„Krabat“ von Otfried Preußler ist in Nordrhein- Westfalen als Pflichtlektüre in den Stundenplänen der Schulen vorgesehen. Als eine Klasse 2008 die Verfilmung von Marco Kreuzpainter als Pflichtveranstaltung im Kino schauen wollte, sollte ein Kind, dessen Eltern den Zeugen Jehovas angehören, davon befreit werden. Der Film thematisiere schwarze Magie und würde deshalb gegen ihre religiösen Grundsätze der Zeugen Jehovas verstoßen. Die Schule lehnte diese Befreiung ab. Der Sohn blieb der Pflichtveranstaltung trotzdem fern. Während 2011 das Oberverwaltungsgericht Münster die Ablehnung der Schule für unrechtmäßig hielt, kippte das Bundesverwaltungsgericht nun am 11.09.2013 diese Entscheidung  und gab der Schule recht.

„Krabat“ unvereinbar mit Glauben

Das Buch „Krabat“, welches verfilmt wurde und im Kino von der Klasse angeschaut wurde, handelt von einem Jungen, der Lehrling eines Zaubermeisters wird. Es geht um um das Nutzen der Magie für Gutes (weiße Magie) oder Böses (schwarze Magie).

Die Kläger sind Anhänger der Zeugen Jehovas, eine in Deutschland staatlich anerkannte christliche Religionsgemeinschaft. Ihr Glauben basiert ausschließlich auf der Bibel. Das Befassen mit schwarzer Magie sei jedoch, nach Aussage der Kläger, bei den Zeugen Jehovas durch bestimmte Bibelstellen und Literatur ausdrücklich untersagt. So etwas könne gegenüber Gott nicht gerechtfertigt werden. Der Zwang, zur Schulaufführung zu gehen, würde das Verhältnis zu Gott gefährden, ja, sogar zerstören. Als ihr Antrag auf Befreiung aber nicht von der Schule akzeptiert wurde, gingen sie gegen diese Ablehnung gerichtlich vor. In der vorherigen Instanz (OVG Münster, Beschluss vom 22.12.2011; Aktz.: 19 A 610/10) begründeten sie ihr Vorgehen gegen die Ablehnung der Schulbefreiung damit, dass sie darin ein Zeichen von Respektlosigkeit der Schule gegenüber den Zeugen Jehovas sehen. Solch ein Verhalten würde außerdem zum Misstrauen gegenüber jeder staatlichen Institution führen. Während das Schulbuch nur Ausschnitte von „Krabbat“ beinhaltete, bei denen es nicht um schwarze Magie ging und der Besuch der Schule damit bisher unproblematisch war, wäre ein Kinobesuch zum gleichnamigen Film aus all diesen Gründen unzumutbar. Gemäß Art. 4 Abs. 1 GG (Religionsfreiheit) in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG (Elternrecht) sei es ein Recht der Eltern, die Kinder nach eigenen Maßstäben zu erziehen, auch in religiöser Hinsicht.

Welche Rechte stehen sich hier gegenüber?

Mit der Befreiung von der schulischen Pflichtveranstaltung haben die Eltern Gebrauch von der Religionsfreiheit und vom Elternrecht gemacht. Die Religionsfreiheit umfasst unter anderem die Freiheit, einen Glauben zu haben, sich dazu zu bekennen und ihn auszuüben. In diesem Fall hat sich die Familie zum Glauben der Zeugen Jehovas bekannt und ihr Leben nach deren Grundsätzen ausgerichtet. Auch die religiöse Erziehung der Kinder fällt darunter. Das Elternrecht sieht die Pflege und Erziehung der Kinder als Pflicht der Eltern an. Die Befreiung als Ausdruck des Elternrechts ist also verfassungsrechtlich von den Art. 4 und Art. 6 GG durchaus gedeckt.

Demgegenüber steht aber der Bildungs- uns Erziehungsauftrag der Schulen. So steht in § 2 des Schulgesetzes von Nordrhein- Westfalen (der Sohn ging in diesem Bundesland zur Schule), dass die Schule  junge Menschen auf Grundlage des Grundgesetzes (vgl. Art. 7 GG) unterrichten und erziehen soll.  Schule und Eltern sollen dem Schulgesetz nach gemeinsam für die Erziehung des Kindes sorgen. Mit der unerlaubten Befreiung des Sohnes konnte die Schule diesem Bildungs- und Erziehungsauftrag nicht mehr nachkommen.

Abwägung und Entscheidung durch das BVerwG

Bei zwei sich gegenüberstehenden Grundrechten muss gerichtlich eine Abwägung beider Interessen stattfinden. In diesem Falle standen das Erziehungsrecht und die Religionsfreiheit der Eltern dem Bildungs- und Erziehungssauftrag der Schule gegenüber. Während 2011 das OVG Münster die Religionsfreiheit und das Elternrecht stärker bewog als den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag (Zuhalten der Augen und Ohren während des Filmes keine Alternative, anschließende im Unterricht stattfindende Diskussion über dem Film unzumutbar), entschied das Bundesverwaltungsgericht am 11.09.2013 (Aktz.: 6 C 25.12, die Urteilsgründe sind noch nicht veröffentlicht, doch liegt eine Pressemitteilung vor) zugunsten der Schule. Die Ablehnung der Befreiung stelle keinen Verstoß gegen das Elternrecht und die Religionsfreiheit dar. Sie argumentierten, dass die Beeinträchtigung einiger Religionen durchaus im Schulalltag vorkommen könne. Damit sei jedoch bei der Umsetzung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrages und der Schulpflicht immer wieder zu rechnen und sei von der Verfassung bereits mit „einkalkuliert“. Eine Befreiung vom Unterricht sei nur möglich, wenn eine gravierende Beeinträchtigung drohe. Zudem dürfe der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag hierdurch nicht zu sehr eingeschränkt werden. „Krabat“ von Ottfried Preußler sei, dem Bundesverfassungsgericht zufolge, ein geistig- kulturelles Erbe, welches den Schülern umfassend und vorbehaltlos präsentiert werden dürfe. Eine Befassung damit stelle keine gravierende Beeinträchtigung dar. Eine Befreiung aus dem Schulunterricht wegen dem Kontakt zu schwarzer Magie würde zu sehr in den staatlichen Bildungs- uns Erziehungsauftrag eingreifen und sei damit nicht gerechtfertigt.

Konsequenzen für die Praxis

Mit diesem Urteil stellt das Bundesverwaltungsgericht klar, dass die Befreiung von schulischen Pflichtveranstaltungen nur in absoluten Ausnahmefällen geschehen darf. Dies zeigt, dass Bildung nicht durch religiöse Vorgaben beeinträchtigt werden soll. Nur so hat die Schule die Möglichkeit den Schülern ein breites Wissen nahe zubringen und die Kinder weltoffen zu unterrichten. Mit diesem Urteil hat der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schulen an Stärke gewonnen. Dieser Eindruck festigt sich auch mit Blick auf ein weiteres, am gleichen Tag erlassenes, Urteil, bei dem das Bundesverwaltungsgericht die Schulpflicht ebenfalls über die Religionsfreiheit stellte. Eine muslimische Schülerin wollte aufgrund der muslimischen Bekleidungsvorschriften nicht am Schwimmunterricht  teilnehmen und berief sich auf die Religionsfreiheit. Das Bundesverwaltungsgericht sah auch hier keine gravierende Beeinträchtigung, da der Muslimin das Tragen eines Burkinis nicht unzumutbar wäre.