Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zufolge ist irreführende Werbung verboten, die zwar Gewinne verspricht, dem vermeintlichen Gewinner aber für die Inanspruchnahme eines Preises Kosten auferlegt. Sofern persönlich adressierte Werbesendungen mit Gewinnversprechen voraussetzen, dass Adressaten zahlen müssen, um mehr über ihren Preis zu erfahren oder ihn einzufordern, sind sie daher verboten. Diese und ähnliche Geschäfts- und Werbepraktiken sind selbst dann rechtswidrig, wenn die zu leistenden Zahlungen im Verhältnis zum Gewinn nur niedrig oder unerheblich ausfallen. Ob der Werbende dabei verschiedene Vorgehensweisen zur Inanspruchnahme des Gewinnes anbietet, von denen zumindest eine gratis ist, bleibt dabei unerheblich.
Eine lange Zeit praktizierte Werbemethode soll durch das Urteil in Zukunft unterbunden werden.
Der EuGH legte in seinem Urteil die Richtlinie 2005/29/EG aus, die vom Europäischen Parlament und vom Europäischen Rat im Mai 2005 verabschiedet worden war. Die Richtlinie wendet sich gegen unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt. Gegenstand der Auslegung des EuGH war insbesondere die Nr. 31 des Anhangs I der Richtlinie. Sie klassifiziert u.a. das Erwecken des fälschlichen Eindruckes, ein Verbraucher hätte einen Preis gewonnen, wenn die Inanspruchnahme in Wirklichkeit von einer Zahlung abhängig ist, als aggressive und damit verbotene Geschäftspraktik.
Sachverhalt
Dem EuGH lag ein Rechtsstreit zwischen dem klagenden britischen Verbraucherschutzamt OFT (Office of Fair Trading) und mehreren auf den Werbeversand spezialisierte Unternehmen vor. Den Anlass zur Klage der Behörden lieferte eine übermäßige Schwemme individualisierter Briefe, Rubbelkarten und anderer Werbebeilagen in Zeitungen und Zeitschriften, die die Beklagten an eine Vielzahl von Verbrauchern gesendet hatten. Die werbenden Unternehmen informierten darin darüber, dass die Verbraucher verschiedene Preise oder Gewinne in Anspruch nehmen könnten. Um herauszufinden, was sie gewonnen hatten, mussten sie entweder eine Mehrwertnummer anrufen, sich eines Mehrwert-SMS-Dienstes bedienen oder sich für den gewöhnlichen Postweg entscheiden. Durch Gestaltung der Werbeunterlagen wurden die Verbraucher zudem besonders dazu bewegt, die teureren Informationswege per Anruf und SMS zu nutzen, welches die Mehrheit der Verbraucher tat. Die in den Mitteilungen als „Gewinner“ bezeichneten Adressaten mussten in der Folge nicht nur die entstandenen Telefonkosten, sondern auch vermeintliche Gebühren wie Versicherungen und Zuschläge bezahlen, um die zugesicherten Gewinne in Anspruch nehmen zu können. Bei mehr als 99 % der Verbraucher entsprach der Wert des zugesagten Gewinnes entweder ganz oder größtenteils den im Vorhinein übernommenen Kosten.
Entscheidungsinhalt
„Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter gelten
(…)
31. Erwecken des fälschlichen Eindrucks, der Verbraucher habe bereits einen Preis gewonnen, werde einen Preis gewinnen oder werde durch eine bestimmte Handlung einen Preis oder einen sonstigen Vorteil gewinnen, obwohl (…) die Möglichkeit des Verbrauchers, Handlungen in Bezug auf die Inanspruchnahme des Preises (…) vorzunehmen, in Wirklichkeit von der Zahlung eines Betrages oder der Übernahme von Kosten durch den Verbraucher abhängig gemacht wird.“
(Anhang I der Richtlinie 2005/29/EG)
Der EuGH weist den Interpretationsansatz zurück, nachdem ein im ersten Teil der Nr. 31 beschriebener „fälschlicher Eindruck“ als eigenständiges zusätzliches Tatbestandsmerkmal zur Erfüllung des Tatbestandes einer unlauteren Praxis nötig wäre. Vielmehr ist der interpretationswürdige Abschnitt als zusammenhängender Tatbestand zu verstehen, nach dessen Wortlaut eine unlautere Geschäftspraktik vorliegt, wenn vom Verbraucher die Zahlung eines Betrages oder die Kostenübernahme zur Inanspruchnahme eines Preises gefordert wird. Ausnahmen sind durch die Bestimmung dabei nicht vorgesehen, sodass es offensichtlich nicht zulässig ist, dem Verbraucher Kosten aufzuerlegen. Es sei dabei unerheblich, wenn die vom Verbraucher zu tragenden Kosten, wie z.B. die Kosten einer Briefmarke, im Vergleich zum Wert des Preises geringfügig sind. Ebenfalls unerheblich sei, wenn dem Verbraucher verschiedene Vorgehensweisen zur Inanspruchnahme des Gewinnes angeboten würden, von denen zumindest eine gratis ist. Die durch die Mitteilung des Gewinnes ausgelöste psychologische Wirkung würde von Werbeunternehmen ausgenutzt, um den Verbraucher zu einer irrationalen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Auswirkung auf den deutschen Rechtsraum
Grundsätzlich entfaltet die EU-Richtlinie, im Gegensatz zur EU-Verordnung, erst dann unmittelbare Wirkung auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, wenn diese die Richtlinie durch ein nationales Gesetz umgesetzt haben. In der Bundesrepublik Deutschland wurde die genannte Richtlinie im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) 2008 umgesetzt; die durch den EuGH ausgelegte Klausel findet sich in Nr. 17 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG inhaltlich wieder. Somit entfaltet die Richtlinie unmittelbare Wirkung auf das nationale deutsche Recht.
Da der EuGH für alle Mitgliedstaaten verbindlich das Recht der Europäischen Union auslegt, gilt die Norm der Richtlinie so, wie sie durch die im Urteil verkündete Auslegung zu verstehen ist. Es ist daher unerheblich, in welcher Form oder Formulierung die Richtlinie und insbesondere die ausgelegte Klausel im deutschen UWG umgesetzt wurden. Die Auslegung des EuGH ist verbindlich auch für die nationalen deutschen Gerichte. Die oben beschriebenen Geschäftspraktiken sind folglich – spätestens durch das Urteil des EuGH – auch in Deutschland ausdrücklich rechtswidrig. Die Wirkung des Urteils könnte darüber hinaus nicht nur auf Werbesendungen per Post, sondern auch auf Gewinnversprechen-Blinker auf Internetseiten oder auf Werbeemails Anwendung finden.
Zum vorliegenden Urteil des EuGH findet sich in der GRUR 2012, 1211 (Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht) ein interessanter Aufsatz von Helmut Köhler, welcher sich u. A. mit der durch den EuGH erfolgten Einordnung des Tatbestandes der Nr. 31 der UGP- Richtlinie beschäftigt.
Wie bereitserwähnt findet sich der Tatbestand des Nr. 31 umgesetzt in der Nr. 17 des Anhangs zu § 3 III UWG unter den „irreführenden Geschäftspraktiken“ wohingegen die Richtlinie ihn als „aggressive Geschäftspraktik“ einordnet.
Der EuGH erteilte dieser Sicht der Dinge nun eine deutliche Absage: Die erwähnte Praktik ist genau deshalb als aggressiv anzusehen, „weil durch die Erwähnung eines Preises die psychologische Wirkung ausgenützt werden soll, die die Aussicht auf einen Gewinn beim Verbraucher hat, und dieser zu einer Entscheidung veranlasst werden soll, die nicht immer rational ist und die er andernfalls nicht getroffen hätte“.
Ob eine bloße Gewinnmitteilung die Anforderungen des Artikel 8 der UGP an „agressive Geschäftspraktiken“ erfüllt, zweifelt der Verfasser des Artikels stark an und lässt Nachvollziehbarkeit in der Begründung des EuGH vermissen. Zumindest sei die nach Artikel 8 geforderte „erhebliche Beeinträchtigung der Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit des Durchschnittsverbrauchers“ nicht gegeben. Es stehe das Element der Irreführung im Vordergrund weshalb Nr. 31 der Richtlinie in jedem Fall zu den „irreführenden Geschäftspraktiken“ gehöre.
Für die Zukunft sieht der Verfasser nun die Gefahr einer zu weiten Auslegung des Artikel 8 der Richtlinie vor allem im deutschen Rechtsraum.