ist und der Rückzug von der Börse auch nicht unter den Fällen genannt ist, in denen nach § 119 Abs. 1 AktG die Hauptversammlung beschließt, besteht auch keine aktienrechtliche Pflicht, einen Hauptversammlungsbeschluss herbeizuführen.“

Die „Frosta“-Entscheidung impliziert somit, dass das Delisting an keine gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen gebunden ist. Insbesondere bedarf es weder eines Beschlusses durch die Hauptversammlung noch eines Pflichtangebots der Gesellschaft. Den infolgedessen stark kritisierten Mangel des Anlegerschutzes wies der BGH mit Verweis auf die Regelung gem. § 39 II BörsG zurück, wonach der Widerruf der Börsenzulassung dem Anlegerschutz nicht widersprechen darf.

Unstrittig ist somit eine starke Schwächung von Minderheitsaktionären einer AG. Die aufgerissene „Schutzlücke im Anlegerrecht“ zu schließen, war explizites Ziel der Delisting-Neuregelung.

Neuregelungen im Überblick

Verortet wird der Schutz der Minderheitsaktionäre nach dem Willen des Gesetzgebers nunmehr ausschließlich im Börsengesetz. Nach § 39 II 3 Nr. 1 BörsG ist ein vollständiger Widerruf der Börsenzulassung auf Antrag des Emittenten nunmehr nur noch zulässig, wenn „bei Antragstellung unter Hinweis auf den Antrag“ ein Erwerbsangebot im Hinblick auf alle bislang börsennotierten Aktien veröffentlicht wurde. In den neu angefügten Absätzen 3 bis 6 werden zusätzliche Anordnungen getroffen. So wird in § 39 III 1 BörsG bestimmt, dass das Erwerbsangebot „nicht von Bedingungen abhängig gemacht werden darf“. Weiterhin wird § 31 WpÜG für entsprechend anwendbar erklärt und zwar mit der Maßgabe, „dass die Gegenleistung in einer Geldleistung in Euro bestehen und mindestens dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs […] während der letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung“ nach § 10 I 1 oder § 35 I 1 WpÜG entsprechen muss, § 39 III 2 BörsG.

Bei Verstößen gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht des § 15 WpHG oder bei Verstößen gegen das Marktmanipulationsverbot des § 20 a WpHG ist zusätzlich der Unterschiedsbetrag „zwischen der im Angebot genannten Gegenleistung“ und dem „anhand einer Bewertung […] ermittelten Wert des Unternehmens“ zu leisten, es sei denn, dass die Verstöße gegen §§ 15, 20 a WpHG „nur unwesentliche Auswirkungen auf den nach § 39 III 2 BörsG errechneten Durchschnittskurs hatten“,    § 39 III 3 BörsG.

Für den Fall, dass für die Aktien während der letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung der Ankündigung des Angebots an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt worden waren und zudem mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als 5 % voneinander abweichen, sieht § 39 III 4 BörsG ebenfalls eine Gegenleistung vor, die dem anhand einer Bewertung ermittelten Wert des Unternehmens entspricht.

Nach § 39 IV BörsG gilt die Regelung entsprechend auch für Emittenten mit Sitz im Ausland. § 39 V BörsG verpflichtet die Börsengeschäftsführung, einen Widerruf der Börsenzulassung unverzüglich im Internet zu veröffentlichen, wobei der Zeitraum zwischen der Veröffentlichung und dem Wirksamwerden des Widerrufs zwei Jahre nicht überschreiten darf. Nach § 39 IV BörsG bleibt die Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Börsenzulassung im Hinblick auf die Anforderungen des § 39 III BörsG unberührt.

Der Anwendungsbereich des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) wird um die Ansprüche nach § 39 III 3 und 4 BörsG erweitert. Ergänzt wurde ebenfalls die WpÜG-AngVO im Hinblick auf das Erwerbsangebot nach § 39 II 3 BörsG, das einen ausdrücklichen Hinweis auf mögliche Einschränkungen der Handelbarkeit der Aktien als Folge des Widerrufs und die damit einhergehende Möglichkeit von Kursverlusten enthalten muss, durch Ergänzung einer neuen Nr. 7 a in § 2 WpÜG-AngVO.

Weiterhin bestimmt die Übergangsregelung in § 52 IX BörsG, dass auf Delisting-Anträge, die nach dem 7.9.2015 gestellt wurden und zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung noch nicht bestands- oder rechtskräftig entschieden waren, die neuen Delisting-Schutzvorschriften anzuwenden sind.

Ziel des Gesetzgebers war es angesichts stark angestiegener Börsenrückzüge sowie erheblicher Kursverluste in der Zeit zwischen der Ankündigung und dem Wirksamwerden des Delistings eine gesetzliche Verbesserung des Anlegerschutzes und damit im Ergebnis eine Korrektur der durch die Frosta-Rechtsprechung bisherigen Regelungen. Explizit mit einbezogen in die Neuregelung ist auch – insoweit in Übereinstimmung mit Macroton, aber in Abweichung zur späteren Entwicklung – der Fall des Downlistings in den qualifizierten Freiverkehr.

Darüber hinaus haben die Koalitionsfraktionen die Bundesregierung gebeten, die praktischen Erfahrungen mit den neuen Vorschriften zum Anlegerschutz beim Delisting bis zum Ende des Jahres 2017 an den Finanzausschuss mitzuteilen.

Fazit

Der Aktionärsschutz im Falle eines Delistings/Downlistings wurde wieder aktiviert. Es konnte zwar der breitflächige Schutz der Macroton-Zeit nicht wiederhergestellt werden und er lässt sich auch nicht durch eine Satzungsregelung rekonstruieren, dennoch ist die nahezu zweijährige Phase eines abfindungsfreien Delistings nunmehr vorbei.

Die Welle der seit Frosta erfolgten Delistings und Downlistings sollte damit zukünftig wohl wieder abnehmen, denn zahlreiche für ein Delisting geeignete Gesellschaften haben das geöffnete Zeitfenster genutzt und diesen Weg bereits in den knapp letzten zwei Jahren beschritten.

Es wurde zwar keine generelle Abfindung zum echten Unternehmenswert angeordnet, allerdings hat sich der Gesetzgeber auch nicht schematisch für den übernahmerechtlichen Börsendurchschnittskurs entschieden, sondern hat zumindest in den Fällen, in denen dem Börsenkurs mangels Informationseffizienz substanziell keine Richtigkeitsgewähr zu Grunde liegt, die Abfindung zum sachverständig zu ermittelnden echten Unternehmenswert vorgesehen. Dies gilt nicht nur, wie im Übernahmerecht, bei eingeschränktem Börsenhandel, sondern zudem auch bei Verstößen gegen die Ad-hoc-Publizität und gegen das Verbot der Marktmanipulation. Zudem wurde der Referenzzeitraum auf sechs Monate verlängert. Dass der Rechtsschutz in Fällen unzureichender Abfindungen in den Händen der ordentlichen Gerichte liegt und nicht, wie in der Vergangenheit oft erfolglos, vor den Verwaltungsgerichten erstritten werden muss, ist ebenfalls zu begrüßen, wenngleich sich auch die als Modell bewährten Spruchverfahren als attraktive Alternative angeboten hätten.