Am 12. November hat der BGH mit der sog. „Frosta-Entscheidung“ eine wichtige Entscheidung für das Kapitalgesellschaftsrecht veröffentlicht und seine Rechtsprechung zum Rückzug einer Aktiengesellschaft von der Börse (sog. „Macroton-Entscheidung„) revidiert. Der Leitsatz des Beschlusses lautet:

„Bei einem Widerruf der Zulassung der Aktie zum Handel im regulierten Markt auf Veranlassung der Gesellschaft haben die Aktionäre keinen Anspruch auf eine  Barabfindung. Es bedarf weder eines Beschlusses der Hauptversammlung noch eines Pflichtangebotes (Aufgabe von BGH, Urteil vom 25. November 2002)“

Die Entscheidung gibt Anlass, die Rechtsprechung zum Aktieneigentum und zum Delisting noch einmal zu betrachten.

Die Macroton-Entscheidung

Wenn Aktiengesellschaften sich von der Börse zurückziehen (sog. Delisting), ist das gerade für die nur mit kleinen Beteiligungen engagierten Aktionäre ein Nachteil: Der einfache und kostengünstige Weg, die Beteiligung zu veräußern, entfällt. Die Börsennotierung gewährleistet einen transparenten Markt, auf dem in der Regel leicht Käufer für die angebotene Beteiligung gefunden werden können. Der BGH hatte daher im Jahr 2002 in der sog.  „Macroton-Entscheidung“ den Rückzug von der Börse Bedingungen unterworfen: Die Entscheidung könne nicht vom Vorstand allein getroffen werden, vielmehr sei ein mit einfacher Mehrheit zu fassender Beschluss der Hauptversammlung erforderlich. Zudem müsse Minderheitsaktionären von den den Börsenrückzug betreibenden Hauptaktionären ein Abfindungsangebot gegen Übernahme der Aktien gemacht werden. Die Angemessenheit der Abfindung könne dann im Spruchverfahren nach dem SpruchG überprüft werden.

Begründet hat der BGH das mit dem Aktieneigentum: Art. 14 GG gewährleiste nicht nur das Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs, das durch das Delisting unberührt bleibt. Vielmehr sei auch die Möglichkeit, den Wert der Beteiligung jederzeit unkompliziert durch Veräußerung über die Börse zu realisieren, Teil des Aktieneigentums. Dieser wirtschaftliche Aspekt des Aktieneigentums sei vom Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts umfasst, weshalb der Rückzug von der Börse nicht ohne einen entsprechenden Ausgleich des Nachteils für den Kleinaktionär erfolgen dürfe. Der BGH stützt sich dabei auch auf die Rechtsprechung zum Abfindungsanspruch des außenstehenden Aktionärs bei Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages. Hier haben BGH und BVerfG in dem Verfahren DAT/Altana, gestützt auf Art. 14 GG, verlangt, dass der Aktionär nach Maßgabe des aktuellen Börsenkurses und nicht nach einer anderweitigen Berechnung des Unternehmenswertes (die in der Regel geringer ausfiel) zu entschädigen war.

Was die Befassung der Hauptversammlung angeht, steht die Rechtsprechung des BGH auch in der Tradition der sog. „Holzmüller-Rechtsprechung“ aus dem Jahr 1982, wonach bei besonders schwerwiegenden Eingriffen in das Unternehmensvermögen, die eine Mediatisierung bewirken, die Hauptversammlung zu beteiligen ist. Diese Rechtsprechung (bestätigt in der sog. Gelatine-Entscheidung aus dem Jahr 2004) stützt sich allerdings gerade nicht auf Art. 14 GG.

Bundesverfassungsgericht und Aktieneigentum

Die Rechtsprechung des BGH zum Aktieneigentum ist im Jahr 2012 durch das Bundesverfassungsgericht relativiert worden. Die lesenswerte Entscheidung stellt klar, dass das Aktieneigentum die Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs und auch den wirtschaftlichen Wert der Beteiligung erfasst. Dieser wirtschaftliche Wert sei aber nicht vernichtet, wenn die Beteiligung nicht mehr an der Börse notiert ist. So sei der Handel im Freiverkehr damit nicht betroffen, auch könne der Anleger andere Wege der Deinvestition einschlagen. Dass der Kurs sinke, wenn keine Börsennotierung mehr gegeben ist, sei zudem nicht belegt.

Mit dieser Position muss das Bundesverfassungsgericht sich zum einen zu seiner Rechtsprechung in der Angelegenheit DAT/Altana befassen, zum anderen mit der anderslautenden Rechtsprechung des BGH. Es ist interessant zu lesen, wie das gelingt.

BVerfG zu DAT/Altana

Zur Abfindung des außenstehenden Aktionärs bei einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag stellt das BVerfG auf einen aus seiner Sicht wichtigen Unterschied ab: Im Fall von DAT/Altana lag ein Eingriff in das Eigentumsrecht des Aktionärs vor, denn diesem waren durch den Beherrschungsvertrag Mitverwaltungsrechte genommen. Diese gehören unstreitig in den Schutzbereich des Art. 14 GG. Nur deshalb sei eine Entschädigung erforderlich. Die Entschädigungshöhe ist nach dem Wert des Nachteils zu berechnen, dieser ergibt sich aus dem Börsenkurs. Nur auf der zweiten Stufe, der Entschädigungsbemessung, nicht aber auf der ersten Stufe, der Frage nach einem Grundrechtseingriff, ist also nach Auffassung des BVerfG in der DAT/Altana-Rechtsprechung der Börsenkurs zu berücksichtigen.

BVerfG zu Macroton

Was die ausdrückliche Berufung auf das Aktieneigentum in der Macroton-Entscheidung angeht, so meint das BVerfG, diese sei nicht tragend für die BGH-Rechtsprechung: Das Gericht hätte eine Rechtsfortbildung durch Analogie zu verschiedenen Regelungen des Kapitalmarktrechts vorgenommen. Diese sei zulässig, auch wenn die Begründung für die Rechtsfortbildung, nämlich die Berufung auf das Aktieneigentum, nicht stichhaltig sei. Allerdings stellt das BVerfG dem BGH anheim, seine Rechtsprechung nach Wegfall der Begründung zu ändern. Erforderlich ist das aus Sicht des BVerfG nicht. Es meint:

Die Gesamtanalogie – mit dem Ergebnis, bei einem freiwilligen Delisting ein gerichtlich überprüfbares Pflichtangebot zu verlangen – ist also von Verfassungs wegen zulässig, aber nicht geboten. Es bleibt der weiteren Rechtsprechung der Fachgerichte überlassen, auf der Grundlage der mittlerweile gegebenen Verhältnisse im Aktienhandel zu prüfen, ob die bisherige Spruchpraxis Bestand hat, und zu beurteilen, wie der Wechsel vom regulierten Markt in den qualifizierten Freiverkehr in diesem Zusammenhang zu bewerten ist (BVerfG, Erster Senat, Urt. v. 11. 7. 2012 – 1 BvR 3142/07, RN 91).

 Die Reaktion des BGH: Aufgabe der Macroton-Rechtsprechung

Die Reaktion des BGH auf diese Entscheidung ist nunmehr, dass die Macroton-Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben wird. Das wird aus dem oben zitierten Leitsatz sehr deutlich. Die wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit über die Börse gehört also weder für das BVerfG noch für den BGH noch zum Schutzbereich des Aktieneigentums. Die Position von außenstehenden Aktionären ist dadurch geschwächt.