Am 02.04.2014 verkündete Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles die Zustimmung der Bundesregierung zum Entwurf des Gesetzes zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns. Gemäß § 1 Mindestlohngesetz mit einem Anspruch für alle Arbeitnehmer auf einen Stundenlohn von 8,50€ brutto. Alle Arbeitnehmer? Jedenfalls nicht für Jugendliche unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Doch ist diese Ausnahme rechtmäßig? Eine Prüfung am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz.

Einführung

Diese Ausnahme der Jugendlichen lässt es möglich erscheinen, dass hier eine Ungleichbehandlung bezüglich des Alters verschiedener Arbeitnehmer vorgenommen wird. Mit dem neuen Gesetzentwurf zum Mindestlohn greift die Legislative in die Rechte des einzelnen Bürgers und in seine freie Ausübung der Arbeitswahl nach  Art. 12 GG ein. Eine Rechtmäßigkeitsprüfung erfolgt deshalb auf Ebene des Grundgesetzes, weshalb auch das AGG zur Prüfung nicht herangezogen wird.  Zu Bearbeiten wäre hier die Verfassungsmäßigkeit des allgemeinen Gleichheitssatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 GG. Maßstab für die Prüfung ist die vom Gesetzgeber festgesetzte starre Altersgrenze von 18 Jahren. Diese könnte möglicherweise betreffende Bürger ungleich behandeln. Die Absätze 2 und 3 sind im konkreten Fall nicht einschlägig, weil die Ausnahme keines dieser aufgezählten Merkmale anspricht.

Die Ungleichbehandlung

Für die Prüfung der Rechtmäßigkeit ist zunächst eine Ungleichbehandlung Voraussetzung. Dafür müsste eine Personengruppe in bestimmter Weise rechtlich behandelt werden, was im Anspruch der Arbeitnehmer für eine Mindestvergütung pro Arbeitsstunde von 8,50€ zu sehen ist.

Einer anderen Personengruppe müsste dieser Anspruch verwehrt sein. Dies ist bei den Jugendlichen der Fall: Vor der Vollendung des 18. Lebensjahres ohne abgeschlossene Ausbildung wird dieser Arbeitnehmergruppe der Anspruch verwehrt.

Bezugspunkt dieser beiden Gruppen wäre der Begriff des Arbeitnehmers [1] (=innerhalb eines arbeitsrechtlichen Schuldverhältnisses die Arbeitskraft weisungsgebunden gegen Entgelt zur Verfügung zu stellen). Die Voraussetzungen für eine Ungleichbehandlung liegen vor.

Die Rechtfertigung

Diese Ungleichbehandlung kann mittels sachlicher Gründe gerechtfertigt werden. Bezüglich dieser Ausnahme lautet die Begründung der Bundesregierung, dass Jugendliche unter 18 Jahren vor der Versuchung geschützt werden sollen, einer mit Mindestlohn bezahlten Tätigkeit nachzugehen, anstatt eine Ausbildung mit einer nur, gemäß § 17 BBiG, angemessen (und i.d.R. schlechter) bezahlten Ausbildungsvergütung zu absolvieren.

Hier kann die „Neue Formel“ des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 55, 72, 88) angewendet werden. Dabei kann ausreichen, wenn eine geringe Intensität vorliegt, dass die Aussage der Bundesregierung als sachlicher Grund angeführt wird und somit die Ausnahme begründet. Das Bundesverfassungsgericht teilt Rechtfertigungen in verschiedene Intensitätsstufen ein: Ungleichbehandlungen zwischen verschiedenen Gruppen sind nicht immer vom selben Gewicht und brauchen demnach auch nur unterschiedlich stark geprüft werden.

Dabei ist bei dieser Ausnahme von geringer Intensität zu sprechen, weil anzuführen ist, dass Kinder in dem Alter noch unter der Obhut der Eltern stehen, da diese finanziell für ihre Kinder aufkommen. Kinder gehen zudem in diesem Alter meist noch ihrer Schulpflicht nach. Eine absolute Notwendigkeit nach einer Arbeit ist in dem Alter nicht gegeben, um die eigene Existenz zu sichern. Es kann somit nur von einem kleinen Anwenderbereich gesprochen werden, der diese Voraussetzungen erfüllen würde.

Jedoch sprechen hier gute Gründe gegen diese Rechtfertigung. Das durchschnittliche Ausbildungsstartalter liegt in Deutschland bei 20 Jahren. Die Bundesregierung beachtet demnach eine Lücke der möglichen Arbeitnehmer zwischen 18 und 20 Jahren nicht, die genau die Anforderungen des sachlichen Grundes erfüllen: Jugendlichen in diesem Zeitfenster kann unterstellt werden, dass sie dann eher einer besser bezahlten Mindestlohn-Tätigkeit nachgehen und dann keine Ausbildung absolvieren. Sie sehen dann möglicherweise keinen Grund für das Absolvieren einer Ausbildung. Damit wird sich der voranschreitende Rückgang der Ausbildungen noch weiter verstärken, als es ohnehin der Fall ist. Die Altersgrenze müsste demnach angehoben werden, um genau diese Altersgruppe zu schützen, für die die Ausnahme mit dieser Begründung konzipiert wurde.

Diese Argumente sprechen somit gegen das Ausreichen dieses sachlichen Grundes als Rechtfertigung. Folglich ist keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung  gegeben. Eine Rechtmäßigkeit der Ausnahme liegt in diesem konkreten Fall nicht vor. Diese könnte jedoch unter Umständen durch eine andere Begründung oder anderen Maßstäben ermöglicht werden.

Abschließende Würdigung

Bezüglich der Rechtfertigung ist jedoch eine abschließende Beurteilung im aktuellen Fortschritt des Gesetzgebungsprozesses nicht möglich. Eine grundsätzliche Diskriminierung bezüglich des Alters im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes könnte verfassungsrechtlich begründet werden. Im speziellen Fall lässt sich aber sagen, dass die Begründung für die Rechtfertigung nicht ausreichend ist. Zumal andere Länder eine höhere Altersgrenze beim nationalen Mindestlohn implementiert haben.  Ferner ist für die Praxis zu sagen, dass man genau zu beachten hat, wie das Gesetz im parlamentarischen Gesetzgebungsprozess umgestaltet wird. Eine Änderungen der Ausnahmen scheint unter der derzeitigen Kritik in den Medien und der Politik an diesem Gesetzentwurf als sehr wahrscheinlich.

Weiterführende Quellen

Arnold Bug: Ausnahmen von einem gesetzlichen Mindestlohn für einzelne Arbeitnehmergruppen aus verfassungsrechtlicher Sicht, Sachstand Februar 2014, Deutscher Bundestag Wissenschaftliche Dienste

Andreas Fischer-Lescano: Verfassungs-, völker- und europarechtlicher Rahmen für die Gestaltung von Mindestlohnausnahmen, März 2014

 


[1] Küttner, Wolfdieter: Personalbuch, Stichwort Arbeitnehmer, Rz 1-9, 21. Auflage 2014.