Berühmte Fälle von Whistleblowern wie Edward Snowden oder Julian Assange machen Schlagzeilen. Whistleblowing wird jedoch auch zum arbeitsrechtlichen Problem; Geheimnisverrat beschäftigt die Gerichte.

Rechtliche Ausgangslage

Der Tatbestand des Whistleblowings kann eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers darstellen. Diese ergibt sich als eine Nebenpflicht des Arbeitsvertrages aus § 241 II BGB. Demnach hat der Mitarbeiter über Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse des Arbeitgebers Stillschweigen zu bewahren. Generell unterliegen betriebliche Angelegenheiten, an deren Geheimhaltung der Arbeitgeber ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse hat, der Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers und dürfen nicht nach außen getragen werden. Bei einem Geheimnisverrat ist seitens des Arbeitnehmers mit entsprechenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen wie einer Abmahnung, Kündigung und Schadensersatz zu rechnen. Problematisch ist dies im Hinblick auf Gesetzesverstöße des Arbeitsgebers beispielsweise bei Steuerhinterziehung oder Verletzung von Umweltrechtsnormen. Hier stellt sich die Frage, ob diese auch der Verschwiegenheitspflicht unterfallen. Insoweit besteht eine Grundrechtskollision zwischen dem durch die Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG geschützten berechtigten Interesse der Arbeitgebers an der Geheimhaltung und dem Anzeigerecht des Arbeitnehmers aus Art. 2 I GG i.V.m. Art. 20 II GG.

Rechtsprechung des BAG

Bereits 1959 hatte das BAG über einen Fall des Geheimnisverrats eines Arbeitnehmers zu entscheiden. Damals entschied das Gericht noch zu Ungunsten des Arbeitnehmers. Es war der Auffassung, dass eine Anzeige eines Mitarbeiters gegen seinen gesetzeswidrig handelnden Arbeitgeber einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen könne (BAG Urteil v. 05.02.1959 2 AZR 90/56). Damit wurde die Anzeige gegen den Arbeitgeber als Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht qualifiziert.

Fraglich ist jedoch, welche Geheimnisse des Arbeitgebers schutzwürdig sein können und ob bei gesetzeswidrigem Handeln des Arbeitgebers überhaupt ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse an Geheimhaltung besteht. Nach überwiegender Auffassung ist dies zu verneinen. Ein bloßes wirtschaftliches Interesse des Arbeitgebers reicht nicht aus. Damit sind illegale Geheimnisse generell nicht schutzwürdig. Dies bestätigt auch eine wegweisende Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2001 (BVerfG 2.7.2001 1 BvR 2049/00). Kernpunkt der Entscheidung war die Feststellung des Gerichts, dass die Erfüllung staatsbürgerlicher Rechte des Arbeitnehmers nicht zu zivilrechtlichen Nachteilen desselben führen dürfe, was auch für freiwillige Anzeigen des Arbeitnehmers gelte. Damit darf einem Mitarbeiter nicht gekündigt werden, wenn er lediglich seiner Anzeigepflicht, beispielsweise bei Mord oder anderen schweren Verbrechen, nachkommt oder er diese freiwillig anzeigt.

Doch darf der Arbeitnehmer damit jedes kleinste Fehlverhalten des Arbeitgebers sofort zur Anzeige bringen oder stellt eine solche nur das äußerste Mittel dar und muss der Arbeitnehmer zunächst versuchen die Angelegenheit innerhalb des Betriebes zu klären?
Hierzu entschied das BAG in seinem Whistleblowing Urteil (BAG Urteil v. 3.7.2003 2 AZR 235/02), dass kein genereller Vorrang der innerbetrieblichen Abrede bestehe. Jedoch trifft den Arbeitnehmer insoweit die Pflicht die berechtigten Interessen des Arbeitgebers zu wahren, wenn bei objektiver Betrachtung erwartet werden kann, dass der Arbeitgeber einer Beschwerde des Arbeitnehmers nachgeht. Grundsätzlich muss der Beschäftigte seinen Arbeitgeber also zunächst auf bisher unbekanntes oder nicht grob fahrlässig unbekannt gebliebenes gesetzwidriges Verhalten hinweisen. Das Anzeigerecht ist somit subsidiär.
In bestimmten Fällen kann die interne Abhilfe dem Arbeitnehmer jedoch nicht zugemutet werden. Unzumutbar ist die interne Abhilfe vor allem, wenn bereits ein erfolgloser Versuch innerbetrieblicher Abhilfe stattfand oder Abhilfe berechtigterweise nicht zu erwarten ist. Weiterhin wenn die Gesetzeswidrigkeit dem Arbeitgeber bekannt ist und gebilligt wird oder die Beseitigung objektiv unmöglich ist oder vom Arbeitgeber nicht erwartet werden kann. Auch bei Straftaten gegen den Mitarbeiter selbst oder wenn der Arbeitnehmer sich durch eine unterlassene Anzeige selbst gem. § 138 StGB strafbar macht ist Unzumutbarkeit innerbetrieblicher Abhilfe gegeben.
Zudem steht das Anzeigerecht unter Missbrauchsvorbehalt. Dies bedeutet, dass eine Anzeige des Arbeitnehmers, die aus erheblich zu missbilligenden und verwerflichen Motiven erfolgt, missbräuchlich ist. Eine Anzeige muss also verhältnismäßig sein. Sie sollte quasi als ultima ratio dienen. Ansonsten setzt sich der Arbeitnehmer möglichen Schadensersatzforderungen des Arbeitgebers aus, falls die Vorwürfe nicht bewiesen werden. Dies kann der Arbeitnehmer einem Urteil des LAG Hamm zufolge (LAG HM 21.7.2011 – 11 Sa 2248/10) aber vermeiden, sofern die Anzeige nicht wider besseren Wissens oder leichtfertig erfolgte.

In einer Entscheidung aus dem Jahr 2006 (BAG Urteil v. 7.12.2006 2 AZR 400/05) hat das BAG seine Whistleblowing Rechtsprechung bestätigt. Konkret ging es um eine Strafanzeige eines Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber. Das Gericht entschied, dass ohne den Versuch einer innerbetrieblichen Klärung eine kündigungsrelevante Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten bestehen könne. Allerdings sei die innerbetriebliche Klärung nicht nötig, falls es sich um schwerwiegende Straftaten oder vom Arbeitgeber selbst begangene Straftaten handelt.

Urteil des EGMR

Auch der EGMR hat sich bereits mit der Problematik des Whistleblowing befasst. In der Heinisch-Entscheidung (Urteil v. 21.7.2011 − 28274/08) hielt dieser fest, dass bei der Abwägung der Interessen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber auch öffentliche Interessen zu berücksichtigen seien. Geklagt hatte eine Pflegekraft, die trotz mehrmaligem Hinweis auf Missstände in ihrem Pflegedienst und unter Hinzuziehung ihres Anwalts vergeblich versucht hatte ihren Arbeitgeber auf die Missstände aufmerksam zu machen. Anschließend wandte sie sich an die Öffentlichkeit, was eine fristlose Kündigung zur Folge hatte. Die Arbeitsgerichte bestätigten die Kündigung.
Der EGMR gab der Beschwerdeführerin jedoch mit der Begründung Recht, die Kündigung verletze ihr Recht auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 10 EMRK. Das Gericht hielt jedoch fest, dass solch vertrauliche Informationen wegen der Loyalitäts- und Vertraulichkeitspflicht des Arbeitnehmers zunächst dem Vorgesetzten mitgeteilt werden müssten. Nur wenn dies nicht möglich sei, könne sich der Arbeitnehmer als letztes Mittel an die Öffentlichkeit wenden. Besteht an der Information ein öffentliches Interesse und ist diese fundiert, so sei dies bei der Interessenabwägung mit zu berücksichtigen. Grundsätzlich müsse der Informant aber prüfen, ob die Informationen genau und zuverlässig seien. Auch die Gründe der Information, der mögliche Schaden für den Arbeitgeber und die Art der Sanktion müssten berücksichtigt werden. Sofern vernünftigerweise nicht erwartet werden könne, dass innerbetriebliche Beschwerden zu einer Untersuchung und Abhilfe führten, könne laut EGMR eine Strafanzeige wegen Missständen am Arbeitsplatz gerechtfertigt sein. Zudem dürfe die Anzeige nicht wissentlich oder leichtfertig falsch sein.

Fazit

Durch Whistleblowing verletzt der Arbeitnehmer also zwar grundsätzlich seine arbeitsvertragliche Verschwiegenheitspflicht. Eine Anzeige kann jedoch unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein. Dies ist der Fall, wenn der Mitarbeiter in Erfüllung seiner staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten handelt oder wenn innerbetriebliche Abhilfe unzumutbar ist. Zudem darf die Anzeige nicht missbräuchlich erfolgen. Sie sollte mit Blick auf die drohenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen möglichst das äußerste Mittel des Arbeitnehmers bleiben.