Mehr als die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland hat bereits Erfahrungen mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz gemacht.
Dieses Ergebnis lässt sich einer repräsentativen Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die zum Start des Themenjahres „Gleiches Recht. Jedes Geschlecht“ veröffentlicht wurde, entnehmen. Doch wann kann man – aus juristischer Sicht – überhaupt von sexueller Belästigung sprechen? Und berechtigt diese automatisch zur Kündigung?


Nach der Definition des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in § 3 Abs. 4 umfasst sexuelle Belästigung jedes unerwünschte sexuell bestimmte Verhalten, welches bewirkt, dass die Würde der betroffenen Person verletzt wird. Dazu gehören auch sexuelle Handlungen und Aufforderungen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts, sowie das unerwünschte Zeigen und sichtbare Anbringen von pornografischen Darstellungen. Für das „Bewirken“ genügt bereits die Belästigungshandlung an sich. Auf vorsätzliches Verhalten kommt es nicht an. Maßgeblich ist hier allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweisen objektiv erkennbar war.
Die Definition des Gesetzes und das eigene Begriffsverständnis der Befragten gehen laut Umfrage weit auseinander. Während 49 Prozent der Frauen und 56 Prozent der Männer angaben, bereits eine der im Gesetz genannten Belästigungssituationen erlebt zu haben, fühlten sich direkt gefragt nur 17 Prozent der Frauen und gerade einmal sieben Prozent aller befragten Männer hingegen schon einmal tatsächlich sexuell belästigt am Arbeitsplatz. 
Dass der Arbeitgeber nach § 12 Abs. 1 AGG verpflichtet ist, geeignete und erforderliche Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung seiner Arbeitnehmer zu ergreifen, ist gerade einmal jedem fünften Beschäftigten bekannt.
Welche Maßnahmen der Arbeitgeber jedoch für erforderlich und geeignet zur Vermeidung einer wiederholten Belästigung halten darf, machen die Gerichte von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig.
 In Betracht kommen nach dem Gesetz neben der Abmahnung eine Umsetzung, eine Versetzung und in gravierenden Fällen auch eine Kündigung.

Befasst man sich intensiver mit Entscheidungen zu dieser Thematik, so mag sich dem ein oder anderen eine Frage aufdrängen – wird sexuelle Belästigung in Deutschland bagatellisiert?
In einem aktuellen Urteil des BAG vom 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 geht es um einen Kfz- Mechaniker, der einer externen Reinigungskraft, Frau M sagte, dass sie schöne Brüste habe und sie daraufhin auch ungewollt dort berührte. Der Arbeitgeber kündigte den Mechaniker daraufhin fristlos. Das Bundesarbeitsgericht erklärte diese Kündigung für unzulässig.

Sexuelle Belästigung stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Die außerordentliche Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist ist nur beim Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich. Die sexuelle Belästigung ist an sich nach Auffassung der Gerichte als solcher geeignet- doch wieso hat das Bundesarbeitsgericht die Kündigung dann für unverhältnismäßig erklärt?

Eine außerordentliche fristlose Kündigung nach § 626 BGB hat hohe rechtliche Hürden, weshalb zunächst immer geprüft werden muss, ob auch mildere Mittel wie beispielsweise eine Abmahnung geeignet sind, künftige Störungen des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden. Das Bundesarbeitsgericht argumentiert in seinen Leitsätzen zum Urteil, dass die Vertragspflichtverletzung- hier die verbale und körperliche Belästigung an Frau M- auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers beruht. Somit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Kfz-Mechaniker sich künftig aufgrund einer Abmahnung vertragsgerecht verhalten wird. Weiterhin stellten die Richter fest, dass es sich nur um eine einmalige Entgleisung handle, bei der der Kfz-Mechaniker keinen Belästigungswillen hatte, da es sich um einen „Blackout“ gehandelt habe. Deshalb fehle es für eine außerordentliche Kündigung an einem wichtigen Grund i.S.d. § 626 BGB. Der Arbeitgeber hätte zuvor abmahnen müssen.

In Anbetracht, dass Täter häufig einwenden, es habe sich nur um einen einmaligen Vorfall gehandelt, dürfte diese Entscheidung auch in Zukunft noch von Bedeutung sein. Da die Richter aber weiterhin auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abstellen, besteht für die Arbeitsgerichte, trotz dieser milden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, die Möglichkeit sexuelle Belästigung schärfer zu sanktionieren.