Ein aktueller Beschluss des Bundesgerichtshofs lässt vermuten, dass die Professionalisierung des Aufsichtsrats auch im Jahr 2013 eines der Themen in deutschen Aktiengesellschaften insbesondere den DAX-Unternehmen sein wird.
In der Übernahmeschlacht Porsche-VW im Jahre 2009 hatte die Porsche Automobil Holding SE versucht, die Übernahme der Volkswagen AG durch riskante Derivategeschäfte am Kapitalmarkt zu finanzieren. Das Aufsichtsratsmitglied der Porsche SE, Prof. Dr. Ferdinand K. Piëch, hatte daraufhin am Rande einer Veranstaltung auf Sardinien sinngemäß geäußert, er könne die wirtschaftliche und rechtliche Tragweite der Derivategeschäfte des Vorstands aufgrund deren Komplexität und mangels eigener Kenntnisse nicht hinreichend beurteilen. Diesen „Offenbarungseid“ sah eine Aktionärin der Porsche SE als eine schwere Pflichtverletzung aufgrund eines Erfassungs- bzw. Beurteilungsfehlers an und erhob Klage gegen den Entlastungsbeschluss für die Mitglieder des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2009. Sowohl das Oberlandesgericht Stuttgart als auch der Bundesgerichtshof bestätigten diese Sicht der Klägerin.
Aufsichtsratsmitglieder sind hiernach verpflichtet, bei Geschäften, die für die Gesellschaft besonders bedeutsam sind, den Sachverhalt vollständig zu erfassen und auf dieser Basis eine eigene Risikoanalyse durchzuführen. Das betreffende Aufsichtsratsmitglied kann sich nicht mit dem Hinweis darauf exkulpieren, dass es seitens des Vorstands nicht hinreichend informiert worden sei und es deshalb persönlich nicht in der Lage sei, sich Klarheit über bestehende geschäftliche Risiken zu verschaffen. Dies begründet – so der Bundesgerichtshof in seinem aktuellen Beschluss – regelmäßig ein pflichtwidriges Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds, welches einen schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstelle und mithin keine Entlastung des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds erfolgen dürfe bzw. ein entsprechender Entlastungsbeschluss in der Hauptversammlung anfechtbar sei.
Die Pflicht zur Überwachung bzw. eigenen Risikoanalyse
Der BGH hat – im Einklang mit der Vorinstanz – eine Pflichtverletzung des Aufsichtsratsmitglieds bejaht. Die einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrats träfen aufgrund der gesetzlichen Verweistechnik grundsätzlich dieselben Sorgfalts- und Verhaltenspflichten wie die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft (§ 116 Satz 1 AktG i.V.m. § 93 AktG).
Zu der Überwachungspflicht des Aufsichtsrats gehöre es nach Ansicht des BGH zum einen, dass er sich über erhebliche Risiken, die der Vorstand mit Geschäften eingehe, kundig mache und ihr Ausmaß unabhängig vom Vorstand selbstständig abschätze.
Insofern hat der BGH eine Pflicht zur eigenständigen Risikoanalyse für Aufsichtsräte bestätigt: Diesen ist es damit verwehrt, sich Äußerungen des Vorstands zu eigen zu machen, einen vom Vorstand dargelegten Sachverhalt ohne nähere Prüfung ihrer eigenen Entscheidung zu Grunde zu legen oder Informationen unreflektiert entgegenzunehmen. Trifft das Aufsichtsratsmitglied dennoch auf der Basis dieser falschen Annahmen eine Entscheidung, begründet dies eine schwerwiegende Pflichtverletzung.
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold?!
Spannend ist aus rechtlicher Sicht, dass es für die Pflichtverletzung gar nicht darauf ankam, ob das Aufsichtsratsmitglied Piëch tatsächlich „ahnungslos“ war oder aber die Aussage „ins Blaue hinein“ getätigt hat. Kann das Aufsichtsratsmitglied Risiken für die Gesellschaft nicht abschätzen, dann hat es hierzu jedenfalls keine öffentlichen Aussagen zu treffen, weder in (formellen) Interviews noch in (informellen) Statements am Rande von Veranstaltungen.
Denn der BGH greift bei der Entscheidungsfindung auf eine Wahlfeststellung zurück: Seien die Äußerungen des Aufsichtsrats, er habe die Risikogeneigtheit bestimmter Geschäfte nicht einschätzen können, inhaltlich zutreffend, dann läge hierin das offensichtliche Eingeständnis einer Pflichtverletzung.
Anderenfalls seien Äußerungen, die eine direkte Auswirkung auf die Kreditwürdigkeit haben können, aufgrund der gesteigerten Treuepflicht eines Aufsichtsratsmitglieds, welches gleichzeitig Aktionär der Gesellschaft sei, gänzlich zu unterlassen. Hierbei handele es sich zwar um „kritisch-pointierte Meinungsäußerungen“. Deren Kernaussage werde von einem objektiven Empfänger jedoch so verstanden, dass die Entwicklung der Porsche SE mit unwägbaren Risiken behaftet sei.
Dies begründe Zweifel an der Fähigkeit der Porsche SE, künftig ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen und gefährde in der Folge die Kreditwürdigkeit des Unternehmens. Sollte der Tatsachenkern der Aussage hinter der subjektiven Meinung des Aufsichtsratsmitglieds zurückstehen, so begründe die Aussage zumindest eine Verletzung der Treuepflicht des Aufsichtsratsmitglieds, da bereits die Gefährdung von Interessen der Gesellschaft unzulässig sei.
Die Pflicht zur Einholung von Rechtsrat
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung wegen eines Gesetzesverstoßes zwar nur dann anfechtbar, wenn damit ein tatsächliches Verhalten gebilligt werde, das einen schwerwiegenden und eindeutigen Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstelle. Im Gegensatz zu der „Fresenius“-Entscheidung des BGH, in der dieser unlängst solch einen eindeutigen Gesetzesverstoß noch verneint hatte, wurde dies vorliegend bejaht.
Sind Aufsichtsratsmitglieder nicht in der Lage, einen zu beurteilenden Sachverhalt eigenständig zu erfassen oder zu bewerten, so müssen sie durch eine Berichtanforderung nach § 90 Abs. 3 Satz 2 AktG weitere Sachverhaltsinformationen vom Vorstand einholen oder sich die für eine Beurteilung notwendigen Kenntnisse verschaffen, notfalls durch Hinwirken auf die Hinzuziehung externer Berater durch das Gesamtorgan nach § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG; eine solche Pflicht zur Hinzuziehung externer Berater hatte der BGH bereits in seinem Urteil vom 20.09.2011 statuiert.
Sollte nach vollständiger Sachverhaltsaufklärung und Konsultation externer Berater beim Aufsichtsratsmitglied weiterhin eine Entscheidungsunsicherheit verbleiben, so gebietet die Treuepflicht, gegen das entsprechende Geschäft des Vorstands einzuschreiten.
Gibt es damit bald nur noch hauptberufliche Aufsichtsratsmitglieder?
Auch in seinem aktuellen Beschluss bestätigt der BGH die bereits seit längerem vorherrschende Tendenz hin zu einer Professionalisierung der Mitglieder des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsrat als bloßer „Altersruhesitz“ für ehemalige Vorstandsmitglieder soll sukzessive durch ein Kontrollgremium abgelöst werden, welches seiner Überwachungsfunktion durch größere Unabhängigkeit vom Vorstand sowie gesteigerte Fachkenntnis besser gerecht wird.
Dieses Leitbild lässt sich ebenfalls dem Deutsche Corporate Governance Kodex und dort insbesondere Ziffer 5.4.1 Satz 1 (fachliche Qualifikation), Ziffer 5.4.2 (Unabhängigkeit) sowie Ziffer 5.4.5 (Begrenzung der Anzahl der Aufsichtsratsposten) entnehmen. Es bleibt abzuwarten, ob sich dieses Leitbild im „Aufsichtsrats-Superwahljahr 2013“, bei dem allein bei den DAX-Unternehmen nach Medienberichten bis zu 86 neue Aufsichtsratsposten zu vergeben sind, auch in der praktischen Umsetzung manifestieren wird.
Quellen:
Lorenz, Dirk, Anmerkung zu OLG Stuttgart, Urteil vom 29.02.2012, 20 U 3/11, GWR 2012, 156
Hasselbach, Kai, Überwachungs- und Beratungspflichten des Aufsichtsrats in der Krise, NZG 2012, 41
Paschos, Nikolaos/ Goslar, Sebastian, Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern nach den neuesten Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, NZG 2012, 1361
Link, Robert/Vogt, Kristin, Professionalisierung von Aufsichtsräten – Auch ein Thema für die GmbH?, BB 2011, 1899
Bihr, Dietrich/Blättchen, Wolfgang, Aufsichtsräte in der Kritik: Ziele und Grenzen einer ordnungsgemäßen Aufsichtsratstätigkeit – Ein Plädoyer für den „Profi-Aufsichtsrat“, BB 2007, 1285
Die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrates sind wahrhaft vielfältiger und tiefgreifender als es in der Allgemeinheit oft dargestellt wird. Tatsächlich spielt die Kontrolle des Aufsichtsrates im Zusammenhang mit unternehmerischen Handlungen des Vorstandes heute eine entscheidene Rolle und der Aufsichtsrat kann sich selbst nach den §§ 111, 116 und 93 AktG schadesersatzpflichtig machen soweit er Entscheidungen mangels ausreichender Informationen trifft oder Geschäften seine Zustimmung erteilt die er hätte verhindern müssen. Die Rechtsprechung zeigt, dass heute immer höhere Anforderungen an ein ordnungsgemäßen Verhalten von Vorstand und Aufsichtsrat gestellt werden und Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe keine Seltenheit mehr sind. Loritz und Wagner (Loritz, Wagner: Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten, in: DStR 2012, 2189 ff.) bringen es daher auf den Punkt wenn sie sagen, dass es kleinen und mittleren Aktiengesellschaften mit tendenziell haftungsträchtigen Strukturen bereits heute schwerfällt hochqualifizierte Aufsichträte zu finden. Eine Lösung kann dabei nicht nur in entsprechenden D & O Versicherungen zu suchen sein, sondern muss auch von Seiten des Gesetzgebers in Angriff genommen werden.
Hier fragt sich, wonach sich das Vertrauen von Anlegern in seine Aufsichtsratsmitglieder bemisst. Wie vom BGH zutreffend entschieden, wird dies durch pflichtwidriges Verhalten von Organträgern unweigerlich missbraucht und kann große Unsicherheiten für ein Unternehmen auf dem Kapitalmarkt auslösen. Insofern ist es zutreffend, dass es zu der Kardinalpflicht eines Aufsichtsratsvorsitzenden gehört, wichtige Geschäfte eines Unternehmens zu überwachen und der seiner Position innewohnenden Verantwortung in besonderem Maße gerecht zu werden. Dazu zählt auch, lapidare Aussagen in Bezug auf strafrechtlich relevante Kursmanipulationen durch den Vorstand, wie einer bewussten Täuschung von Anlegern, im Vorhinein gut zu überdenken.
Fraglich bleibt hingegen, worauf sich das Anlegervertrauen daneben, insbesondere bei Familienunternehmen stützt. Familiengeführte Unternehmen stehen häufig in der Kritik, über keine entsprechenden Auswahlkriterien für die Wahl geeigneter, unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder zu verfügen, sondern vielmals Vetternwirtschaft zu betreiben. Im Fall Piëch sorgte die Wahl seiner Ehefrau Ursula in den Aufsichtsrat vergangenes Jahr für Wirbel in dieser Debatte. Nach kritischen Meinungen gelangte die gelernte Kindergärtnerin nämlich lediglich aufgrund ihrer Stellung als Familienmitglied zu dieser Position. Sollten nun also spezielle Zugangsvoraussetzungen geschaffen werden, um eine einschlägige Qualifikation für den Beruf eines „Vollzeit-Aufsichtsratsmitglieds“ zu garantieren?
VW- Betriebsratschef Bernd Osterloh rechtfertigte den Aufsichtsratseintritt im Fall von Ursula Piëch und hob ihre emotionale Verpflichtung hervor, die sie aufgrund ihrer familiären Verflechtung mit dem Konzern mitbringe. Sie kenne die Probleme von VW und von Audi sowie die Betriebsräte und Beschäftigten des Unternehmens. Neben wirtschaftlicher Kompetenz benötige ein Aufsichtsrat nach dem Betriebsratschef ebenso soziale Kompetenz.
Nicht zu vernachlässigen ist dennoch der Umstand, dass mit Ursula Piëch nun fünf von 20 Aufsichtsratsmitgliedern im VW-Konzern aus den Familien Piëch oder Porsche stammen. Die Großeigner verfügen danach über eine Mehrheit von 88 Prozent der Stimmen. Ob in dieser Hinsicht also noch von einer ausgewogenen Aktionärsvielfalt, die Vertrauen und Sicherheit schaffen soll, gesprochen werden kann ist fraglich.
Gegen das Konzept hauptberuflicher Aufsichtsräte lassen sich mehrere Argumente anführen. Zunächst würde die hauptberufliche Beschäftigung von Aufsichtsräten eine entsprechende Entlohnung mit sich bringen, diese erheblichen Kosten wären für viele Unternehmen nur schwer zu tragen. Diese Meinung äußerte auch der Vorsitzende der Regierungskommission DCGK Klaus-Peter Müller gegenüber dem Handelsblatt (Artikel Umschulung zum Aufsichtsrat vom 28.04.2012). Weiterhin, so der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank Rolf Breuer, sei für die Tätigkeit im Aufsichtsrat insbesondere der Blick aus der laufenden Praxis notwendig. Ein „Berufsaufsichtsrat“ berge zudem die Gefahr, dass er eine ungewollte dominante Wirkung auf andere, nicht hauptberufliche, Aufsichtsratsmitglieder ausübe. (Breuer in Hopt/Wohlmannstetter, Handbuch Corporate Governance von Banken, Teil 3 Abschnitt: Aufsichtsrat C III)
Entscheidend ist aber, dass auch hauptberufliche Aufsichtsräte Qualifikationen und entsprechendes Fachwissen mitbringen müssten, um ihrer Überwachungsaufgabe gerecht werden könnten. Die angemessene Ausübung des Mandates ist nicht durch die Bestellung eines Berufsaufsichtsrates sondern nur durch eine gezielte Auswahl geeigneter Kandidaten zu erreichen. Die Ergebnisse einer Studie von Michèle Morner an der Universität Witten/Herdecke („High Performance Boards“ in: Manager Magazin 12/2011 S. 104) bestätigen das Vorurteil, dass Ex-Vorstände bevorzugt einen Posten im Aufsichtsrat erhalten. Es wurde deutlich, dass dies, auch bei bestehenden Nominierungsausschüssen, oftmals das einzige Kriterium ist, nachdem der Kandidat für den Posten im Aufsichtsrat ausgewählt wird. In 70 % der börsennotierten Unternehmen bestünden gar keine konkreten Kriterien für die Auswahl von Aufsichtsrats-Kandidaten.
Angesichts dieser Ergebnisse wird umso mehr deutlich, dass bei dem Problem der mangelnden Qualifikation von Aufsichtsräten am Auswahlprozess der Mandatsträger angesetzt werden sollte. Ein hauptberuflich ausgeübtes Aufsichtsratsmandat kann keine Garantie für eine höhere Qualität in der Ausübung der Aufgaben eines Aufsichtsrates sein. Die notwendige Qualität der Arbeit des Aufsichtsrates sollte anstelle durch ein „Mehr“ an Arbeitszeit eher durch ein „Mehr“ an grundlegender Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder sicher gestellt werden.