Man fliegt in den Urlaub, gibt seine Koffer auf, landet…und der Koffer ist verschwunden und taucht nicht wieder auf. Inwiefern steht Einem jetzt Schadensersatz zu, vor allem, wenn sich mehrere Reisende einen Koffer teilen? Dieses Problem hatte eine vier-köpfige Familie, die mit zwei Koffern von Barcelona nach Paris geflogen ist. Die Koffer gingen allerdings verloren und konnten nicht wiedergefunden werden. Sie verklagten daher die Fluggesellschaft Iberia auf Schadensersatz in Höhe von 4.400 Euro. Dies entspricht der gesetzlichen Höchstgrenze von umgerechnet 1000 Sonderziehungsrechten je Reisendem. Ihren Anspruch leiteten sie aus dem Übereinkommen von Montreal ab. Ibera hingegen war, wie auch die europäische Kommission, der Ansicht, dass nur ein Reisender pro Gepäckstück einen Schadensersatzanspruch geltend machen kann. Das spanische Vorlagegericht war sich über die Auslegung der Artikel des Übereinkommens unsicher, hat das Verfahren ausgesetzt, und sich mit Bitte um Vorabentscheidung an den EuGH gewendet.
Der Europäische Gerichtshof entschied mit dem Urteil vom 22.11.2012, dass ein Reisender Entschädigung vom Luftfrachtführer für den Verlust eines Gepäckstücks verlangen kann, selbst wenn das Reisegepäck von einem Mitreisenden aufgeben wurde. Dabei muss der Reisende nachweisen, dass dieses verloren gegangene Gepäckstück tatsächlich Gegenstände des Reisenden enthielten.
Die rechtliche Grundlage bildet das Übereinkommen von Montreal. Es beinhaltet Vorschriften über die Beförderung im internationalen Wirtschaftsverkehr. Aus Art. 17 Abs. 2 ergibt sich zunächst, dass der Luftfrachtführer für Schäden aufkommen muss, die dem Reisenden durch den Gepäckverlust entstehen. Daneben stellt Art. 22 Abs. 2 klar, dass der Luftfrachtführer allerdings nur für den Verlust eines Reisegepäckstückes bis zu 1000 Sonderziehungsrechten je Reisender haftet. Art. 3 Abs. 3 beinhaltet die Pflicht des Luftfrachtführers, jedem Reisenden einen Beleg für die Gepäckidentifizierung (oftmals in Form eines Klebezettels an der Boardkarte) auszuhändigen.
Das spanische Vorlagegericht wollte wissen, ob man aus den Art. 22 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 des Übereinkommens auch einen Anspruch auf Entschädigung für Reisende ableiten kann, wenn das verloren gegangene Gepäckstück von einem Mitreisenden aufgegeben wurde. Es ist also, auf den Fall bezogen, fraglich, ob jedes einzelne Familienmitglied einen Anspruch besitzt oder nur derjenige, der einen Beleg für die Gepäckidentifizierung erhalten hat. Der europäische Gerichtshof legte die Bestimmung des Art. 3, so aus, dass der Beleg zur Gepäckidentifizierung lediglich eine reine Pflicht zur Identifizierung des aufgegebenen Gepäckstückes ist. Aus dieser Pflicht lässt sich hingegen nicht herleiten, dass der Anspruch auf Entschädigung bei Verlust von Reisegepäck, die in Art. 22 Abs. 2 des Übereinkommens vorgesehen ist, nur für Reisende gelten, die ein Gepäckstück aufgegeben haben.
Einem Reisenden steht daher auch ein Schadensersatz bei Verlust eines Gepäckstückes zu, wenn ein Mitreisender, der denselben Flug genommen hat, das Reisegepäck aufgegeben hat. Dieser Anspruch richtet sich nach den Modalitäten des Art. 17 Abs. 2 S. 1 des Übereinkommens in den Grenzen des Art. 22 Abs. 2. Dabei ist es Sache des Reisenden rechtlich hinreichend nachzuweisen, dass das vom Mitreisenden aufgegebene Gepäck tatsächlich Gegenstände eines anderen Reisenden enthielt. Das nationale Gericht könne bei diesem Fall berücksichtigen, dass es sich bei den Reisenden um eine Familie handelt, die ihre Flugscheine zusammen gekauft und gemeinsam eincheckt haben. Die Kostenentscheidung hat der EuGH an das nationale Gericht zurückgewiesen.
M.E. stellt die Zusammenfassung dieses Urteils nicht klar, ob mehrere Personen Schadensersatz für ein und dasselbe verloren gegangene Gepäckstück verlangen können, weil sich darin sowohl Gegenstände des einen als auch des anderen Reisenden befanden. Der Artikel stellt ledlich klar, dass ein Reisender Schadensersatz für ein Gepäckstück verlangen kann, dass zwar ihm gehört, aber ein Mitreisender aufgegeben hat und auch den Beleg für die Gepäckidentifizierung besitzt.
Wurde dies vom EuGH nicht klar herausgestellt?
Hier ist noch immer fraglich, was genau unter dem Begriff „tatsächlicher“ Gegenstand verstanden werden kann. Zwar ist es zu befürworten, dass der Reisende Entschädigung für ein verloren gegangenes Gepäckstück verlangen kann – auch wenn er das Gepäckstück nicht selbst aufgegeben hat – aber wie genau kann der Reisende jemals nachweisen, dass die sich in dem Koffer befindlichen Gegenstände auch ihm gehören oder einem Mitreisenden bzw. seiner Beschreibung entsprechen, wenn der Koffer niemals mehr auftaucht? Alleine der Beleg zur Gepäckindentifizierung dürfte hierbei nicht ausreichend sein, um den näheren Inhalt eines Gepäckstückes zu bestimmen.
Im obigen Fall ist eine eventuell positive Entscheidung des nationalen Gerichts für den Kläger aufgrund der familiären Konstellation immerhin noch schlüssig. Was genau aber würde geschehen, wenn es sich bei den Reisenden um bloße Freunde handelt?
Und wie sieht die Sachlage aus, wenn der Reisende den Beleg zur Gepäckidentifizierung verloren hat?
Aus meiner Sicht sehr spannende Fragen, da das Überangebot an Fluglinien dazu einlädt, vermehrt herumzureisen und wohl vielen solch eine Situation eines verloren gegangenen Gepäckstücks bekannt sein dürfte.
Nach der früheren Rechtslage mussten Fluggesellschaften nur pro verlorenem Koffer Entschädigung zahlen. Damit wurde nur der Reisende, der sein eigenes Gepäck individuell aufgegeben hat, entschädigt. Dagegen stand dem Mitreisenden dessen Sachen sich in diesem Gepäck befunden haben kein Schadensersatzanspruch zu.
Meines Erachtens werden mit diesem Urteil nicht nur die Rechte von Mitreisenden deutlich gestärkt, sondern allgemein die Verbesserung des Verbraucherschutzes angestrebt.
Zwar wird den betroffenen Reisenden auferlegt zu beweisen, dass das von einem Mitreisenden aufgegebene Gepäck tatsächlich Sachen eines anderen Reisenden enthielt.
Der Umstand, dass die Reisenden Familienmitglieder sein sollen, wird meiner Meinung nach für die Beweisführung jedoch nicht entscheidend sein. Es könnte bspw. auch eine Reisegruppe sein.