Mit dem Beschluss des BGH vom 15. Mai 2012 ist die Interessentheorie im Insolvenzstrafrecht in ein neues Licht gerückt. Bisher diente die Interessentheorie zur Differenzierung zwischen Untreue und Bankrott. Mit dem Urteil vom 15. Mai 2012 wird die Strafbarkeit eines Geschäftsführers wegen Bankrotts nicht unwesentlich erweitert.

Zum Sachverhalt

Der Entscheidung des BGH liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:  Die beiden Angeklagten S. und L. waren zu nahezu gleichen Teilen an der G.S. Gruppe beteiligt. S. war Geschäftsführer der S. GmbH, welche wiederum Komplementärin der S. KG war. Kommanditisten der S.KG. waren S. zu 51% und L. zu 49%. Die S.KG hielt die Anteile an der S. GmbH und der Se. GmbH.

S. war nicht nur Geschäftsführer der S. GmbH, sondern führte auch die Geschäfte für die Se. GmbH. Bis zum Jahr 2002 konnte die G.S. Gruppe mit Produkten aus der Entenzucht wirtschaftlichen Erfolg verzeichnen. Nachdem im Frühjahr 2003 durch einen Umsatzeinbruch weitere Kredite für die Gesellschaften der G.S. Gruppe unabdinglich wurden und auch daraus notwendigerweise folgende Verhandlungen mit den entsprechenden Hausbanken scheiterten, wurde deutlich, dass die Liquidität der Gesellschaften gefährdet war und die Insolvenz drohte.

Daraufhin wurde am 01. März 2004 der Mitangeklagte K. als neuer Geschäftsführer der drei zuvor genannten Gesellschaften bestellt, während S. in seiner Funktion als Geschäftsführer abberufen wurde. L. und S. war dennoch für die drei Gesellschaften tätig, wofür sie von K. pauschal jeweils 250.000 € erhielten. Darüber hinaus wurde mit K eine erfolgsabhängige Geschäftsführervergütung vereinbart.

In Zusammenarbeit mit S. verkaufte K. zahlreiche Tonnen Entenfleisch unter Wert und nahm damit rund 2 Mio. € ein. Die Bezahlung erfolgte an den Hausbanken vorbei.  Im Ergebnis löste K ohne Zustimmung der Hausbanken Reserven auf, um einen Neustart für die Angeklagten S. und L. mit der L.M. GmbH zu ermöglichen. Auf Antrag der Banken wurde schließlich über das Vermögen der S. GmbH und der Se. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet.

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Wie wurde die „Interessentheorie“ im Insolvenzrecht früher gewertet?

Der BGH ging bisher davon aus, dass die Strafbarkeit eines Geschäftsführers einer GmbH wegen Bankrotts an enge Voraussetzungen geknüpft ist. Nach bisheriger Auffassung machte sich ein Geschäftsführer i. S. d. § 283 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur dann strafbar, wenn er für die Gesellschaft oder zumindest in deren Interesse handelte (vgl. BGH 3 StR 372/08).

Diese „Interessentheorie“ geht davon aus, dass bei vorhandenem Bezug zum Geschäftsbetrieb auch das Interesse der Gesellschaft berührt ist. Damit wurden Straftatbestände von handelnden Einzelpersonen negiert. Deutlich wird dies am Beispiel einer Ein-Mann-GmbH. Würde hier ein Geschäftsführer im Falle einer drohenden Insolvenz Gesellschaftsvermögen auf seine eigenen Konten transferieren, so müsse man laut Interessentheorie davon ausgehen, dass ihn für einen etwaigen Bankrott keine Schuld trifft, da seine Motive dem Eigeninteresse geschuldet sind. Damit würde eine Strafbarkeitslücke entstehen, derer sich Vertreter und Organe von Kapitalgesellschaften bedienen könnten.

Was ist neu an dem BGH-Urteil?

Im vorliegenden Fall konstatierte der BGH, dass der Mitangeklagte K. durch sein Handeln einen Vermögensnachteil für die entsprechenden Gesellschaften herbeiführte. Gleichwohl K. die Zustimmung von S. und L. für die Verkaufsgeschäfte hatte, stellt sein Handeln dennoch einen Verstoß gegen seine Pflichten als Geschäftsführer dar. Das Verhalten von K. gefährdete die Existenz der Gesellschaften. Der Untreuetatbestand gem. § 266 StGB ist in diesem Fall nicht erfüllt, da dies ein Unwissen seitens S. und L. voraussetzen würde.

Demnach kommt nur der Straftatbestand des Bankrotts gem. § 283 Abs. 1 Nr. 1  i. V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht. Laut Interessentheorie hätte K. als Vertreter für die Gesellschaft oder in ihrem Interesse handeln müssen, um sich des Bankrotts strafbar zu machen. Der BGH hat sich allerdings mit dem Urteil von dieser Theorie abgewandt.

Nach seiner Auffassung hat K. im Eigeninteresse gehandelt, da er sein Handeln von der Bezahlung von Rechnungen abhängig machte. K. schadete damit der Gesellschaft und verfolgte ausschließlich eigennützige Motive. Damit der Straftatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB trotzdem greift, hat der BGH den Anwendungsbereich auch auf solche Personen oder Organe erweitert, die nicht im Interesse der Gesellschaft handeln.

Das Urteil des BGH stellt eine klare Abkehr von der “Interessentheorie“ im Insolvenzrecht dar. Damit wurde eine unechte Regelungslücke im Strafrecht geschlossen und die Voraussetzungen für die Strafbarkeit von GmbH Geschäftsführern für den Bankrott einer Gesellschaft gelockert. Zukünftig werden also auch eigennützige Handlungen von GmbH Geschäftsführern, die zum Bankrott einer Gesellschaft führen, bestraft.