Im wahren Leben gilt: Wer meinen Ruf ruiniert, gegen den kann ich vorgehen. Das ist auch gut so. Denn der Ruf ist Teil unser Persönlichkeit. Im Netz ist die Sache komplizierter. Dort gibt es nicht einen Unschuldigen, der ein Gerücht in die Welt setzt. Es gibt vielmehr Millionen von Neugierigen, die das Gerücht kennen und durch zichfache Eingabe von Wörtern wie im Fall der Ex-Firstlady Bettina Wulff ,,Prostitution“ und „Escort“ in den Suchschlitz von Google dafür sorgen, dass genau diese Kombination als Suchvorschlag aufflackert. So funktioniert der Algorithmus von Google. Der BGH hat am 14. Mai dieses Jahres (Details zum Urteil im Blog von T. Jazvick auf dieser Seite) in einem Grundsatzurteil entschieden, dass Google durchaus für solche entstandenen Persönlichkeitsrechtsverletzungen zur Haftung gezogen werden kann. Diese Entscheidung gibt Bettina Wulff nun Hoffnung, die seit Jahren versucht die Kombination ihres Namens mit Begriffen aus dem Rotlicht zu unterbinden.
Rotlichtverleumdung und juristische Trophäen
Den auf ihre am siebten September 2012 eingereichte Klage festgesetzten Termin beim Landgericht Hamburg am 26. April dieses Jahres hatten Bettina Wulff und ihr Anwalt auf Eis legen lassen, da sie das Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs abwarten wollten. Sie fühlen sich durch das BGH-Urteil bestätigt. Zusätzlich reichte Frau Wulff am siebten September 2012 Klage gegen Journalisten und Blogger ein. Einmalig in der deutschen Geschichte gab die Ex-Firstlady zudem eine eidesstattliche Erklärung ab, wonach alle Behauptungen über ihr angebliches Vorleben als Prostituierte falsch seien.
Nach Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ sollen CDU-Kreise seit 2006 das Gerücht um Bettina Wulff in die Welt gesetzt haben um den sich damals noch im Amt des niedersächsischen CDU-Ministerpräsidenten befindenden Christian Wulff zu diffamieren. Mit dem Aufstieg Wulffs zum Bundespräsidenten und wegen des aufkommenden Verdachts der Vorteilsnahme in seiner Zeit als Ministerpräsident gelangten die Gerüchte um Bettina Wulff wieder in die Öffentlichkeit.
Mindestens 34 deutsche und ausländische Blogger und Medien haben bereits Unterlassungserklärungen abgegeben. Zahlreiche Verlage, Journalisten und Blogger gaben ihre Unterlassungserklärungen direkt nach Aufforderung ab ohne sich zu rechtfertigen. Einige Medienverlage zahlten Schmerzensgeld in fünfstelliger Höhe.
Bettina Wulff ist nicht die Einzige
Persönlichkeitsrechte werden nicht nur bei Politikern und ihren Ehefrauen missachtet. Auch Manager und Firmen fühlen sich in ihrer Ehre verletzt. So wird der Energieversorger EON durch die Autocomplete-Funktion mit „Abzocke“ in Verbindung gebracht.
Auch der Ex-Motorsportboss Max Mosley dürfte sich über dieses Urteil freuen. Der 72-jährige hatte im September 2012 begonnen vor dem Hamburger Landgericht zu klagen wegen der von ihm im Netz kursierenden Sex-Party-Videos. Die Bilder verletzten Mosleys Intimität und seine Persönlichkeitsrechte. Ein kleiner Unterschied zwischen seinem und dem Fall von Frau Wulff besteht jedoch: Die Gerüchte um Max Mosley sind wahr; die Gerüchte im Fall Frau Wulff unecht.
Googles fragwürdige Doppelmoral
Eine von Google oft zitierte Antwort ist „Man äußere keine eigene Meinung, sondern gebe nur das Spiegelbild der Suchanfrage wieder. “ Die Suchergebnisliste sei nur eine Abbildung der Realität, die sich an objektiven Faktoren orientieren. Von wieviel Objektivität kann man sprechen, wenn Google doch selbst die Ergebnisse filtert?
Um Konflikte mit dem Gesetz zu vermeiden filtert Google die Suchergebnisse, wenn jemand nach Kinderpornographie sucht oder nach hierzulande verbotenen rechten Inhalten. Mittlerweile löscht Google Suchergebnisse und stuft Websites herab, die mutmaßlich gegen das Urheberrecht verstoßen.
Google streicht auch völlig legale Begriffe aus seinen Suchvorschlägen. Aus Gründen des Jugendschutzes schlägt Google bei der Suche nach Rocco als Ergänzung den Nachnamen DiSpirito, den eines mäßig bekannten Koches mit gerade mal 500.000 Treffern vor. Er unterschlägt hingegen Rocco Siffredi, den Künstlernamen eines italienischen Schauspielers, der in vielen Pornos spielte und mehr als 17 Millionen Treffer aufweist. Solche Beispiele gibt es viele.
Eines fällt jedoch auf: Beim Druck von mächtigen Lobbygruppen beugt sich der Konzern in der Regel. Aber wenn es nur um eine Einzelperson geht, lenkt Google bedenkenlos auf Stellen im Netz, wo Persönlichkeitsrechte verletzt werden. So sperrt der Konzern Suchbegriffe und Treffer, stuft sogar komplette Angebote im Google-Index herab. Ergänzte die Autocomplete-Funktion früher Suchvorschläge bei der Suche nach Raubkopienprogrammen wie „Torrent“, „Crack“ oder „Keygen“, werden diese heute nicht mehr ergänzt. Der Internetriese gibt selbst offen zu, dass in der Regel ein Gerichtsurteil nötig sei damit Google prüfe, ob Suchergebnisse nicht angezeigt werden. Häufiger geht es jedoch nicht nur darum Konflikte mit dem Gesetz und Lobbygruppen zu vermeiden, sondern um viel Geld. Die EU-Kommission ermittelt seit 2010 gegen Google. Der Konzern steht im Verdacht, Suchergebnisse manipuliert und so Mitbewerber benachteiligt zu haben.
Andere Länder, andere Urteile
Immer wieder muss sich Google mit Klagen gegen bestimmte Wortkombinationen auseinandersetzen. Weltweit gab es bereits Urteile gegen die Autocomplete-Funktion. Aufsehen erregend war ein Fall in Paris. Im Juni 2012 hatten vier französische Menschenrechtsorganisationen Google des „latenten Antisemitismus“ bezichtigt. Bei der Suche nach Prominenten und dem französischen Präsidenten „Hollande“ schlug Google als erste Ergänzungsmöglichkeit „juif“, was auf Deutsch Jude heißt, vor. Am Ende wurde ein Vergleich geschlossen.
Im November 2011 verklagten die Besitzer eines Vier-Sterne-Hotels in Dundalk Google, weil zu ihrem Namen der Begriff receivership angezeigt wird, Konkursverwaltung. Dies lege nahe, sie seien in finanziellen Schwierigkeiten, was nicht stimme. Beide Seiten einigten sich auf einen Vergleich. In Japan und in Italien unterlag Google ebenso.
Reputation Defender als digitale Kehrmaschinen
Fälle wie der von Bettina Wulff zeigen wie schnell sich Gerüchte im digitalen Zeitalter verbreiten. Es überrascht daher nicht, dasss das Geschäft der „Online-Reputation-Defender“ wächst. Firmen wie Secure.me, Dein guter Ruf.de oder Saubere Weste verdienen mit dem Ruf fremder Menschen im Internet Geld. Im Auftrag von Privatkunden, aber auch von Managern und Unternehmern analysieren Informatiker, Betriebswirte und PR-Berater zunächst das gesamte Netz. Haben sie verleumderische Fotos oder Texte gefunden, kontaktieren sie die Betreiber der jeweiligen Webseite und fordern sie auf, die Einträge zu löschen. Bleibt der Betreiber stur, empfehlen die Fachleute ihren Kunden Klage einzureichen.
„Online-Reputation-Defender“ fungieren gleichzeitig als digitale Kehrmaschinen. Sie beseitigen, was Nutzer häufig auch selbst zu verantworten haben – etwa prekäre Texte über den Ex-Freund oder Fotos von Besäufnissen. Seit Gründung der Firma Dein guter Ruf.de im Jahr 2008 habe sich der Umsatz mehr als verzehnfacht. Eine Erfolgsgarantie könne jedoch selbst sie nicht versprechen. Sitzt der Betreiber einer Webseite nicht in Deutschland, geht es aus Rechtsgründen meist nicht ohne juristischen Beistand. Dann hilft nur noch die Bestellung eines Anwalts. Im Ausland sind die Datenschutzbestimmungen entweder deutlich lockerer als hierzulande – oder erst gar nicht vorhanden. Oftmals sind viele der rechtlich Verantwortlichen nicht aufzufinden.
Ausblick
Meine Erachtens sollte der BGH auch Bettina Wulff Recht geben. Auch im Web 2.0 muss es die Möglichkeit geben sich gegen Rufmord zu wehren. Fest steht, dass es sich bei Google schon lange nicht mehr um eine objektive Suchmaschine handelt. Die Ermittlungen der EU-Kommission bleiben mit Spannung abzuwarten.
Es geht inbesondere auch um die Frage der gesellschaftlichen Verantwortung und um Googles Machtposition. Hat Google nur seine eigenen Belange im Blickfeld, sammelt es die Daten seiner Nutzer willkürlich zusammen, arbeitet es mit ihnen und schöpft daraus maximalen Gewinn? Oder gründet sich aus der enormen Machtposition, die Google mittlerweile in unser virtuellen Welt einnimmt, nicht eine Verantwortung gegenüber seinen Nutzern und der Gesellschaft im Allgemeinen?
Aber gerade Frau Wulff hat sich ja größte Mühe gegeben, dass sich die ungewünschten Keywords auch schön im Netz auf allen möglichen Blogs und Newsseiten festsetzen. Und damit auch in Suchmaschinen wie Google oder Yasni. Die Vorschläge bei der Autocomplete-Funktion sind da natürlich wieder ein anderer Fall. Aber ob man Google hier wirklich zu irgendwas zwingen kann?
Was mich auch noch interessieren würde:
Wie steht es um das Recht auf Erinnern? Das gibt es ja auch noch, oder? Bei einem verurteilten Gewaltverbrecher wäre es sicher falsch, wenn sich dieser auf ein Recht zum Vergessen beziehen und so seine digitale Weste reinwaschen könnte.
Ich verstehe nicht ganz wie das gemeint ist, dass sich Frau Wulff größte Mühe gegeben hätte, dass sich die unerwünschten Keywords im Netz festsetzen. Nach zuverlässigen Quellen ist an den Gerüchten um sie nichts dran. In Anbedacht des BGH-Urteils vom 16. Mai dieses Jahres kann man Google zwingen zu handeln, wenn der konkrete Hinweis auf Persönlichkeitrechtsverletzung besteht. Bedenklich ist gerade bei Google, dass man nicht nachvollziehen kann nach welchen Kriterien Google bei Hinweisen tätig wird. Fakt ist, dass Google die Suchergebnisse filtert und die Kommission ermittelt.
Sicher – bei einem Straftäter stimme ich Dir zu. Aber man muss unterscheiden. Der Straftäter hat eine wirkliche Straftat begangen. Bei Frau Wulff handelt es sich um miese Gerüchte. Bei sachlichen Wahrheitsbehauptungen kann man Google wohl schwer in die Verantwortung ziehen.
Ich beziehe mich auf das Urteil vom 14. Mai, nicht vom 16. Mai dieses Jahres.
Indem Frau Wulff öffentlich gegen die Gerüchte vorgegangen ist, haben natürlich auch immer mehr Webseiten und Blogs über das Thema berichtet. Wenn man dann per Algorithmus die am häufigsten im Netz vorkommenden Keywords zu Frau Wulff ermittelt, wären zumindest für einen bestimmten Zeitraum Begriffe weit vorne, die ihr nicht gefallen („Streisand-Effekt“).
Frau Wulff scheint sich auch nicht wirklich gegen Google durchgesetzt zu haben. Wenn ich den Namen suche, bekomme ich bei den verwandten Suchanfragen von Google folgenden Vorschlag:
bettina wulff rotlicht
Ein brisantes Thema dessen Entwicklung im Bezug der Verantwortlichkeit von Google, mit Spannung zu erwarten ist. Den Vergleich zu Max Mosley finde ich unpassend. Dieser hat wie geschrieben ja wirklich „Sex-Partys“ gemacht, wobei Bettina Wulff wie bisher bekannt nur Opfer einer Verleumdung geworden ist. Ich würde dies nicht als einen “kleinen“ sondern als einen gewaltigen Unterschied bezeichnen, denn gerade hier kann man Google nicht dafür verantwortlich machen das Tatsachen die Real passiert sind, so nicht auch im Internet niedergeschrieben sind und dem entsprechend Zusammenhängend in der Suchmaschine auftauchen. Würde Google dies ändern empfände ich dies als einen schlimmeren Eingriff, da mir eine beschönigte verfälschte Realität angezeigt wird. Was wiederum in Bezug auf den „Schauspieler“ Rocco Siffredi aus Sicht einiger Eltern zu vertreten ist, wenn nach der Eingabe des Vornamens Rocco nicht sofort dessen gesammelte Werke auftauchen.
Ein sehr heikles Thema. In erster Linie dient uns Google zur näheren Information. Wir begrüßen es, Sachverhalte die wir irgendwo aufgeschnappt haben nachlesen zu können und die Zusammenhänge zu verstehen. Aus dieser Sicht kann man Google wohl kaum vorwerfen absichtlich Rufmord zu betreiben bzw. Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu begehen. Würde Google alle Autocomplete-Suchbegriffe überprüfen und filtern und diese dann auch löschen, nur weil die Möglichkeit besteht das die zusammenhängenden Begriffe den Tatsachen nicht entsprechen, wäre dies eine Zensur im hohen Maße. Deshalb ist das Urteil, welches Google dazu verpflichtet Suchbegriffe zu löschen, wenn ein Betroffener auf die Persönlichkteisverletzung hinweist, ein guter Mittelweg. Schwierig wird es natürlich im Falle von bekannten Persönlichkeiten wie Bettina Wulff. Die Suchbegriffe werden gelöscht, doch die Gerüchte haben sich in den Köpfen festgesetzt.