Die Zeit der internationalen Finanz- und Wirschaftskrise bedeutet für eine Vielzahl mittelständischer Unternehmen den vermehrten Blick auf Themen wie Haftung und Insolvenz. Vor allem befinden sich Geschäftsführer in einer stark risikobehafteten Situation. Die Zahlen werden immer schlechter, Aufträge bleiben aus, Rechungen müssen beglichen werden. Oftmals regiert in der Führungsebene das Prinzip Hoffnung.
Dazu sitzen dem Geschäftsführer die Gesellschafter im Nacken, die in Hinblick auf die nahende Krise der Gesellschaft noch schnell ein Stück vom Kuchen abhaben wollen.
Nun hat der Bundesgerichtshof den Zeigefinger erhoben und vor die „Ausplünderung“ durch die Gesellschafter einen Riegel geschoben. Zahlungen an eben jene können verweigert werden, wenn diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen. Das gilt allerdings nicht bei Vertiefung der Insolvenz.
Die GmbH
Für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft mit beschränkter Haftung haftet den Gläubigern derselben nur das Gesellschaftsvermögen. Der Grundsatz dieser Haftungsbeschränkung gem. § 13 II GmbHG ist namensgebendes Merkmal.
Der Geschäftsführer, als gesetzliches Vertretungsorgan, muss seinen gegenüber der Gesellschaft obliegenden Pflichten nachkommen. Bei deren Verletzung haftet er
gem. § 43 II GmbHG für den entstandenen Schaden (allgemeiner Haftungstatbestand).
Die neue Haftung des Geschäftsführers
Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) einen weiteren Haftungstatbestand geschaffen. Mit Wirkung vom 01.11.2008 wurde die Verantwortlichkeit des GmbH-Geschäftsführers mit dem neu eingefügten § 64 S. 3 GmbHG erweitert.
Die sog. Insolvenzverursachungshaftung findet für diejenigen Zahlungen Anwendung, die der Geschäftsführer gegenüber dem Gesellschafter tätigt und welche zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten. In diesem Fall haftet der Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft. Er ist zum Ersatz der geleisteten Zahlung verpflichtet.
Die Norm dient dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger. Solch eine Haftungsandrohung soll die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft präventiv verhindern. Der wertmäßige Ausgleich der Zahlung gewährleistet das Wiederauffüllen der vorhandenen Masse bei Eintritt der Insolvenzreife.
§ 64 S. 3 GmbHG stellt einen Zusatz zur Insolvenzanfechtung der §§ 129 ff. InsO dar. Zudem gewährt die Vorschrift einen Schutz vor vorinsolvenzlicher Vermögensverschiebung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter zu Lasten der Gläubiger. Denn die die Zahlungsunfähigkeit herbeiführenden Zahlungen an den Gesellschafter entziehen der Gesellschaft Vermögenspositionen, die zur Begleichung ihrer Verbindlichkeiten dringend benötigt werden. Allerdings handelt es sich bei der Insolvenzverursachungshaftung um eine Sanktion für Zahlungen, die noch nicht gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften (§§ 30, 31 GmbHG) verstoßen.
Die Auslegung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen des § 64 S. 3 GmbHG und dessen Rechtsfolgen waren bislang teilweise ungeklärt, zuweilen sogar heftig umstritten.
Welche Gedanken hat sich der Bundesgerichtshof gemacht?
Der BGH hatte in seinem aktuellen Urteil erstmals die Möglichkeit, Klarheit bezüglich des engen Anwendungsbereichs des § 64 S. 3 GmbHG zu schaffen.
Der II. Zivilsenat entschied, dass die Zahlungsunfähigkeit durch eine Zahlung an den Gesellschafter nicht verursacht wird, wenn die Gesellschaft bereits zahlungsunfähig ist. Eine fällige Forderung des Gesellschafters ist bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit in der Liquiditätsbilanz zu berücksichtigen. Im Fall des § 64 S. 3 GmbHG kann die Gesellschaft die Zahlung an den Gesellschafter verweigern (Leistungsverweigerungsrecht).
Welcher Sachverhalt lag dieser Entscheidung zu Grunde?
Der Kläger hatte gemeinsam mit seiner inzwischen geschiedenen Ehefrau der beklagten GmbH ein Darlehen zur Finanzierung der Einrichtung und des Warenbestands gewährt. Alleinige Gesellschafterin und alleinige Geschäftsführerin der Beklagten ist die geschiedene Ehefrau. Mit der Klage verlangt der Kläger die Hinterlegung des fälligen Darlehensbetrags nebst Zinsen zu seinen und zugunsten seiner früheren Ehefrau. Die beklagte GmbH verweigert die Rückerstattung des Darlehens. Sie bringt vor, dass dies zu ihrer Zahlungsunfähigkeit führe. Folglich könne sie die Zahlung nach § 64 S. 3 GmbHG verweigern.
Welche Probleme löst die Entscheidung?
Die Haftung bei Vertiefung der Insolvenz
Ein Tatbestandsmerkmal des § 64 S. 3 GmbHG ist die Kausalität zwischen der getätigten Zahlung und der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft. Die Regelung hat in Hinblick auf ihren Schutzzweck insolvenzrechtlichen Charakter. Nach der Legaldefinition des § 17 II 1 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Im seinem Grundsatzurteil vom 24.05.2005 konkretisierte der BGH die gesetzliche Definition. Zahlungsunfähigkeit liegt demnach regelmäßig dann vor, wenn eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke von 10 % oder mehr besteht und nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.
§ 64 S. 3 GmbHG verlangt die Verursachung der Zahlungsunfähigkeit. Auf die Vertiefung einer bereits bestehenden Zahlungsunfähigkeit wird nicht abgestellt, da der Geschäftsführer für diese ohnehin gem. § 64 S. 1 GmbHG haftet. Des Weiteren ist er gem. § 15a InsO verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, Insolvenzantrag zu stellen.
Die Berücksichtigung von Forderungen des Gesellschafters bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit
Bislang war streitig, ob fällige und durchsetzbare Ansprüche des Gesellschafters bei der Prüfung der Verursachung der Zahlungsunfähigkeit in die Liquiditätsbilanz zur Ermittlung der Liquiditätslücke einzustellen sind. Der BGH bejahte dies. Solche Forderungen seien mangels konkreter Anhaltspunkte nicht auszublenden. Insbesondere käme es sonst zu einer zeitlichen Verschleppung der Insolvenzantragsstellung.
Das Leistungsverweigerungsrecht
Der II. Zivilsenat nimmt ebenfalls zur umstrittenen Frage des Bestehens eines Leistungsverweigerungsrechts der Gesellschaft eindeutig Stellung.
Ergibt sich bei der Solvenzprognose, dass die Zahlung an den Gesellschafter die Zahlungsunfähigkeit der GmbH herbeiführen würde, so besteht die Pflicht des Geschäftsführers, diese zu unterlassen und zugleich das Recht, die Vornahme zu verweigern.
Dahingegen hat der MoMiG-Gesetzgeber die Möglichkeit einer Leistungsverweigerung nicht vorgesehen. So heißt es:
Grundsätzlich ist der Geschäftsführer an die Weisungen der Gesellschafter gebunden und muss diese auch dann befolgen, wenn er sie für unternehmerisch verfehlt hält.
Die Weisungsgebundenheit endet jedoch dort, wo der Geschäftsführer durch Ausführung der Weisung eine ihn treffende gesetzliche Pflicht verletzen und sich selbst gegenüber der Gesellschaft ersatzpflichtig machen würde. Dementsprechend schneidet § 43 Abs. 3, auf den § 64 verweist, dem Geschäftsführer den Einwand ab, er habe einen Beschluss der Gesellschafter befolgt.
Zweifelt der Geschäftsführer, ob eine Zahlung an die Gesellschafter gegen den erweiterten § 64 verstoßen würde, muss er sein Amt niederlegen, statt die von den Gesellschaftern gewünschte Zahlung vorzunehmen.
(Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 47)
Dennoch ist der Auffassung des BGH, wohlgemerkt auch der überwiegenden Meinung der Literatur, zu folgen. Das „Zahlungsverbot“ des § 64 S. 3 GmbHG soll der Gefahr vorbeugen, dass bei einer sich abzeichnenden Krise der GmbH von den Gesellschaftern Mittel entnommen werden. Die Umsetzung dessen kann allerdings nur erfolgen, wenn die Gesellschaft den Mittelabfluss verweigern kann, der Geschäftsführer nicht an die Weisungen der Gesellschafter gebunden ist und ihm ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht (§§ 64 S. 4 i.V.m. § 43 III 3 GmbHG). Es kann nicht gewollt sein, dass Letzterer veranlasst wird, eine eigene Schadensersatzpflicht herbeizuführen.
Ist doch noch etwas unklar?
Die eventuelle Mitgläubigerschaft
Im vorliegenden Fall qualifiziert der BGH den Kläger und seine geschiedene Ehefrau hinsichtlich der Darlehensrückzahlung als Mitgläubiger im Sinne des § 432 BGB. Die Mitgläubigerschaft liegt vor, wenn mehrere Gläubiger eine unteilbare Leistung fordern können. Problematisch ist allerdings, dass der Kläger zu keiner Zeit Gesellschafter der beklagten GmbH war. Aufgrund dessen ist zumindest fraglich, ob die Beklagte die Einrede des § 64 S. 3 GmbHG (das Leistungsverweigerungsrecht) auch hinsichtlich des Klägers geltend machen kann. Möglich wäre auch, dass der Darlehensrückzahlungsanspruch einer zwischen dem Kläger und seiner früheren Ehefrau bestehenden GbR zusteht.
Der Entzug von anderen Vermögenswerten
Der Kläger verlangte die Hinterlegung des Darlehensbetrags. Dies steht einer Zahlung gleich. Ausdrücklich offen gelassen hat der BGH hingegen, ob auch der Entzug von anderen Leistungen als Geldzahlungen dem Zahlungsbegriff der Norm entspricht. Die herrschende Meinung folgt der Regierungsbegründung und bejaht somit die Verwendung des weiten Zahlungsbegriffs des § 64 S. 1 GmbHG.
Es ist aber zu bedenken, dass sich die Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich auf die Geldliquidität bezieht und unter Umständen der Entzug anderer Vermögenswerte diese Tatbestandsvoraussetzung nicht erfüllen könnte.
Was hat der Geschäftsführer zu beachten?
Mit seiner Entscheidung hat der BGH Licht ins Dunkle gebracht. Es wird deutlich, dass es keinesfalls die Intention des MoMiG-Gesetzgebers war, eine umfangreiche vorinsolvenzliche Haftung des Geschäftsführers zu schaffen. Die Insolvenzverursachungshaftung ist lediglich in Ergänzung zur Existenzvernichtungshaftung des Gesellschafters gem. § 826 BGB zu sehen.
Für den GmbH-Geschäftsführer ist es von signifikanter Bedeutung, die aktuelle Liquiditätslage der Gesellschaft umfassend zu kennen. Nur auf dieser Grundlage hat er die Möglichkeit, eine Solvenzprognose vor Zahlung an den Gesellschafter vorzunehmen. Denn schuldhaftes und damit zumindest fahrlässiges Handeln des Geschäftsführers führen zur geschilderten Ersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft. Eine Exkulpation kommt lediglich in Betracht, wenn er darlegt und beweist, dass bei der Aufstellung der Solvenzprognose auch unter Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns für ihn subjektiv nicht erkennbar war, dass die Zahlung an den Gesellschafter die Zahlungsunfähigkeit zur Folge haben musste.
Gleichermaßen muss der Geschäftsführer aufgrund der Insolvenzantragspflicht jederzeit Kenntnis von der Vermögenssituation haben. Verfügt er jedoch nicht über ausreichende persönliche Kenntnisse, die er für die Prüfung benötigt, ob er pflichtgemäß Insolvenzantrag stellen muss, so ist dies bei Anzeichen einer Krise der GmbH mittels kurzfristiger Hinzuziehung externer, fachlich qualifizierter Personen sicherzustellen (zum Thema „Beratungspflicht beschränkt kenntnissreicher Geschäftsführer“ siehe BGH, Urteil vom 27.03.2012).
Die Entscheidung stärkt die Stellung des Geschäftsführers gegenüber den Gesellschaftern.
So ist er nicht verpflichtet, den Anspruch des Gesellschafters zu befriedigen, wenn dadurch die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeiführt wird. Allerdings kann er sich zur Haftungsvermeidung dann auch nicht auf eine entsprechende Weisung oder einen Beschluss der Gesellschafter berufen.
Bei der Hinzuziehung externer fachlicher Berater muss es sich nicht grundsätzlich um Wirtschaftsprüfer handeln, vielmehr kann die Prüfung im jeweiligen Einzelfall auch durch Personen anderer Berufsgruppen durchgeführt werden, sofern sie über das notwendige fachliche Knowhow verfügen. Zu beachten ist jedoch, dass der Geschäftsführer dem externen Dritten einen klaren Auftrag erteilen, nämlich die Analyse der Vermögenslage und die Feststellung, ob die Insolvenzreife vorliegt. Dies ist deshalb wichtig, weil dem Geschäftsführer nicht nur die Pflicht trifft, unverzüglich eine Prüfung vornehmen zu lassen, sondern auch unverzüglich auf deren Ergebnisse hinzuwirken hat. Findet daher eine Verzögerung statt, weil in erster Analyse nicht geprüft wurde, ob ein Insolvenzantrag zu stellen ist, kann dies als ein schuldhafter Sorgfaltspflichtverstoß gesehen werden. Vom BGH ferner gefordert ist eine Plausibilitätskontrolle. Der Geschäftsführer hat die ihm vorgelegten Ausführungen des Beauftragten selbst noch einmal auf seine Richtigkeit zu prüfen.
Es stellt sich für mich jedoch die Frage, inwiefern der Geschäftsführer, der aufgrund mangelnden Fachwissens einen fachlich qualifizierten Dritten beauftragt, in der Lage ist die Ergebnisse zu überprüfen.
Meines Erachtens muss er die Darlegungen nur auf Plausibilität und Schlüssigkeit überprüfen – aber er muss natürlich sicherstellen, dass ein/e für das jeweilige Problemgebiet kompetente/r Berufsträger/in beauftragt wird, vgl. BGH vom 14.5.2007.
Interessant könnte in diesem Zusammenhang auch die steuerliche Behandlung der Haftung sein. Bei Ersatzleistungen die vom Geschäftsführer zu erbringen waren kann es sich um Werbungskosten bei den Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit handeln (§§ 19, 9 Abs. 1 S.1 EStG).
Dazu muss ein objektiver Zusammenhang zwischen den Kosten und dem Beruf bestehen. Dieser fehlt wenn der Geschäftsführer eine Verfügung gegen das Stammkapital der GmbH hat wirken lassen, aus der ihm oder einem empfangenden Dritten ein Vorteil entstand oder aber die GmbH dadurch geschädigt wurde. Tritt der Haftungsfall nach § 64 GmbHG ein, kann bereits von einer Schädigung ausgegangen werden. Eine Abzugsfähigkeit wäre also eher gegeben wenn es sich um Ersatzleistungen des Geschäftsführers handelt die sich aus einer Abwendung der Insolvenz begründen.
Für geschäftsführende Gesellschafter gilt, das ein Werbungskostenabzug durch die Doppelfunktion nicht automatisch ausgeschlossen wird. Das Motiv für die Ersatzleistung darf sich jedoch nicht aus den daraus erwarteten Erträgen oder der Beteiligung ergeben.
Das bedeutet kapitalersetzenden Maßnahmen muss in diesem Fall zunächst ihr eigentlicher kapitalersetzender Charakter fehlen wenngleich eine berufliche Veranlassung zur Leistung gegeben sein muss (Siewert, W., LSK 1999, 520274)