Der EuGH hat mit seinem Urteil vom 13.09.2011 (Prigge u.a.) zu Altersbefristungen in Tarifverträgen vermutlich den Grundstein für den größten Streik der Unternehmensgeschichte der Deutschen Lufthansa AG gelegt. Die Gewerkschaft „Vereinigung Cockpit“ rief 5400 Piloten vom 2. April bis 4. April 2014 zur Arbeitsniederlegung auf. Die Folgen waren gravierend – ungefähr 3800 gestrichene Flüge, rund 425.000 betroffene Passagiere und ein finanzieller Verlust von rund 45 Mio. € für die Lufthansa. Außerdem womöglich ein großer Image-Schaden, da die Zuverlässigkeit des Unternehmens durch mehrere Streiks der letzten Jahre, unter anderem des Bodenpersonals oder der Flugbegleiter, in Frage gestellt wird. 

Grund des Streiks war die einseitige Kündigung der tarifvertraglichen Vereinbarung der Übergangsrenten durch Lufthansa Ende letzten Jahres. Diese Vereinbarung regelte einen möglichen, auf Wunsch der Piloten, frühzeitigen Austritt aus dem fliegerischen Dienst ab dem 55. Lebensjahr und zusätzlich, dass die Piloten mit Erreichen ihres 60. Lebensjahres spätestens den Dienst im Cockpit nicht mehr antreten dürfen. Die tarifliche Regelung in § 19 I MTV Nr. 5a lautete: „Das Arbeitsverhältnis endet – ohne dass es einer Kündigung bedarf – mit Ablauf des Monats, in dem das 60. Lebensjahr vollendet wird. …“ Vom Beginn des Austritts bis zum Beginn der Auszahlung der gesetzlichen Rente garantierte der Tarifvertrag den ausscheidenden Piloten eine Übergangsversorgung in Höhe von bis zu 60% ihrer letzten Brutto-Bezüge. Durch die Entscheidung des EuGH vom 13.09.2011 sah die Lufthansa jedoch keinen Grund mehr, diese Übergangsversorgung beizubehalten und kündigte wie bereits geschildert einseitig den Tarifvertrag. Derzeit bezahlt Lufthansa eine neue Übergangsrente auf freiwilliger Basis, jedoch nur für weitere zwei Jahre bis 2016. Ein neuer Tarifvertrag soll das frühestmögliche Austrittsalter nun auf das 60. Lebensjahr festsetzen.

Was war geschehen?

Drei Piloten der Lufthansa erreichten im Jahr 2006 bzw. im Laufe des Jahres 2007 ihr 60. Lebensjahr, woraufhin ihr Arbeitgeber sie aufforderte ihre Uniform, gem. der tarifvertraglichen Vereinbarung, an den Nagel zu hängen. Die Piloten jedoch wollten bis zu ihrem 65. Lebensjahr weiterfliegen und klagten daraufhin gegen ihren Arbeitgeber vor dem ArbG Frankfurt a.M. wegen Altersdiskriminierung unter Berufung auf das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ (AGG). Erstmalig musste sich ein Gericht mit einer Klage von Piloten wegen Altersdiskriminierung nach dem AGG auseinandersetzen. Ihrer Klage wurde jedoch nicht stattgegeben. Auch in der nächsten Instanz, vor dem LAG Hessen, wurde ihre Klage abgewiesen. Die Piloten brachten in ihrer Klage vor dem ArbG Frankfurt a.M. vor, dass die in dem Tarifvertrag vereinbarte Altersbefristung gem. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG bzw. gem. § 10 AGG nicht gerechtfertigt sei, da sich Piloten regelmäßigen Gesundheitschecks unterziehen müssen, in denen ihre körperliche Flugtauglichkeit festgestellt wird. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses war in ihren Augen nicht das geeignete Mittel, um das Ziel der Altersbefristungsregelung zu erreichen. Dazu zählt der Schutz von Leben und Gesundheit der Besatzungsmitglieder und Passagiere und den Menschen in den überflogenen Gebieten. Das ArbG Frankfurt a.M. war jedoch der Auffassung es gebe kein sichereres Mittel zur Abwehr von Sicherheitsrisiken, als das gewählte Mittel der Altersgrenze. Auch das LAG Hessen erkannte, wie bereits erwähnt, keine unberechtigte Benachteiligung nach dem AGG. Entgegen dem Argument der Kläger, es würde kein empirisch nachgewiesenes erhöhtes Sicherheitsrisiko bei Piloten geben, die die Altersgrenze überschritten haben, argumentiert das Gericht, dass auch keine Untersuchungen bekannt sind, die eine Nichtexistenz dieses Risikos belegen. Gem. § 72 II Nr.1 ArbGG wurde die Revision zugelassen. Folglich musste sich das BAG im Jahr 2009 mit dem Fall befassen, war sich jedoch in der Entscheidung, ob es sich bei der tarifvertraglichen Regelung der Altersbegrenzung um eine Diskriminierung wegen des Alters handelt, unsicher und fragte daraufhin den EuGH, ob diese Zwangsverrentung europarechtskonform ist.

Wie entschied der EuGH?

Zur Entscheidungsfindung zog der EuGH die Richtlinie 2000/78/EG heran. Mit der Richtlinie verfolgt die EU für alle Mitgliedstaaten das Ziel, einen allgemeinen Rahmen zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf zu schaffen. Im Jahr 2006 wurde die Richtlinie in Deutschland durch das AGG in nationales Recht umgesetzt.

Der EuGH entschied, dass in der tarifvertraglich geregelten Altersgrenze eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters vorliegt. In der Entscheidungsfindung wurden zudem die Art. 2 V, Art. 4 I und Art. 6 I der Richtlinie 2000/78/EG als mögliche Rechtfertigungsgründe der Altersbefristung berücksichtigt.

Art. 2 V rechtfertigt Diskriminierungen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Gesundheit und Rechte und Freiheiten anderer. Der EuGH musste prüfen, ob die Flugsicherheit zu den in Art. 2 V aufgeführten Zielen gehört. Hier erkannte der Gerichtshof, dass eine im Bezug auf die Flugsicherheit gewählte Maßnahme unbestreitbar ist, die dazu geeignet ist, die öffentliche Sicherheit i.S.d. Art. 2 V zu gewährleisten. Jedoch sah der EuGH die tarifliche Altersgrenze von 60 Jahren nicht als Maßnahme, die für die öffentliche Sicherheit und den Schutz der Gesundheit i.S.d. Art. 2 V notwendig ist. In der Begründung verwies er auf die nationalen und internationalen Regelungen für Piloten, die eine Altersgrenze von 65 Jahren vorsehen.

Hinsichtlich einer möglichen Rechtfertigung gem. Art. 4 I der Richtlinie 2000/78/EG stellte der EuGH fest, dass es sich bei der vorzeitigen Beendigung der Arbeitsverträge um eine Maßnahme handelt, die den Zweck verfolgt, die Sicherheit des Flugverkehrs zu gewährlisten. Dieses verfolgte Ziel gilt als rechtmäßiger Zweck i.S.v. Art. 4 I der Richtline 2000/78/EG. Allerdings wird den Piloten durch die tarifliche Altersgrenze, die im Vergleich zu den nationalen und internationalen Regelungen ein fünf Jahre früheres Ausscheiden aus dem Beruf vorschreibt, eine unverhältnismäßige berufliche Anforderung auferlegt.

Zuletzt prüfte der EuGH in dem Urteil, ob eine mögliche Rechtfertigung der Altersgrenze i.S.d. Art. 6 I der Richtlinie 2000/78/EG vorlag. Solch eine gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters liegt vor, wenn sie objektiv und angemessen ist und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Hierzu zählen insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung. Die Gewährleistung der Flugsicherheit stellte für den EuGH kein legitimes Ziel i.S.v. Art. 6 I der Richtlinie 2000/78/EG dar. Die Begründung liegt in der fehlenden i.S.d. Art. 6 I zwingend erforderlichen sozialpolitischen Natur der Gewährleistung der Flugsicherheit.

Folgen für die Praxis

In Zukunft muss bei der Gestaltung und Nachbesserung von Altersbefristungen in Tarifverträgen verstärkt überprüft werden, welche gesetzlichen Regelungen für die jeweils zu treffenden Tarifvereinbarungen existieren. Zudem war durch dieses Urteil klar zu erkennen, dass der EuGH tarifliche Altersgrenzen ganz genau an den Zielen überprüft, die für den Abschluss dieser Regelungen maßgebend waren. Es kann davon ausgegangen werden, dass in den nächsten Jahren immer wieder Altersbefristungen für unterschiedliche Berufsgruppen, die tarifvertraglich vereinbart sind, auf den Prüfstand kommen werden. Der EuGH stellt klar, dass Altersbefristungen durchaus mit dem EU-Recht vereinbar sein können. Im Einzelfall ist jedoch die Verhältnismäßigkeit der Grenze zu prüfen.