Nach den zahlreichen schockierenden Missbrauchsfällen in katholischen Einrichtungen entschließt sich 2011 ein Sozialpädagoge, tätig beim katholischen Caritasverband, aus der Kirche auszutreten. Prompt wird er deswegen von seinem Arbeitgeber gekündigt. Bildet der Kirchenaustritt aber überhaupt eine Grundlage für eine Kündigung?

Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen

Der Sozialpädagoge arbeitete seit 1992 in einem katholischen Caritasverband. Die Caritas ist ein Wohlfahrtsverband, der sich für Menschen in Not einsetzt. Bei kirchlichen karitativen Einrichtungen, wie den Caritas, besteht die Besonderheit, dass bei ihnen das kirchliche Recht zur Anwendung kommt. Der Grund dafür liegt in der Trennung von Staat und Kirche in Deutschland. Daher verwalten sich die Kirchen und Religionsgemeinschaften in Deutschland,  innerhalb des geltenden Rechts, ohne staatliche Aufsicht selbst (Art. 140 GG, 137 Abs. 3 WRV). Durch dieses sogenannte Selbstbestimmungsrecht kann die Kirche Regeln nach ihrem Selbstverständnis aufstellen. Bei den Caritas gilt daher unter anderem das kirchliche Arbeitsvertragsrecht.

Kündigungsgrund: Loyalitätsverstoß

In einem sozialen Zentrum der Caritas betreute der Sozialpädagoge nachmittags Schulkinder, deren Religionszugehörigkeit ohne Bedeutung ist. Auch werden dort keine religiösen Inhalte vermittelt. Aus persönlichen Gründen entschied sich der Sozialpädagoge  2011 zum Austritt aus der katholischen Kirche.  Die zahlreichen Missbrauchsfälle, die Vorgänge rund um die „Piusbruderschaft“ und die in der Karfreitagsliturgie auftretende Judenfeindlichkeit (Antijudaismus) bewegten ihn zu diesem Schritt. Die Caritas kündigten ihn kurz nach dem Austritt aus der Kirche. Begründet wurde die Kündigung mit einem Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Loyalitätsobliegenheiten.  Mit seiner Arbeit habe er den „Dienst am Menschen“ erfüllt und damit auch die Botschaft der Nächstenliebe der katholischen Kirche unmittelbar nach außen getragen. Würde aber das Glaubensverständnis seitens des Sozialpädagogen fehlen, so könne er diese Botschaft nicht weiter vermitteln.

Das Bundesarbeitsgericht stimmte der Caritas zu und entschied am 25.04.2013 (Aktz.: 2 AZR 579/12, die Urteilsgründe sind noch nicht veröffentlicht, doch liegt eine ausführliche Pressemitteilung vor), dass diese Kündigung gerechtfertigt ist. In Deutschland steht es zwar jedem nach Art. 4 GG frei, seine religiöse Überzeugung selbst zu wählen. Auch die Ablehnung solcher Überzeugungen, wie es der Sozialpädagoge durch den Austritt der Kirche tat, ist geschützt. Dem Bundesarbeitsgericht nach hat aber das Selbstbestimmungsrecht der Kirche in diesem Fall gegenüber der Glaubensfreiheit ein größeres Gewicht. Es ist der Caritas also letztlich erlaubt, Mitarbeiter wegen Loyalitätsverstoßes zu kündigen, wenn sie aus der Kirche ausgetreten sind.

Debatte um das kirchenrechtliche Arbeitsrecht

Das kirchenrechtliche Arbeitsrecht ist, nicht nur wegen der teils fragwürdigen Kündigungen, immer wieder im Mittelpunkt von Debatten. Bereits Ende letzten Jahres gab es etwa auf Antrag der Linken (17/5523) eine öffentliche Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Thema kirchenrechtliches Arbeitsrecht (auch als dritter Weg der Kirchen bezeichnet). Kritikpunkt der Linken ist in dem Antrag unter anderem gewesen, dass das kirchenrechtliche Arbeitsrecht zu wenig Schutz für die Arbeitnehmer biete im Vergleich zu „normalen Privatunternehmen“. Sowohl Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche als auch Sachverständige argumentierten im Ausschuss hingegen, dass das kirchenrechtliche Arbeitsrecht einem Tarifvertragssystem gleich komme und dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen gerecht werde. Die Einführung von z.B. einem Streikrecht könnte zu einer Aushöhlung des verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen in Art. 140 GG führen. Ein Vorteil des kirchenrechtlichen Arbeitsrechts sei auch, dass es  flächendeckender als Tarifverträge zum Einsatz komme. Allerdings sei zunehmend ein Lohnnkonflikt zu beobachten, der nur, einigen Sachverständigen zufolge, durch einen Flächentarifvertrag in der Sozialbranche zu lösen wäre. Aufgrund des durch die Politik verordneten Wettbewerbs in der Sozialbranche, haben bereits Verbände wie die Caritas begonnen, neu Eingestellte schlechter zu bezahlen.

Auch wenn der Antrag der Linken abgelehnt wurde (vgl. Bericht 17/10872), so könnte man doch in einigen Punkten die kirchenrechtlichen Privilegien hinterfragen.