Mit Beschluss vom 21.10.2014 hat der Bundesgerichtshof darüber entschieden, ob die Telekom Deutschland AG im Rahmen ihres dritten Börsengangs im Jahre 2000 fehlerhafte Angaben im Verkaufsprospekt veröffentlichte. Da dies nach Ansicht des BGH zu bejahen ist, verwiesen sie das Verfahren an die Vorinstanz zurück, damit diese über die Schadensersatzansprüche der Kläger entscheiden kann. Ein Anspruch, der rund 17.000 Anleger beschäftigt und somit den größten Musterprozess in der Geschichte der Bundesrepublik darstellt. Auch verdeutlicht die Entscheidung des BGH die Darstellungs- und Informationspflichten gegenüber potentiellen Anlegern.

Der „dritte Börsengang“ der Deutschen Telekom

Die Telekom Deutschland AG ist mit dem Inkrafttreten der zweiten Postreform im Jahre 1994 aus der früheren Deutschen Post Telekom entstanden. Die Aktien des Bundes als Alleinaktionär (später auch durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau) sind in drei Börsengängen an die Öffentlichkeit gelangt. Im Jahre 1996 fand der erste Börsengang mit der berüchtigten T-Aktie und den unvergesslichen Werbevideos des damaligen Tatortskommissar Manfred Krug statt. Der Stückpreis betrug damals noch 28,50 DM (14,57 €). Die Aktie war äußerst erfolgreich und so kamen die zweite (1999) und schließlich eine dritte (2000) Tranche auf den Markt. Diese letzte, der sogenannte dritte Börsengang, gründete auf der Ausgabe von 200 Millionen Aktien durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und wurde zum Stückpreis von 63,50 € ausgegeben. Die Aktie erlebte in 2001 einen richtigen „meltdown“ und viele Anleger machten Verluste.

Warum? Die Telekom kaufte 2001 die US-Unternehmen Voicestream und Powertel für 39,4 Milliarden Euro, was öffentlich kritisiert wurde und die Schulden der Telekom weiter steigen ließ. Auch wurden Immobilienwerte der Telekom um 2,2 Milliarden Euro in ihrem Wert berichtigt. Die Telekom hatte den Kauf von Voicestream nicht bekanntgegeben und gab im Verkaufsprospekt an, dass sie ihre Anteile an das US-Unternehmen Sprint verkauft hätte, obwohl sie diese in Wirklichkeit an eine Konzerntochter übertragen hat. Diese Gründe führten zu einer Klagewelle enttäuschter Anleger. Mit den Sammelklägern in den USA einigte sich die Telekom und zahlte 120 Millionen Dollar. Für diesen Fall hat der BGH am 31. Mai 2011 im Telekom III Urteil entschieden, dass die KfW die Vergleichs- und Rechtsverteidigungskosten zu tragen hat. In Deutschland gingen hunderte Klagen beim Landgericht Frankfurt ein: Der deutsche Gesetzgeber war auf so etwas nicht vorbereitet, eine Sammelklage wie in den USA kannte er nicht. So trat am 1. November 2005 das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) in Kraft, klarer Anlass war die Klagewelle gegen die Prospektfehler der  Telekom Deutschland AG im sogenannten dritten Börsengang.

Mit diesem letzten Börsengang hat sich der XI. Senat des BGH, zuständig für die Bereiche Bank-, Börsen- und Wertpapierrecht, Darlehensrecht sowie Bürgschaftsrecht, beschäftigt und seinen Beschluss vom 21. Oktober 2014 am 11. Dezember 2014, vielleicht als Weihnachtsgeschenk, veröffentlicht.

Das Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (KapMuG)

Im Vergleich zu den USA sind Sammelklagen in Deutschland ein seltenes Phänomen. Ziel des KapMuG ist u.a. die Justiz vor Klagewellen zu entlasten und die Verfahren zu beschleunigen. Die Telekom war nicht nur der Anlass zur Einführung des KapMuG, sondern das erste Verfahren überhaupt nach dem KapMuG. Ein Musterkläger hat dann die Möglichkeit eine strittige rechtliche Frage durch ein Oberlandesgericht klären zu lassen. Die Kläger wollten vor dem OLG Frankfurt am Main mit dieser Klage klären, ob der Verkaufsprospekt der Telekom Deutschland AG Fehler beinhaltet. Wenn das OLG dies bejahen würde, könnten sich Anleger, die bereits vorher eine Klage eingereicht haben, auf diesen Musterentscheid berufen, was bei fast 17.000 Anleger nicht unerheblich wäre. Somit stellt das Verfahren vor dem OLG Frankfurt nicht nur das erste Verfahren seiner Art in Deutschland überhaupt dar, sondern ist auch wegen der zahlreichen Beteiligten ein Benchmark für die Effektivität des KapMuG, welches wohlgemerkt nur im Kapitalmarktrecht zum Tragen kommt.

Die Entscheidung des BGH

Im Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main haben die Kläger eine Vielzahl von Prospektfehlern geltend gemacht, welche die Telekom Deutschland AG als Beklagte bezweifelte. Ein Prospektfehler wurde durch das OLG jedoch nicht festgestellt. Feststellungen hat es teilweise zur Prospektverantwortlichkeit der Beklagten und zu Verjährungsfragen getroffen.

Auf die Rechtsbeschwerden des Klägers hin hat der Bundesgerichtshof den Musterentscheid in einem zentralen Punkt aufgehoben. Anders als das OLG hat er hinsichtlich der konzerninternen Übertragung der ursprünglich von der Telekom Deutschland AG gehaltenen Aktien des US-amerikanischen Telekommunikationsunternehmens Sprint Corporation einen Prospektfehler bejaht. Fehlerhaft durch das OLG sei jedoch ein Prospektfehler verneint worden. Der Prospekt führte auf, dass die Telekom Deutschland AG im Jahr 1999 aufgrund des konzerninternen Verkaufs ihrer Anteile an Sprint einen Buchgewinn von 8,2 Milliarden Euro realisiert habe. Dadurch sei der Prospekt objektiv falsch. Selbst für einen bilanzkundigen Anleger sei bei der Lektüre des gesamten Prospekts nicht ersichtlich gewesen, dass die Beklagte die Sprint-Aktien nicht verkauft, sondern im Wege der Sacheinlage auf ihre hundertprozentige Konzerntochter, die NAB Nordamerika Beteiligungs Holding GmbH (NAB), übertragen hat, was eine sogenannte Umhängung darstellt.

Der Prospekt zeige damit nicht auf, dass die Beklagte trotz Übertragung der Aktien innerhalb des Konzerns weiterhin das volle Risiko eines Kursverlustes der Sprint-Aktien mit allen dividendenrelevanten Abschreibungsrisiken trug. Im Prospekt hätte laut BGH dargelegt werden müssen, dass der Beteiligungsbuchwert der Telekom an der NAB in Folge der Umhängung um 9,8 Milliarden Euro gestiegen war. Nur so wäre erkennbar gewesen, dass der Beteiligungsbuchwert im Fall eines Kursverlustes der Sprint-Aktien in derselben Höhe sinken würde und deshalb eine Sonderabschreibung in Höhe des kompletten Kursverlusts vorgenommen werden müsste, was wiederum unmittelbaren Einfluss auf den Bilanzgewinn der Musterbeklagten in künftigen Geschäftsjahren und damit die Dividendenerwartung der Anleger haben würde. Das alles ergebe sich aus dem Prospekt aber nicht. An keiner Stelle würden die NAB, ihre Rechtsform, ihre Geschäftstätigkeit als Holding, die Ende des Geschäftsjahres 1999 das gesamte Aktienpaket an Sprint hielt, und die wesentliche Beteiligung der Telekom Deutschland AG an der NAB erwähnt. Im Gegenteil werde im Konzernanhang des Prospekts der Kapitalanteil der Beklagten an Sprint deutlich geringer angegeben. Daraus habe selbst ein bilanzkundiger Anleger die tatsächlichen Beteiligungsverhältnisse im Jahr 1999 und die sich daraus ergebenden Risiken nicht ableiten können.

Damit stehe das Vorliegen eines Prospektfehlers für sämtliche Ausgangsverfahren bindend fest, so der BGH weiter. Allerdings sei mit Abschluss des Rechtsbeschwerdeverfahrens noch nicht abschließend entschieden, ob die Telekom Deutschland AG aufgrund des festgestellten Prospektfehlers dem Grunde nach tatsächlich zur Zahlung von Schadenersatz verpflichtet ist. Zu den weiteren haftungsbegründenden Voraussetzungen, wie zur Kausalität und zum Verschulden habe das OLG – von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig – bislang keine Feststellungen getroffen. Dies werde es nach Zurückverweisung des Musterverfahrens nachzuholen haben.

Die Bedeutung des Beschlusses für die rund 17.000 Kläger

Die Entscheidung des BGH begründet sich auf der fehlerhaften Bezeichnung der Umhängung als Verkauf. Problematisch ist jedoch eher die nicht erfolgte Darstellung der bilanziellen Auswirkungen für die Telekom Deutschland AG und die Verschleierung der Beteiligungsverhältnisse an der NAB im Prospekt. Die KfW könnte hierfür in Anspruch genommen werden, sofern die Deutsche Telekom etwaige Schadensersatzansprüche (§§ 57, 62 AktG) gegen die KfW wegen unterbliebener Freistellung von der Prospekthaftung im Innenverhältnis geltend macht, und diese noch nicht verjährt sind. Unter Berufung des Beschlusses bestände dieses Risiko nicht, wenn die Erhöhung des Buchwertes im Prospekt dargestellt worden wäre.

Ein Praxishinweis: zukünftig sollten Umhängungen im Prospekt exakt dargestellt und nicht als konzerninterner Verkauf deklariert werden. Dazu muss auch erläutert werden, dass eine später erforderliche Sonderabschreibung des durch die Umhängung erhöhten Beteiligungsbuchwerts an der Konzerntochter zu einem Verlust in künftigen Geschäftsjahren führen kann, der die Dividendenerwartung der Aktionäre beeinträchtigt. Weiterhin hemmt die auf einen fehlerhaften Prospekt gestützte Schadensersatzklage die Verjährung auch für solche Prospektfehler, die erst nach Klageerhebung gerügt werden.

Das OLG Frankfurt hat in seinem Beschluss keinerlei Prospektfehler erkannt und daraus folgende Schadensersatzansprüche verneint. Karlsruhe entschied jedoch anders als Frankfurt, sodass die entscheidenden Fragen nach Kausalität und Verschulden durch die Erstinstanz erneut geprüft werden müssen, bevor die Telekom den Forderungen der Kläger in Höhe von 80 Millionen Euro möglicherweise nachkommen muss.