Seit Juli 2013 finden zwischen der Europäischen Union und den USA die Verhandlungen über die Inhalte des transatlantischen Freihandels- und Investitionsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) statt. Um das Ziel zu erreichen, den Handel zwischen der USA und der EU zu fördern, ist unter anderem ein bilaterales Schiedsverfahren vorgesehen. Letzteres soll im folgenden Beitrag erörtert werden. Hierzu werden die Grundzüge sowie die Vor- und Nachteile von Schiedsverfahren dargestellt und am Beispiel der Vattenfall-Klagen reflektiert.
Grundzüge des internationalen Investitionsschutzrechts
Die öffentliche Debatte um die TTIP-Verhandlungen problematisiert insbesondere den angestrebten Investorenschutz im Rahmen eines privaten Streitschlichtungsverfahren, dem ISDS (Investor-state-dispute-settlement). Hierbei handelt es sich um ein Streitbeilegungsverfahren, das dem privaten Investor unmittelbare Klagerechte gegen den Staat einräumt, sobald ein Wertverlust seiner Investition infolge staatlichen Handelns eintritt. Ein investierendes Unternehmen aus dem Ausland darf darauf vertrauen, dass zum Investitionszeitpunkt festgesetzte Rahmenbedingungen und Normen nicht im Nachhinein durch staatliches Handeln zu seinen Ungunsten abgeändert werden. Wird von den Standards abgewichen und das investierende Unternehmen erleidet hierdurch einen Schaden, kann es zu den viel umstrittenen Investor-Staats-Klagen kommen. Diese Klagen sind grundsätzlich auf Schadensersatz gerichtet und werden sodann vor internationalen Schiedsgerichten entschieden.
Ermächtigungsgrundlagen für die Schiedsgerichtsbarkeit können bilaterale Investitionsschutz- oder Handelsabkommen sein. Weltweit gibt es ca. 3.100 solcher Abkommen. Die BRD hat bereits 129 bilaterale Investitionsförderungs- und schutzverträge ratifiziert, so viele wie kein anderer Staat. Die EU hingegen ist lediglich durch den Energiecharta-Vertrag an ein Investitionsschutzabkommen gebunden. Die Ermächtigung der EU Investitionsabkommen abzuschließen ergibt sich aus Art. 207 Abs. 1 AUEV. Die Berechtigung der Kommission Verhandlungen zu führen folgt aus Art. 207 Abs. 3 S. 2 AUEV.
Vorteile
Die Vorteile von Schiedsverfahren liegen in der Flexibilität des Verfahrens und den schnellen Entscheidungen, welche aus den fehlenden Instanzenzügen resultieren. Ein vereinheitlichtes Schiedssystem trägt ferner zur Rechtssicherheit und Planbarkeit bei. Investoren müssen sich nicht in jedem Land neu auf die jeweilige Rechtsordnung einstellen. Im Ergebnis sind die Rechtsanwalts- und Verfahrenskosten grundsätzlich geringer. Der größte Nutzen für die Unternehmen besteht in dem vertraulichen, nicht öffentlichen Verfahren, auf Grund dessen die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gewahrt werden. Dies gilt gleichermaßen für Staatsgeheimnisse. Darüber hinaus ermöglicht das Schiedsverfahren die freie Wahl von Schiedsrichtern mit besonderer Sachkunde, sodass von sachgerechten Entscheidungen auszugehen ist. Jede Partei wählt in der Regel einen Schiedsrichter und ein Dritter wird von einer zuvor festgelegten Institution gestellt. Folglich kann ein Gericht erschaffen werden, welches institutionell mit keiner der beiden Parteien stärker verbunden ist.
Im Rahmen der TTIP-Verhandlungen wird auf ISDS zurückgegriffen, um Investitionstätigkeiten in den Ländern attraktiver zu gestalten, deren Rechtsysteme als korrupt und zeitintensiv gelten. Allerdings lässt sich hiergegen argumentieren, dass sowohl die USA als auch die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ausgereifte und korruptionsfreie Rechtssysteme haben, sodass man die Ansicht vertreten kann, ISDS seien nicht notwendig.
Nachteile
Auf der anderen Seite könnte die Rechtsstaatlichkeit durch die ISDS gefährdet sein. So spricht die neue Richtervereinigung (NRV) unter anderem von der Aushöhlung grundlegender Prinzipien. Besagte Grundsätze umfassen die richterliche Unabhängigkeit, die Öffentlichkeit von Verfahren und die Überprüfbarkeit von Entscheidungen.
Eine Gefährdung der Unabhängigkeit internationaler Schiedsgerichte könnte in der Person der Schiedsrichter gesehen werden. Als Schiedsrichter werden regelmäßig wirtschaftsnahe Rechtsanwälte von den Parteien gewählt. Problematisch ist hierbei, dass eben diese Richter oft Großkanzleien angehören, welche wiederum mit Klagen gegen den Staat werben.
Auch ist derzeit die Öffentlichkeit der Verhandlungen in Schiedsverfahren eher eine Ausnahme. Es werden auf der Homepage des ICSID (International Center for the Settlement of Investment Disputes) lediglich die Beteiligten und deren Prozessbevollmächtigte bekannt gegeben. Ebenso werden wichtige Verfahrensschritte, wie die Eröffnung, der Erlass von Zwischenentscheidungen und der Abschluss des Verfahrens mit auszugsweiser rechtlicher Begründung, veröffentlicht. Wichtige Dokumente gelangen nur dann an die Öffentlichkeit, wenn beide Parteien ihr Einverständnis dazu geben. Ein Beiwohnen Dritte zu den Verhandlungen erfordert darüber hinaus, dass der Generalsekretär des ICSID hierüber informiert wird. Soll der gesamte Inhalt des Schiedsspruchs veröffentlicht werden, bedarf es der ausdrücklichen Einwilligung beider Parteien. Fraglich ist, ob die Informationsrechte der Staatsbürger genügend gewahrt werden, da bei der Klage gegen den Gaststaat ein gesteigertes Informationsinteresse der Bevölkerung besteht. Öffentliche Institutionen haben die Aufgabe den Zugang zu diesen Informationen zu gewährleisten, in Deutschland gilt insoweit das Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes. Einschränkungen dieser Rechte bedürfen im Allgemeinen einer besonderen Rechtfertigung. Es bleibt abzuwarten, inwieweit im TTIP dieser Konflikt gelöst wird.
Die Überprüfbarkeit von Entscheidungen in den Schiedsverfahren ist bislang nicht gegeben, da keine Instanzenzüge existieren. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung kann sich somit auch nicht herausbilden. Schiedssprüche entfalten sofortige Wirkung und sind nicht vor nationalen Gerichten anfechtbar. Sie sind in allen Vertragsstaaten des New Yorkers Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländlicher Schiedssprüche direkt vollstreckbar. Im Juli 2014 umfasste dieses Übereinkommen insgesamt 150 Vertragsstaaten. Titel, welche mangels Auslandsvermögen des verklagten Staates nicht vollstreckbar sind, können dennoch als positiv in die Bilanz des Unternehmens eingebracht werden.
Die Klagen eröffnen Unternehmen Droh- und Druckmöglichkeiten und es kann davon ausgegangen werden, dass eine Vielzahl von Unternehmen klagen wird, um sich so zusätzliche Einflussmöglichkeiten auf den Regulierungsprozess in der EU zu sichern. Der Einfluss des Investitionsschutzes auf nationale Regulierungsmechanismen wird in den Vattenfall Prozessen deutlich.
Die Vattenfall-Klagen
Die BRD verglich sich im Jahre 2011 mit dem Schwedischen Energiekonzern Vattenfall, nachdem sie auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1,4 Milliarden Euro vor einem internationalen Schiedsgericht verklagt wurde. In dem Streit ging es um eine Umweltauflage, welche die Verwendung von Elbwasser für eine Kühlanlage des Konzerns einschränkte. Der Vergleich führte zur Lockerung der Umweltauflage, so dass die BRD schließlich keinen Schadensersatz leisten musste, aber dem Energiekonzern die erforderliche Genehmigung zusprach. An diesem Fall kann man gut erkennen, dass bei Investor-Staat-Schiedsverfahren es zu anderen Ergebnissen als bei innerstaatlichen Verfahren kommen kann. Für den Investitionsschutz ist nur entscheidend, dass die Genehmigung in Aussicht gestellt wurde, unabhängig von der Zulässigkeit ebendieser. Wohingegen für die nationalen Gerichte entscheidend ist, ob Genehmigung gegen nationales Umweltrecht verstößt.
In einem aktuellen Verfahren verklagt Vattenfall die BRD erneut auf Schadensersatz (in Höhe von ca. 4,7 Milliarden Euro), diesmal wegen des Atomausstiegs. Die Besonderheit hierbei ist, dass nur Vattenfall die Möglichkeit zur Klage vor dem internationalen Schiedsgericht hat, obwohl alle Energieversorger in Deutschland gleichsam vom Atomausstieg betroffen sind. Der schwedische Konzern war jedoch der einzige ausländische Investor, der somit eine Klage bei ICSID-Schiedsgericht einreichen konnte. Unabhängig davon reichten Vattenfall und andere große Energieversorger, wie E.on und RWE Verfassungsbeschwerde ein, über welche das Bundesverfassungsgericht noch zu entscheiden hat.
Ausblick – neue Anforderungen in TTIP
Seit der Einführung von Investor-Staats-Schiedsverfahren hat sich die Anzahl der Klagen verzehnfacht. Es besteht die Gefahr, dass bereits gesetzte und erweiterte Standards und Normen wegen drohender Investitionsschutzklagen in ihrer Entwicklung gebremst werden. Wie dem Beitrag zu entnehmen ist, gibt es zwar zahlreiche Nachteile bei ISDS, dennoch bleibt abzuwarten, wie TTIP zukünftig ausgearbeitet wird. Am 27.03.2014 veröffentlichte die EU-Kommission ein Konsultationsdokument, welches 12 Fragekomplexe beinhaltet. Grundsätzlich hält die EU-Kommission an den bestehenden Konzepten zur Investor-Staats-Streitbeilegung fest. Dennoch gesteht die EU-Kommission ein, dass das Verfahren hinsichtlich einiger Punkte überarbeitet werden muss. Insbesondere sollen weitergehende Transparenzregeln implementiert werden. So soll künftig die Veröffentlichung wesentlicher Schriftsätze erfolgen und Dritten, welche nicht selbst Partei des Verfahrens sind, die Möglichkeit zur Stellungnahme eröffnet werden, mittels sogenannten Amicus Curiae-Briefen.
Ist TTIP eine Chance oder ein Risiko? Die Verhandlungen über das Freihandels- und Investitionsschutzabkommen zwischen Europa und den USA ist ein sehr aktuelles und spannendes Thema. TTIP strebt an, die bisherigen Handelshemmnisse zu beseitigen. Die Inhalte des Freihandelsabkommens versprechen das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und Kosten für Unternehmen in den USA und Europa zu senken. Kritiker bezweifeln jedoch diese positiven Effekte und warnen vor Risiken.
Zunächst einmal ist der Verhandlungsprozess kritisch zu bewerten. Die EU-Kommission hat zwar den aktuellen Stand bekanntgegeben, jedoch sind die konkreten Bedingungen des Abkommens für Außenstehende intransparent und geheim. Zudem wird das Abkommen überwiegend von Unternehmen und Beratern verhandelt, die die Konzerninteressen vertreten. Fraglich ist welche Interessen hinter TTIP stehen, da mit dem Abkommen erhebliche Auswirkungen verbunden sind.
Das im Rahmen von TTIP vorgesehene Investor-Staat-Schiedsverfahren ist höchst umstritten. Zum Beispiel können Unternehmen klagen, wenn ein Staat neue Umweltauflagen oder ein Abkommen gegen Fracking erlässt. Durch den Einsatz dieses Verfahrens können Unternehmen staatliche Verbote wie Kennzeichnungspflichten umgehen. Dass das Verfahren auch zu vielen Klagen führt, ist sehr wahrscheinlich, da Gewinne von Unternehmen durch Umweltgesetze, der Einführung von Mindestlöhnen, höheren Steuern oder dem Verbot einzelner Produkte geschmälert werden.
Ein ähnlicher Beispielsfall ereignete sich im Rahmen des nordamerikanischen Abkommens NAFTA. Die kanadische Provinz Quebec setzte sich gegen Fracking ein, um die Umwelt zu schützen. Daraufhin verklagte der amerikanische Fracking-Konzern den kanadischen Staat auf 250 Millionen US-Dollar Schadenersatz.
Durch die umstrittenen Klauseln zum Investorenschutz verzögern sich die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die EU-Kommission am Konzept zum Investorenschutz festhält oder ob diese Regelungen noch gekippt werden.
Für mich stellt sich hier zunächst eine grundsätzliche Frage:
Wieso soll Unternehmen im Rahmen von TTIP überhaupt eine weitere Möglichkeit eingeräumt werden, einen Staat vor einem Schiedsgericht verklagen zu können?
Die Nachteile der Schiedsgerichtsbarkeit liegen auf der Hand und bedürfen hier keiner weiteren Erläuterung. Die Zunahme der Klagen gegen Staaten vor Schiedsgerichten verdeutlicht schließlich, dass Unternehmen die bereits bestehenden Klagemöglichkeiten gegen Staaten schon in großem Umfang ausnutzen. Dies veranschaulicht auch der Vattenfall Prozess deutlich.
Fraglich ist, warum die ausländische Person gegenüber der inländischen Person, dem Staatsbürger, bevorteilt werden soll und ersterer weiterer Rechtsschutz gewährt wird. Dieser ist in Staaten wie Deutschland oder den USA hoch entwickelt, sodass es absolut keiner weiteren Instanz bedarf. Die Ausdehnung der Schiedsgerichtsbarkeit im Rahmen von TTIP impliziert somit ein generelles Misstrauen gegen den staatlichen Rechtsschutz. Daraus resultiert, dass Rechtsstaaten wie die Bundesrepublik Deutschland auf eine Ebene mit Staaten gestellt werden, die überhaupt kein funktionierendes Rechtssystem vorweisen können. Das bestehende System wird so untergraben.
Durch die Schiedsgerichtbarkeit und die damit verbundenen, gesteigerten Möglichkeiten der Einflussnahme für Unternehmen auf den Staat macht sich letzterer erpressbar. Dies zeigt insbesondere der Fall Vattenfall. Falls TTIP die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Schiedsgerichten eröffnet, würde dies eine Ungleichbehandlung von ausländischen und inländischen Personen fördern, die Macht internationaler Konzerne steigern und letztlich zur Erpressbarkeit des Staates führen.
Ein sehr interessanter Beitrag, der auf den in der öffentlichen Debatte derzeit populärsten Kritikpunkt an TTIP eingeht.
Die grundlegenden Vor- und Nachteile von Schiedsverfahren werden präzise dargestellt. Hier hätte aber genauer dargestellt werden können, für wen die genannten Vorteile bestehen. So hat zum Beispiel die Bevölkerung eines verklagten Staates wohl kein großes Interesse an einer nicht überprüfbaren Entscheidung. Der fehlende Instanzenzug ist somit vor allem ein Vorteil für die Unternehmen selbst.
Als Vorteil wird weiterhin aufgeführt, dass ein international vereinheitlichtes Schiedssystem für eine gewisse Rechtssicherheit sorgt und somit Investitionen in Staaten mit einem wenig ausgeprägtem Rechtssystem attraktiver macht. Hier wäre interessant zu überprüfen, inwieweit denn tatsächlich im Rahmen von internationalen Abkommen Investitionen in diese Staaten fließen und ob auch aus Sicht dieser Staaten eine höhere Rechtssicherheit durch die Schiedsgerichte gewährleistet wird.
Auch die besondere Sachkundigkeit der Schiedsrichter wird als Vorteil aufgeführt. Hier liegt die Frage auf der Hand, inwieweit diese Schiedsrichter besser in der Lage sein sollen eine sachgerechte Entscheidung zu fällen, als staatliche Richter dies anhand der Gesetze können. Das würde schließlich bedeuten, dass sowohl die Gesetze demokratisch gewählter Parlamente, sowie deren Auslegung durch staatliche Gerichte überwiegend sachfremd ausfallen.
Die Kritik an TTIP, die der Beitrag äußert, wird insgesamt sehr schlüssig begründet. Auch das gewählte Beispiel macht die Probleme, die internationale Schiedsgerichte mit sich bringen können, deutlich. Interessant wäre in diesem Zusammenhang inwieweit es weitere negative Erfahrungen mit Schiedsgerichten der BRD im Rahmen der genannten 129 Handelsabkommen gibt, oder ob die BRD im Gegenzug von den Abkommen profitiert.
Der Beitrag zeigt, dass das TTIP-Abkommen zu Recht in der Öffentlichkeit kritisiert ist. Grundsätzlich begrüße ich jeden Versuch zur Vereinheitlichung, bzw. Vereinfachung von internationalen Vorschriften. Allerdings habe ich Bedenken gegen den erwähnten Investitionsschutz im Rahmen des TTIP-Abkommens.
Es ist richtig, dass ein investierendes Unternehmen aus dem Ausland darauf vertrauen darf, dass zum Investitionszeitpunkt festgesetzte Rahmenbedingungen und Normen nicht im Nachhinein durch staatliches Handeln zu seinen Ungunsten abgeändert werden. Dies dient nämlich dem Unternehmensschutz. Allerdings sehe ich in diesem Fall eine Gefahr für die staatliche Souveränität. Die Gesetzgebungsinitiativen des Staats können nämlich leiden, wenn der Staat später verklagt wird. (Bsp: Die Energiewende in Deutschland und der Fall „Vattenfall“) Für mich könnte dieser vermeintliche Investitionsschutz als eine Art Erpressungswaffe gegenüber dem Staat eingesetzt werden. Das stellt eine unverhältnismäßige Machtposition des ausländischen Unternehmens gegenüber dem Staat dar. Für mich ist es nicht ersichtlich, warum der jeweilige Staat bei jeder gravierenden Gesetzesänderung eine Klage auf Schadensersatz fürchten muss. Zusätzlich werden die inländischen Unternehmen durch die TTIP-Regelung in unzumutbarer Weise benachteiligt. Damit werden ausländische Unternehmen ohne plausiblen Grund sachwidrig bevorzugt.
Meiner Auffassung nach besteht auch eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit. Die richterliche Unabhängigkeit ist eine Ausprägung des Rechtstaatsprinzips und gewährleistet die Neutralität der Richterschaft. Diese ist in meinen Augen verletzt, wenn als Schiedsrichter regelmäßig wirtschaftsnahe Rechtsanwälte von den Parteien gewählt werden. Das stellt praktisch eine Aushebelung eines grundlegenden Demokratieprinzips dar.
Ich bin fest davon überzeugt, dass im Rahmen des bilateralen Schiedsverfahrens eine Verbesserung der Regelungen dringend vonnöten ist.
Das Schiedsverfahren ist eine alternative Konfliktlösungsmöglichkeit und seine Vorteile sind zutreffend dargestellt worden. Es hat jedoch einen großen Nachteil: nach jedem Schiedsspruch gibt es einen Verlierer und einen Gewinner, wie das Beispiel Vattenfall gezeigt hat. Genau das können sich weder die Staaten noch die Investoren leisten.
Sie können es aber vermeiden. Anstatt sich vor einem privaten Richter zu streiten, können sie einen anderen Weg einschlagen: die Mediation. Diese Konfliktlösungsmöglichkeit enthält keinen Schiedsspruch, sondern ist ein strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben.
Ein uraltes Verfahren, das in den 70er Jahren in den USA wiederentdeckt und weiterentwickelt wurde und seit den 80er Jahren in Europa vermehrt eingesetzt wird. Die Mediation ist im Vergleich zu der Schlichtung preiswerter und erzielt deutlich zufriedenstellende Ergebnisse, ihre Erfolgsquote liegt zwischen 70-90%. Allein die Wirtschaftmediationen, die nur in Deutschland jedes Jahr geführt werden haben einen Gesamtwert von über 500 Mio. Euro.
Die Europäische Union unterstützt dieses Verfahren legislativ seit mehreren Jahren mit Verordnungen und Richtlinien (Deutsches Mediationsgesetz vom 21. Juli 2012 (BGBl. I S. 1577)). Die Mediation und die Schlichtung haben auch viele Ähnlichkeiten. So kann die Mediationsabschlussvereinbarung genau wie der Schiedsspruch vollstreckbar sein, die Vertraulichkeit spielt genauso eine wichtige Rolle. Möglich sind auch Gruppenmediation wo ganze Gemeinden miteinbezogen werden können. Das Ergebnis ist aber wichtiger. Nach der Mediation hat man in 70-90% der Fälle wieder zwei Gewinner, also eine Win-Win-Situation. Dies ist sowohl im Interesse eines Staat als auch eines Investors.
Anstatt nur gegen das Schlichtungsverfahren zu protestieren, sollte man auch die Mediation als Konfliktlösungsmöglichkeit vorschlagen. Warum jetzt Europa oder USA nicht von Anfang an auf diese Lösung gekommen sind, ist rätselhaft. Umso mehr, wenn man bedenkt, das beide in den letzten Jahren die Mediation als das beste alternative Konfliktlösungsmodell präsentieren.
Für eine angemessene Gesamtwürdigung des TTIPs ist es meiner Meinung nach wichtig, die angeblichen Nachteile genauer zu beleuchten und die Gesellschaft, welche mit Schlagzeilen über Chlorhähnchen verunsichert wird, aktiv aufzuklären.
Die oft kritisierten Geheimverhandlungen sind durchaus zu rechtfertigen, wenn man sich klarmacht, dass es um zwei potenzielle Vertragsparteien geht, die über einzelne Inhalte diskutieren. Bei einem Unternehmenskaufvertrag bspw. würde keine der Parteien auf die Idee kommen, ihre Gedankengänge öffentlich zu machen, da ansonsten eben auch die jeweils andere Partei darauf Zugriff hätte. Nun spielen im Falle des TTIP natürlich auch die Interessen der Bürger eine Rolle. Allerdings finde ich, dass diese Interessen eher durch ein geheimes Verfahren gewahrt werden als durch die lückenlose Offenlegung, welche die Informationen der anderen Partei zugänglich machen und die eigene Verhandlungsmacht extrem schwächen würde. Inwieweit die Interessen der Industrie, deren Vertreter neuerdings Einblick in die Dokumente erhalten, über denen des gemeinen Bürgers steht, ist für mich jedoch unklar. Eine mögliche Rechtfertigung besteht dabei in der Notwendigkeit der Unternehmen, sich rechtzeitig, mithin also noch während der Verhandlungen, auf etwaige Ergebnisse einzustellen und zu reagieren. Generell kann ich in den Geheimverhandlungen aber per se keinen Nachteil erkennen.
Zur der Thematik der Schiedsverfahren möchte ich darauf hinweisen, dass über die aktuelle Klage von Vattenfall noch nicht entschieden wurde, der Schadensersatz für das Unternehmen also keineswegs als bereits zugesprochen gewertet werden kann. Die Exklusivität der Klagemöglichkeit für Vattenfall ergibt sich einfach aus dem Fakt, dass Vattenfall nunmal ein ausländischer Investor ist, welcher durch Investorenschutz vor einer Diskriminierung oder Enteignung geschützt werden soll. Vattenfall muss jetzt aber nachweisen, dass tatsächlich eines ihrer Recht verletzt wurde, dass sie also benachteiligt wurden. Eine reine Missbilligung von unvorteilhaften Auflagen oder Gesetzen wird jedenfalls nicht für einen Schadensersatz ausreichen. Es ist also abzuwarten, wie Schiedsgerichte in diesem und eventuell folgenden Prozessen entscheidet, bevor man Schlüsse über die tatsächliche Bedrohung von Klagewellen durch Investoren treffen kann.
Die dargestellten Nachteile relativieren sich also bei genauerer Betrachtung und müssen letztendlich gegen die Vorteile abgewogen werden. Gerade bei den Vorteilen besteht von Seiten der TTIP-Befürworter allerdings Nachholbedarf, hohle Phrasen wie „Aufschwung der Wirtschaft in Amerika und Europa“ reichen jedenfalls für mich nicht aus.
Patrick Frauenheim sieht die Geheimverhandlungen als gerechtfertigt, weil das in der Wirtschaft bei ihren Geschäften so üblich ist. Hier geht es aber nicht um Unternehmenskaufverträge, sondern um von unseren Bundestagsabgeordneten oder EU-Gremien beschlossene Gesetze. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn die unterschiedlichen Regelungen diesseits uns jenseits des Atlantiks aufgelistet und gegenübergestellt werden. Aber wenn eines dieser Gesetze geändert werden soll, dann nicht durch offensichtlich konzernlastige geheim verhandelte Verträge wie TTIP, CETA, TSIA & Co., sondern in jedem Einzelfall durch den Bundestag bzw. die EU-Gremien. Kein Kuhhandel mit Gesetzen nach dem Motto „Senkt ihr eure Schadstoffgrenzwerte, dürft ihr euren Blauschimmelkäse zu uns exportieren.“
In Art. 42 Grundgesetz ist verankert: „Der Bundestag verhandelt öffentlich.“ Das ganze nennt man Demokratie. Und für diese und das ihr zugrunde liegende Prinzip der Öffentlichkeit sollten wir unbedingt kämpfen.