Ist es Arbeitgebern gestattet, ihre Mitarbeiter in öffentlich zugänglichen Räumen mittels verdeckter Videoüberwachung zu bespitzeln? 2012 beantwortete das BAG diese Frage erstmals mit „ja“, gefolgt von einem deutlichen „aber“.
Sachverhalt
In dem vorliegenden Fall wurde die stellvertretende Filialleiterin eines Einzelhandelsunternehmens verdächtigt, Zigaretten aus dem Kassenbereich zu stehlen. Arbeitgeber und Betriebsrat beschlossen daraufhin, die Verdächtige mithilfe verdeckter Kameras 22 Tage lang in den Verkaufsräumen zu überwachen. Die Auswertung der Videos zeigte, dass die Frau bei zwei Gelegenheiten mindestens eine Zigarettenschachtel entnahm und einsteckte. Mit Zustimmung des Betriebsrates wurde ihr daraufhin gekündigt. Die Arbeitnehmerin ging gegen diese Kündigung gerichtlich vor.
Entscheidung
Das BAG löste den Fall der verdeckten Überwachung, wie es bereits 2004 zur Videoüberwachung in nicht öffentlich zugänglichen Räumen entschied: Da hier zwei Grundrechte, nämlich das Eigentumsrecht des Arbeitgebers aus Art. 14 GG und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer aus Art. 2 I i.V.m. Art 1 I GG miteinander kollidieren, wird eine Verhältnismäßigkeitsprüfung des Einzelfalls durchgeführt. Die Überwachung muss in Anbetracht beider Interessen und Grundrechte gerechtfertigt sein. Konkret bedeutet das, alle drei folgenden Fragen müssen bejaht werden, damit eine verdeckte Videoüberwachung zulässig ist.
1. Besteht eindeutiger Verdacht für eine Straftat?
Hier genügt keinesfalls ein pauschales Misstrauen gegenüber allen Arbeitnehmern. Es müssen tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen und der Verdacht muss sich gegen einen abgrenzbaren Kreis von Mitarbeitern richten. Die Überwachung als repressives Mittel zur Aufklärung von Straftaten kann also zulässig sein; als reine Präventionsmaßnahme jedoch nicht.
2. War die Videoüberwachung erforderlich?
Überprüft wird nun, ob es kein milderes Mittel anstelle einer heimlichen Überwachung gab. Denkbar sind das Einsetzen von Aufsichtspersonen oder Taschenkontrollen.
3. Ist die Art der Videoüberwachung angemessen?
Gemeint ist die Eingriffsintensität. Das heißt: Wie viele Personen werden überwacht? Haben sie alle Anlass für die Überwachung gegeben? Wie lange wird überwacht? Welche Technik wird eingesetzt, beispielsweise eine schwenkbare Kamera oder Aufzeichnung von Ton etc. Dabei gilt: Je schwächer der Eingriff, desto eher ist er als angemessen anzusehen. So sollte nach Möglichkeit ein Softwareprogramm genutzt werden, um Randbereiche der Aufzeichnungen auszublenden und die Dauer sollte so gering wie möglich sein.
Fazit
Im Falle der stellvertretenden Filialleiterin entschied das BAG in letzter Instanz, das aus heimlicher Videoüberwachung gewonnene Material dürfe als Grundlage für die Kündigung dienen. Doch ein Freifahrtschein für verdeckte Videoüberwachung folgt daraus definitiv nicht. Arbeitgeber sollten sich darüber im Klaren sein, dass dieses Mittel grundsätzlich verboten ist. Dies folgt schon aus § 6b II BDSG, wonach Videoüberwachung kenntlich gemacht werden soll. Nur für den Fall, dass der Arbeitgeber keine andere Möglichkeit hat, eine Straftat nachzuweisen, hat er im Ausnahmefall und unter den oben genannten Voraussetzungen die Chance sich dieser Maßnahme als ultima ratio zu bedienen. Um dieses Recht für den Arbeitgeber zu sichern, wurde 2009 der § 32 I 2 BDSG dahin geändert und beschreibt nun die bereits vom BGH eingeführte Verhältnismäßigkeitsprüfung. Problematisch bleibt jedoch, dass das BAG zwar den Rahmen festgelegt hat, jedoch beispielsweise noch nicht abschließend geklärt ist, welche milderen Mittel erfolglos durchgeführt werden müssen um eine heimliche Überwachung zu rechtfertigen oder ob es eine Grenze für die Größe des verdächtigten Personenkreises gibt. Aus diesem Grunde ist es trotz dieser BAG-Entscheidung nur zu empfehlen, sich für andere, weniger einschneidende, Maßnahmen statt einer Videoaufzeichnung von Mitarbeitern zu entscheiden.
Verdeckte Videoüberwachung am Arbeitsplatz geht garnicht!
Was soll das denn für eine Arbeitsathmosphäre sein ? :O
Ich meine der Artbeitgeber ist auf die Arbeiter genau so angewiesen wie sie auf ihn.
Und er muss so etwas nicht in Kauf negmen!
Gruß Simon
Gerade im Hinblick auf die angesprochene und durchzuführende Verhältnismäßigkeitsprüfung überrascht das Urteil des BAG. Die Verletzung eines Grundrechts darf nicht mit einem Verdacht (!) auf eine Straftat gerechtfertigt werden. Ohne den vorherigen Versuch, diesem Verdacht auf andere Weise nachzugehen, stellt sich der Arbeitgeber meines Erachtens auf die gleiche Stufe wie der vermeintliche Täter. Inwiefern es dem Arbeitgeber des Einzelhandelsunternehmens im vorliegenden Sachverhalt nicht möglich war, die Arbeitnehmerin auf andere Weise zu überwachen, bleibt fraglich. Es sollte definitiv in der weiteren Rechtsprechung geklärt werden, welche genauen Maßnahmen vor der Videoüberwachung versucht werden müssen.
Fraglich ist ja wohl schon, ob die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer aus Art. 2 I i.V.m. Art 1 I GG am Arbeitsplatz tatsächlich in so großem Maße ihre Wirkung entfalten sollten. Schließlich wird der Arbeitnehmer ja nicht an seiner persönlichen Entfaltung im Rahmen der Arbeitstätigkeit gehindert.
Für eine untergeordnete Rolle der Persönlichkeitsrechte gegenüber den Eigentumsrechten sprechen folgende Punkte:
1. Die Tatsache, dass Arbeitnehmer „überwacht“ werden ist keine fixe Idee des Arbeitgebers, sondern logische Schlussfolgerung aus der Tatsache, dass es auch diebische Arbeitnehmer gibt.
2. Aus unternehmerischer Sicht „lohnt“ eine Videoanlage erst, wenn es zu erheblichen Eigentumsverlusten durch Diebstahl gekommen ist oder von vornherein von solchen ausgegangen werden muss.
Aus dieser Perspektive kann ich sowohl die BAG-Entscheidung als auch die gesetzgeberischen Maßnahmen nicht nachvollziehen.
3. Als Arbeitnehmer mit weißer Weste würde ich mich nicht zum Personenkreis der Arbeitnehmer zählen, denen pauschal misstraut wird.
Als Arbeitgeber würde sich mir bei jedem Arbeitnehmer, der sich in seinen Rechten beschnitten sieht, der Gedanke aufdrängen, ob dieser Arbeitnehmer etwas zu verheimlichen hat, was mit zusätzlichen Kosten für mein Unternehmen im Zusammenhang steht.
Es ist nicht zu verkennen das es sich im vorliegenden Fall um eine interne Ermittlung handelt. Interne Ermittlung oder „Internal Investigations“ zielen darauf ab Rechtsverstöße aufzudecken. Dem Arbeitgeber steht grundsätzlich das Recht zu Kontrollen durchzuführen. Zudem kann ihn die Verpflichtung treffen, Ermittlungen aufzennehmen, wenn ihm Verstöße bekannt werden. Des Weiteren liegt es im Interesse des Arbeitgebers Wirtschaftsdelikte durch regelmäßige Kontrollen vorzubeugen.
Die Interessen der Mitarbeiter werden im Rahmen solcher Ermittlungen hinreichend durch den Betriebsrat geschützt. Im Zuge solcher Ermittlungen unter Verwendung von „technischen Einrichtungen“ trifft den Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht. In diesem Zusammen hat der Betriebsrat die Möglichkeit zu prüfen ob im Zuge solcher Ermittlungen die Rechte der Arbeitnehmer verletzt werden.
Schwieriger im vorliegenden Fall sehe ich eher, dass neben den Persönlichkeitsrechten der Arbeitnehmer auch die aller anderen Personen verletzt werden könnten.