Am 19.12.2014 hat das Bundesverfassungsgericht im Fall Suhrkamp abgelehnt, eine einstweilige Anordnung gegen den Insolvenzplan zu erlassen, mit dem der Verlag in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wird und der Minderheitsgesellschafter wesentliche Mitverwaltungsrechte verliert. Damit ist das Verfahren im wesentlichen abgeschlossen. Die Verfassungsbeschwerde gegen die Maßnahmen allerdings ist (teilweise) noch anhängig, so dass noch mit einer Entscheidung in der Sache zu rechnen ist. Die geplanten Maßnahmen können jedoch umgesetzt werden.
Worum ging es?
Das BVerfG hatte in einem Gesellschafterstreit zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern des in einer GmbH&Co KG organisierten Suhrkamp-Verlages zu entscheiden, der bereits viele Gerichte in Berlin, Frankfurt und Karlsruhe befasst hat. Den Sachverhalt haben wir an anderer Stelle in diesem Blog dargestellt. Mittels des Insolvenzverfahrens sollte der die Verlagsgeschäfte lähmende Gesellschafterstreit besänftigt werden. Ein Insolvenzplan, der unterdessen durch das Landgericht Berlin bestätigt worden ist, sah vor, dass die GmbH&Co KG in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wird. Dabei sollte die Vertreterin der Mehrheitsgesellschafterin Vorstand sein und von der Weisungsunabhängigkeit des Vorstands nach § 76 AktG profitieren. Gleichzeitig sah der Plan vor, dass Sonderrechte des Minderheitsgesellschafters, die in der GmbH& Co KG vorgesehen waren, mit der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft erlöschen. Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen können erst seit kurzem überhaupt im Insolvenzverfahren durchgeführt werden – das ermöglicht der durch das ESUG 2012 in die InsO eingefügte § 225 a InsO.
Welche verfassungsrechtlichen Überlegungen sind maßgebend?
Über Fragen des Insolvenzverfahrens entscheidet das BVerfG nicht. Es kann nur befasst werden, wenn verfassungsrechtliche Überlegungen in Rede stehen. Das war hier der Fall. Der Minderheitsgesellschafter machte gegen den Insolvenzplan geltend, das Verfahren sei überhaupt nur eingeleitet worden, um ihn aus der Gesellschaft zu drängen, das Insolvenzverfahren sei missbraucht worden. Weil Gesellschaferrechte den Schutz des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 GG genießen, sei § 225 a InsO verfassungswidrig, zudem verstießen die gerichtlichen Entscheidungen, mit denen der Plan bestätigt wurde, gegen das Grundrecht. Auch Art. 19 IV GG, die Garantie effektiven Rechtsschutzes, könnte verletzt sein, wenn das Insolvenzplanverfahren für den Gesellschafter, dessen Position durch einen Insolvenzplan modifiziert wird, keine hinreichenden verfahrensrechtlichen Schutzmöglichkeiten vorsieht.
Was ist eine einstweilige Anordnung?
Wird das BVerfG in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren angerufen, so kann es auf Antrag vorläufige Maßnahmen treffen, also die Durchführung zunächst einmal bis zur Entscheidung in der Hauptsache aussetzen. Dafür nimmt das Gericht eine Interessenabwägung vor: Ist es nachteiliger für den Beschwerdeführer, wenn eine Maßnahme umgesetzt wird und sich später herausstellt, dass diese verfassungswidrig war oder ist es nachteiliger für andere Stakeholder, hier den Verlag, wenn die Maßnahme zunächst gestoppt wird und sich später herausstellt, dass sie verfassungskonform ist? Die Verfassungsmäßigkeit der Maßnahme selbst, hier also der Bestätigung des Insolvenzplans, wird dabei nicht umfassend geprüft. Um diese Abwägung geht es im hier besprochenen Beschluss und sie geht nach Auffassung der 1. Kammer des 2. Senats zu Lasten des Minderheitsgesellschafters aus.
Um rechtliches Gehör zu gewähren und nicht durch die Ereignisse überholt zu werden, hatte das Bundesverfassungsgericht das AG Charlottenburg in einem vorläufigen Beschluss durch eine befristete Anordnung angewiesen, eine Eintragung jedenfalls bis zum 21.12.2014 nicht vorzunehmen. Es war daher erwartet worden, dass vor diesem Datum noch eine Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ergehen würde.
Was ist noch offen?
Die Kammer hat auch über die Verfassungsbeschwerde von H. Barlach, dem alleinigen Aktionär der Minderheitsgesellschafterin, entschieden und diese nicht zur Entscheidung angenommen, weil der Aktionär der Gesellschafterin nicht in seinen Rechten betroffen sei. Noch offen ist, wie über die Verfassungsbeschwerde der Minderheitsgesellschaferin selbst entschieden wird – allerdings hat der Ausgang keine Folgen für das konkrete Verfahren, denn die Umwandlung kann nunmehr eingetragen werden. Allenfalls könnte also für die Zukunft festgestellt werden, dass die Maßnahmen nicht zulässig waren, eine Rückabwicklung kommt aber nicht mehr in Frage.
Daher kann man sagen, dass hier eine ausgesprochen wichtige Entscheidung für die Zukunft des Suhrkamp-Verlages vorliegt.
Ein äußerst interessanter Fall, an dem die neu geschaffenen Möglichkeiten des ESUG verdeutlicht werden. Nach all den Streitigkeiten in und um den Suhrkamp Verlag ist es an der Zeit, dass der Insolvenzplan vollzogen wird. Letztlich steigt die Unsicherheit zu Lasten der AG zunehmend bei allen Beteiligten (Schuldnerin, Gläubiger, Arbeitnehmer, künftige Vertragspartner und den Anteilsinhabern selbst) und eine Sanierung des Traditionsverlages würde scheitern. Es ist also zu begrüßen, dass sich das BVerfG den Antrag auf Erlass einer einsweiligen Anordnung aufgehoben hat um den Verfahrensfortgang zu gewähren.
Ich befürworte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die Folgenabwägung ist richtig. Der Schaden für Verlag, Arbeitnehmer und Gläubiger ist größer als die Nachteile für Berlach. Immerhin war die Sanierung des Unternehmens in Gefahr, wodurch es zum Verlust zahlreicher Arbeitsplätze und erheblichen Einbußen der Gläubiger gekommen wäre. Berlach hingegen hätte nur seine Unternehmensanteile verloren. Ich denke Berlach ging es hier nur um sein Mitspracherecht und den Beweis seiner Macht.
Der Streit- und Prozessverlauf im ehemaligen Suhrkamp Verlag bzw. zwischen den beteiligten Parteien Unseld-Berkéwicz und Barlach könnte nicht nur für ein juristisches Staatsexamen ein beispielhafter Fall sein (sofern die Lösungen nicht verkauft werden), sondern auch für viele andere Studienrichtungen, insbesondere Psychologie. Auch wenn ich der Meinung bin, dass der Streit durch eine gute und früh angesetzte Mediation hätte beigelegt werden können, erfreut es uns Juristen doch sehr, dass es so abgelaufen ist.
Auch wenn die Gunst der meisten Leser bei Unseld-Berkéwicz liegt, sollten insbesondere die verfassungsrechtlichen Bedenken auf Seiten von Barlach nicht unbeachtet gelassen werden. Schlussendlich wurde er von einem Minderheitsgesellschafter mit ausreichendem Mitspracherecht zu einem einfachen Aktionär degradiert. Der Streit könnte für Unternehmen mit vergleichbaren Problemen ein Musterbeispiel sein, lästige bzw. unangenehme Gesellschafter loszuwerden. Ob das der richtige Weg ist, sei dahin gestellt.
Unter den Umständen, die Lösung des Sachverhalt bald anzustreben, ist die Entscheidung des BVerfG zu begrüßen. Jedoch ist der Fall Suhrkamp ein Paradebeispiel in dem das Insolvenzrecht wieder einmal schafft die gesellschaflichen Rechte eines Minderheitsaktionärs beinahe auf lächerliche Weise auszuhebeln. Anscheinend scheitern jegliche Versuche die insolvenzrechtlichen Möglichkeiten bei offenkundigen missbräuchlichen Interessen einzudämmen. Möglicherweise wäre der richtige Ansatz auf gesellschaftsrechtlicher Ebene den Minderheitsaktionären im Insolvenzfalle besondere Rechte zuzuschreiben. Eine baldige faire Lösung das Insolvenzrecht und das Gesellschaftsrecht in Balance zu bringen sehe ich jedoch nicht. Es bleibt auf jeden Fall allen Mindeheitsaktionären zu raten in Streitfragen die Füße lieber still zu halten.
Die Frage ist berechtigt, ob der Gesetzgeber in § 225 a InsO vorsah, die Rechte der Gesellschafter in dieser Form zu beschränken. Klar ist, dass der Debt-Equity-Swap eingeführt wurde um die Sanierungsmöglichkeit des insolventen Unternehmens zu verbessern. Eine Umwandlung der Gesellschaftsform erscheint dafür auf den ersten Blick nicht notwendig. Ob der Vorrang des Insolvenzrechts vor dem Gesellschaftsrecht in diesem Punkt bestand hat, wird das Bundesverfassungsgericht noch entscheiden. Hans-Georg Barlach wird diese Entscheidung nicht mehr erleben.